Rodolfo Dordoni
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Rodolfo Dordoni ist der Meister des Sofas. Geboren 1954 in Mailand, studierte er am dortigen Politechnico Architektur und traf auf seinen Kommilitonen Giulio Cappellini. Von 1979 bis 1989 übernahm er die Art Direction von dessen Familienunternehmen und verwandelte die Marke Cappellini in einen Protagonisten zeitgenössischen Designs. Mit seiner minimalistischen Glasleuchte Lumière verhalf er 1990 dem unbekannten Leuchtenhersteller Foscarini zum internationalen Durchbruch und leitet seit 1997 die kreativen Geschicke des Polsterproduzenten Minotti. Mit seinem Gespür für klare Formen und hochwertige Stoffe wurde das Unternehmen zum Inbegriff der heutigen Sitzlandschaft, die Komfort mit Zeitlosigkeit in Einklang bringt. Mit seinem 20-köpfigen Team entwirft Dordoni für fast alle rennomierten Hersteller wie Artemide, Cassina, Driade, Flos, Molteni&C, Moroso, Poltrona Frau oder Venini und plant mit seinem Architekturbüro Dordoni Architetti Geschäfte, Messestände, Restaurants, Hotels und Privathäuser rund um den Globus. Wir trafen Rodolfo Dordoni in seinem Mailänder Studio und sprachen mit ihm über die Rolle der Stoffe, geläuterte Kunden und die Idee eines Total Look.
Herr Dordoni, Sie haben in Ihrer über 30-jährigen Karriere weit mehr als 50 Sofas entworfen. Wie halten Sie diese überhaupt noch auseinander?
Ein Sofa ist nicht nur ein Möbel, sondern auch ein Gefühl. Es ist eine Mischung aus Elementen, die auf unterschiedliche Weise kombiniert werden können – so wie die Zutaten beim Kochen. Natürlich gibt es gewisse Ähnlichkeiten zwischen den Sofas, die ich bislang entworfen habe. Aber der entscheidende Unterscheid liegt in den Stoffen. Bei Minotti verbringe ich fast dieselbe Zeit, die ich für den Entwurf der Möbel benötige, für die Entwicklung der Stoffe. Das ist ein wichtiger Teil der Arbeit. Wir entwickeln die gesamte Stoff- und Farbpalette von Grund auf selbst und lassen sie dann von den Stoffherstellern produzieren, anstatt lediglich etwas Vorhandenes auszuwählen. Indem die Stoffe exklusiv und nicht bei anderen Herstellern erhältlich sind, erhalten die Sofas ihre eigene Identität.
Als Art Director von Minotti präsentieren Sie im Zwölf-Monats-Rhythmus eine umfassende neue Kollektion von Sitzmöbeln. Wie gehen Sie an deren Entwicklung heran?
Es ist ein ständiges Work in Progress. Schließlich arbeiten wir an derselben Typologie von Produkten seit fünfzehn Jahren. Ich würde nicht sagen, dass es jedes Mal das Gleiche ist, aber wir fangen nicht bei jeder Kollektion von vorne an. Als ich bei Minotti begonnen habe, habe ich ihnen vorgeschlagen, statt in einzelnen Produkten vielmehr in einem Kontext von Produkten zu denken. Es ging also nicht mehr um das Sofa, sondern um das Haus, in dem sich das Sofa befindet. Von diesem Punkt aus habe ich jedes Jahr eine neue Kollektion entwickelt, die einem wieder erkennbaren Stil folgt und dem Unternehmen seine Identität gibt. Sehr viele Möbelhersteller folgen heute dieser Strategie. Aber als wir damit begonnen haben, hat niemand außer in der Mode in Kollektionen gedacht.
Sie sprachen die Idee eines Hauses an, in dem die einzelnen Produkte zusammenfinden. Nach welchen Kriterien setzen Sie die Einrichtung um?
Um einen Ansatz für eine bestimmte Farbe oder ein bestimmtes Materials zu erhalten, haben wir uns vorgestellt, wer in diesem Haus wohnt. Am Anfang haben wir uns an Typologien wie Kunstsammler, Filmfans oder dergleichen gehalten, um einen Anhaltspunkt zu bekommen. Wenn wir heute eine Kollektion vorstellen, benutzen wir dieselbe Haltung. Dennoch geben wir jeder Kollektion ein eigenes Thema wie Reisen oder Musik, das die neuen Produkte miteinander verbindet. Um zu zeigen, dass sie mit früheren Entwürfen kompatibel sind, mischen wir sie auf Messen und in Showrooms stets mit älteren Kollektionen. Auch können die neuen Stoffe mit allen vorhandenen Modellen kombiniert werden. Wir wollen auf diese Weise zeigen, dass alle Produkte aus derselben Haltung heraus entworfen sind. Aus dem Katalog von Minotti wird somit tatsächlich ein Haus, bei dem in jedem Jahr etwas Neues hinzukommt.
Sie erzeugen auf diese Weise ein Gesamtbild, bei dem sämtliche Produkte über dieselbe Handschrift verfügen. Auch diese Idee des Total Look haben Sie aus der Mode übernommen.
Ich denke, darin liegt eine Qualität von vielen italienischen Herstellern, die sich in den letzten zwanzig Jahren entwickelt hat. Die meisten von ihnen sind heute in der Lage, die gesamte Bandbreite an Produkten anzubieten, die man im Haus um sich hat, seien es Stühle, Sofas oder Kleiderschränke. Es geht dabei nicht darum, wie ein Fashion Victim von Kopf bis Fuß in einer Marke gekleidet zu sein, mit all den passenden Accessoires (lacht). Doch der Kontext ist für Möbel entscheidend, um das Gefühl eines Zuhause zu erzeugen. Ein einzelnes Möbel bleibt immer ohne Zusammenhang.
Beschreiben Sie das Thema der aktuellen Minotti-Kollektion, die Sie gerade auf der Mailänder Möbelmesse 2012 vorstellen.
Wir nutzen Farben aus dem 50er Jahren wie Curry, Bordeaux, Dunkelrot, Orange oder Petrol. Es sind sehr warme Farben, die wir mit dekorativen Stoffe mit geometrischen Mustern mischen. Wir haben die dekorativen Stoffe auch auf Sesseln und Stühlen verwendet, die sich nachher aber mit allen Möbeln frei kombinieren lassen. Auch haben wir eine Textur von Leder verwendet, die besonders weich ist. Schließlich ist der Touch bei Leder entscheidend. Ein etwas ungewöhnliches Material haben wir für eine Ausstellung der Zeitschrift Interni verwendet, für die wir mit Straußenleder arbeiten sollten. In der Mode wird das Material bereits häufig für Taschen und Accessoires verwendet. Aber nicht für Möbel. Doch jetzt weiß ich, warum (lacht). Diese Noppen kratzen fürchterlich, wenn man darauf sitzt. Aber es war zum Glück nur für dieses eine Projekt.
Viele Möbelunternehmen setzen zurzeit auf historische Referenzen wie die omnipräsenten Klassiker des skandinavischen Designs der fünfziger Jahre. Hat die Möbelbranche Angst vor der Zukunft?
Die Welt ist etwas durcheinander in diesem Moment. Noch immer ist die Krise nicht überwunden, und natürlich schauen die Unternehmen sehr genau, wohin sich der Markt bewegt. Ich vermeide den Begriff Vintage. Aber wir leben in einer Zeit, in der der Großteil der Hersteller allein auf die Details schaut. Dadurch steigt die Aufmerksamkeit gegenüber den Materialien und der Verarbeitung. Vielleicht sind skandinavische Möbel aus den fünfziger Jahren ein Teil der Vorschläge, die den Kunden unterbreitet werden. Denn es ist einfacher, sich etwas zu nähern, das man nicht bekämpfen muss. Es geht dabei um mehr als den Komfort eines Polsters und bezieht auch die Beziehung mit ein, die man mit einem Produkt aufbaut. Es geht um ein komfortables Gefühl im Kopf.
Aber worin liegt dann Innovation?
Wir könnten über neue Materialien und Verarbeitungstechniken reden. Doch im Grunde machen sie keinen großen Unterschied. Die wirkliche Innovation ist, dass sich der Zugang zum Design deutlich erweitert hat. Es gibt sehr viel mehr Menschen, die sich heute mit Design beschäftigen. Früher haben die meisten Menschen altmodische Möbel verwendet oder Erbstücke der Familie. Heute hat jeder eine eigenen Vorstellung im Kopf. Wenn ich vor ein paar Jahren mit Kunden gesprochen habe, haben sie einem zugehört, als würde man über eine seltene Kampfkunst sprechen. Heute sind sie sehr gut vorbereitet und wissen, was im Markt passiert. Das bedeutet, dass unser heutiger Lifestyle das Design als etwas Alltägliches betrachtet. Es ist keine Spielerei, die den Reichen oder Menschen aus der Kultur vorbehalten ist. Das Design ist kein Extra, sondern ein normaler Teil des Alltags. Darin liegt die große Veränderung, die aber auch dazu führt, dass die Produkte unmittelbarer mit den Bedürfnissen der Kunden verbunden sind.
Neben Ihrer Arbeit als Designer und Art Director realisieren Sie zunehmend architektonische Projekte. Woran arbeiten Sie zurzeit?
Wir planen gerade zwei Kaufhäuser in Moskau und Sankt Petersburg. Hinzu kommen mehrere Privathäuser, darunter eine Villa am Comer See oder ein Chalet in der Schweiz. Im Mailänder Kaufhaus La Rinacente haben wir zwei Etagen umgebaut sowie ein Restaurant auf der Terrasse errichtet. Auch haben wir Yachten für den Bootshersteller San Lorenzo und mehrere Showrooms für Minotti geplant. Den überwiegenden Teil bilden jedoch Privathäuser.
Statten Sie diese vom Giebel bis zum Keller mit Ihren eigenen Möbeln aus?
Ich bin immer etwas schüchtern, meine eigenen Möbel vorzuschlagen. Denn ich fühle mich nicht wohl dabei, jemandem zu sagen, dass er mein Sofa kaufen soll. Wenn die Kunden mich fragen, dann mache ich es. Aber ich drücke ihnen nicht meine Produkte auf. Dennoch haben diese Projekte ein Gesamtbild, das man durchaus als Total Look bezeichnen könnte. Schließlich wurde sämtliche Produkte, von den Möbeln bis hin zu den Gabeln und Lichtschaltern, von mir vorgeschlagen.
Auf welchem Sofa sitzen Sie zuhause?
Ich bevorzuge einfache Sofas. Auch wenn ich das Chester mag, das genau das Gegenteil ist, bevorzuge ich eher ein großes, kubisches Sofa mit wenig Details. Die Qualitäten müssen eher im Inneren des Sofas liegen. Zuhause habe ich ein Jagger-Sofa von Minotti mit einem dunkel-graublauen Bezug aus Stoff, nicht aus Leder.
Vielen Dank für das Gespräch.
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