Alpine Betonkassetten
Ein Einfamilienhaus von Baumschlager Eberle Architekten in Vaduz
In Liechtenstein haben Baumschlager Eberle Architekten ein Wohnhaus für eine Familie realisiert. Innen- und Außenräume sind ebenso miteinander verzahnt wie die Materialität des Kalten und des Warmen. Yin und Yang werden mit formaler Strenge interpretiert.
Die Vorarlberger Architekten Baumschlager Eberle sind längst in der Welt zu Hause. Dreizehn Standorte unterhält das 1985 in Lustenau gegründete Büro mittlerweile in Europa und Asien – mit über 270 Mitarbeiter*innen aus 21 Ländern. Doch nicht für jedes Projekt sind lange Reisen vonnöten. Einige lassen sich direkt vor der alten Haustür realisieren. Dieses Einfamilienhaus entstand in einem Wohnviertel im Nordwesten von Vaduz, nur wenige Meter vom Rheinufer entfernt.
Durchlöcherter Käse
Von außen zeigt sich der kalkverputzte Bau verschlossen. Ein dreietagiger Monolith mit kompakt dimensionierten Fenstern, die Assoziationen an einen durchlöcherten Käse erwecken. Die schmalen Öffnungen halten nicht nur neugierige Blicke fern. Sie reduzieren die Menge des einfallenden Sonnenlichts und beugen damit in der warmen Jahreszeit einer Überhitzung der Innenräume vor. „Die asymmetrische Anordnung der Fenster bricht funktionell logisch mit der Etikette klassischer Villenarchitektur“, sagt Ulli Grassmann, verantwortlicher Projektarchitekt bei Baumschlager Eberle. Das Mauerwerk wurde aus gedämmten Ziegeln aus reinem Ton errichtet, die Wärmeverluste so gering wie möglich halten.
Umarmung mit dem Baum
Einschnitte in den 396-Quadratmeter-Bau markieren sowohl den Eingangsbereich als auch die zum Teil überdachten Terrassen. „Der Wunsch nach geschützten Außenräumen war ein wesentlicher Aspekt für die Formulierung dieses sehr plastischen Volumens. Es ermöglichte uns die Definition ganz unterschiedlicher privater Orte“, so Ulli Grassmann weiter. Der L-förmige Grundriss erlaubt die Integration einer groß gewachsenen Rotbuche, die einen nicht unwesentlichen Teil des Grundstücks okkupiert.
Das Haus schmiegt sich um den Baum, sodass ein Innenhof entsteht. In der warmen Jahreszeit wird dieser durch das Blattwerk vor Sonne und Regen geschützt. Wenn das Laub zu Boden fällt, kann die tief stehende Herbst- und Wintersonne weit in die Innenräume hinein scheinen. „Die plastische Form des Hauses ergab sich aus dem Spannungsfeld zwischen Volumen, Öffnungen und Freibereichen. So schwebt etwa an der Straßenseite das oberste Geschoss teils über der Terrasse des ersten Stockwerks, dezent gestützt von einem trapezförmigen Holzträger“, erklärt Ulli Grassmann.
Warm und kalt
Die Materialität von Massivholz zieht sich als roter Faden durch den gesamten Bau. Außen kommt sie bei den Fensterrahmen, der Haustür, den vom Erdgeschoss zur ersten Etage führenden Treppenstufen, den Fußböden des überdachten Eingangsbereiches und auf sämtlichen Terrassen zum Einsatz. Im Inneren des Hauses sind die Böden von Wohnzimmer und Küche aus dem vielseitigen Naturmaterial gefertigt sowie die seitlichen Verkleidungen der Wannen und Waschtische in den Bädern.
Wandernde Schatten
Doch wie bei allen Dingen kommt es auf die richtige Balance an. Und so wird der Wärme des Holzes ein korrigierendes Element gegenübergestellt: in Gestalt karger Sichtbetondecken, die mit ihrer dunklen Farbigkeit und schroffen Textur im Wohnzimmer sowie in der Küche die Blicke auf sich ziehen. Ihre Kassettierung sorgt dafür, dass mit wechselndem Sonnenstand Schatten in unterschiedlichen Längen an den vertieften Oberflächen entlangwandern. In den Abendstunden kaschieren die Betongitter in die Decke eingelassene Spotlights, sodass allein das Licht und nicht seine Quelle in Erscheinung tritt.
Massive Speichermasse
Die Badezimmer-Wände sind gemauert und mit demselben Sumpfkalk verputzt wie die übrigen Innenwände. Durch den Zusatz von dunkleren Sanden ergab sich eine graue Tonalität. Sie korrespondiert mit den aus Sichtbeton gegossenen Einfassungen der Badewannen BetteLux von Bette sowie den aus Beton maßgefertigten Waschtischen. Die Betondecken erfüllen weit mehr als eine rein ästhetische Aufgabe. Einerseits wurden die Decken in minimal notwendiger Stärke realisiert, um Ressourcen zu sparen. Gleichzeitig generieren sie zusammen mit dem Mauerwerk genügend Masse, um mit Solarzellen gewonnene Energie einzuspeichern und ein angenehmes Raumklima zu erzeugen.
Alpine Strenge
Die Möblierung hält sich bewusst zurück. Im Wohnzimmer greift ein mit grauer Wolle bezogenes Ecksofa – das Modell Lawrence von Rodolfo Dordoni für Minotti – die Farbigkeit der Sichtbetondecken auf. Stauraum wird in maßgefertigten Schränken geschaffen, deren weiße Fronten mit den kalkverputzten Wänden im Innenraum und an den Außenfassaden korrespondieren. Lediglich ein Eames-Lounge Chair mit passendem Ottomanen wird als Statement inszeniert. Das Wechselspiel aus Purismus und räumlicher Weite sorgt für eine überhöhte, beinahe sakrale Raumwirkung. Besonders deutlich wird dies in der Küche, deren zinkverkleidete Insel durchaus als Altar herhalten könnte. Und so greifen die Gegensätze in diesem Domizil ineinander: das Warme und Kalte, das Offene und Verschlossene, das Weltliche und Geistliche – wie ein mit alpiner Strenge ausgeführtes Wechselspiel von Yin und Yang.
FOTOGRAFIE OLEX, Marc und Oliver Lins
OLEX, Marc und Oliver Lins
| Typologie | Ferienhaus |
| Bauherr | Privat |
| Standort | Vaduz, Liechtenstein |
| Bruttogeschossfläche | 346 Quadratmeter |
| Fertigstellung | 2020 |
| Planung | Baumschlager Eberle Architekten |
| Badewannen | BetteLux von Bette |
| Lichtleisten Bäder | Verolight GmBH |
| Küche | mn küchen, Movanorm AG, Vaduz |
| Sofa im Wohnzimmer | Lawrence von Minotti |
| Holzdielen Innenraum | Eiche Massiv, geliefert von Roeckle AG, Vaduz |
| Holzdielen Terrassen | Lärche, geliefert von Roeckle AG, Vaduz, FL |
Projekt
www.holdergasse.liMehr Projekte
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