Genial banal
Kein Aldi und auch kein Lidl: Der Neubau einer Turnhalle in der oberbayrischen Idylle spielt mit der Überhöhung des Einfachen.

Partner: FSB
Flüsse, Täler, Auen – Schlote, Raffinerien und Chemiewerke: Im oberbayerischen Dorf Haiming haben Idyll und Industrie seit Jahrzehnten einen Pakt miteinander geschlossen. Keiner hinterfragt den anderen, denn beide sorgen für Reichtum in der Region: die Landschaft mit ihren Reizen, die Unternehmen mit ihrer wirtschaftlichen Kraft. Diese Konfrontation machte sich der Münchner Architekt Florian Fischer für den Bau einer Turnhalle zunutze und schuf eine spannende Versuchsanordnung in Holz.
Der SV Haiming benötigte eine neue Vereinsturnhalle: Umgeben von Ziegenweiden, einem Bach und der innerörtlichen Kiesstraße stand dem Planerteam um Florian Fischer (Almannai Fischer Architekten) ein wahrlich beschauliches Baugrundstück zur Verfügung.
Polycarbonat und Primat
Das Gebäudeensemble setzt sich aus dem Neubau der Turnhalle, einem kleineren Schulsportgebäude aus den siebziger Jahren und niedrigeren Trakten für Technik, Umkleiden und Geräteräume zusammen. Dachneigungen, Ausrichtungen und Höhen variieren und sorgen für eine abwechslungsreiche, kleine Häuserlandschaft, die Bezug nimmt auf den natürlichen und städtischen Kontext. Gleichzeitig steifen die kleineren Volumina die Halle in ihrer Längsrichtung aus und ermöglichen so die freigehaltene Hallenlängsseite, die nach Nordwesten mit einer raumhohen und blendfreien Polycarbonat-Fassade ausgestattet ist. Nach Süden bietet eine lange Fensterfront Ein- und Ausblicke – ein Effekt, der durch das Absenken des Hallenbodens in das Erdreich um einen Meter noch verstärkt wird. Für die Architekten war die typologische „Analogie zu großen landwirtschaftlich genutzten Gebäuden im Dorf“ Absicht und wichtiger Bestandteil ihres „Primats der Zurückhaltung“.
Sparen mit Aldi und Lidl
Das „Spiel mit der Banalität“ setzte Florian Fischer auch bei der Konstruktionsweise des Baus fort, den er in Zusammenarbeit mit dem ortsansässigen Ingenieur Harald Fuchshuber „abwickelte“. Bei dem Holzbau griffen die Planer neben Fertigteilen auch auf die verzinkte Nagelplatte zurück, die ihnen die Verwendung von Binder- und Wandsystemen aus dem örtlichen Fertigteilwerk ermöglichte. Für den Architekten eine „geniale Erfindung“, die bisher vor allem durch ihren Einsatz bei den eingeschossigen Verkaufsmärkten von Aldi und Lidl zu größerem Ruhm gekommen war. Das Risiko, als banal und angepasst wahrgenommen zu werden, ging Fischer aber gerne ein – noch mehr: Er schlägt aus den konzeptionellen und formalen Zwängen architektonisches Kapital. Und ganz nebenher wurde der Hallenbau 25 Prozent unter dem gängigen Kostenrichtwert realisiert.
Realität und Fiktion
Der große Innenbereich der Turnhalle wird durch ein Raumfachwerk geprägt, das gar keines ist. Und auch hier spielt Fischer wieder mit der Überhöhung des vermeintlich Banalen. Die Dachkonstruktion erzeugt das Bild „einer filigranen Übersumme an tragenden Elementen“, wie der Architekt es bezeichnet. Und auch in der Fassade arbeitet er mit einer Überlagerung aus konstruktiven Standards – in Form von Pfosten, Riegeln und Diagonalen – und einem grafischen Motiv. Was hier wirklich Tragwerk und was nur Bild ist, ist für den Betrachter kaum erkennbar. Und damit zieht ihn Fischer direkt in seine Versuchsanordnung hinein, der seinem Bau die Behauptung zugrunde legt, „mit einer Art gedanklicher Präzision und einem Justieren an den primären räumlich-architektonischen Stellschrauben eine Ausführung mit billigsten Details nicht nur zu ermöglichen sondern ganz wesentlich in den Stand einer konzeptionellen Notwendigkeit zu erheben und als elementaren Teil des gewünschten architektonischen Ausdruckes zu sehen.“ Theorie und Praxis, Realität und Fiktion sowie Banalität und Genialität sind bei diesem Gebäude untrennbar miteinander verbunden.
FOTOGRAFIE Sebastian Schels
Sebastian Schels
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