Ateliers am Rande der Welt
Das klare Licht des Nordens hat schon viele Künstler inspiriert und so berühmte Künstlerkolonien entstehen lassen wie jene in Worpswede oder im dänischen Skagen. Ende des 19.Jahrhunderts zog es zahllose Maler in das kleine Fischerdorf am äußersten Zipfel Jütlands, um dort die stürmische See und den weiten Himmel auf ihre Leinwände zu bannen. Auch heutzutage führt die Suche nach Inspiration viele Künstler in die Isolation abgeschiedener Landstriche, was sich nun eine kleine Inselgemeinde vor der Küste Neufundlands zu Nutze machen möchte.
Fogo Island zählt zu den strukturschwachen ländlichen Regionen, die weltweit von Arbeitslosigkeit und Bevölkerungsschwund betroffen sind. In den 1960er Jahren hatte die damalige Regierung sogar versucht, die gesamte Bevölkerung umzusiedeln – ohne Erfolg. Die Bewohner von Fogo Island gründeten eine Fischerei-Kooperative und blieben. Ein halbes Jahrhundert später zwingt die wirtschaftliche Situation jedoch weiterhin viele Insulaner, ihre Heimat zu verlassen. So auch Zita Cobb, die im Alter von 16 Jahren mit ihrer Familie auf das Festland zog und später in der IT-Branche Karriere machte. Sie hat jetzt eine Stiftung gegründet, um ihrem Geburtsort zu wirtschaftlichem Aufschwung zu verhelfen.
Ein ehrgeiziges Projekt
Mit der Shorefast Foundation versucht Zita Cobb, soziales Unternehmertum und Kunstförderung als Jobmotor zu nutzen. Ein Arts-Residency-Program soll Künstler nach Fogo Island locken und so auch für High-End-Touristen attraktiv machen. Dafür wurden sechs Künstlerateliers und ein Hotel entlang der felsigen Küste geplant. Die Wahl des Architekten fiel auf Todd Saunders, einen gebürtigen Neufundländer, der seit 1997 in Norwegen lebt und arbeitet. Er verbindet Merkmale der regionalen Kultur und Geografie mit der minimalistischen Ästhetik skandinavischer Architektur. Alle Atelierhäuser liegen direkt am Meer, isoliert von zivilisatorischer Infrastruktur und dennoch unweit der verschiedenen Gemeinden Fogo Islands, in denen zusätzlich traditionelle Wohnhäuser zur Beherbergung der Künstler renoviert werden. Das erste fertiggestellte Studio – das Long Studio – steht schon in Laufentfernung von Joe Batt´s Arm, dem Heimatdorf der Stiftungsgründerin.
Atelier mit Meerblick
Das langgestreckte Long Studio mit einer Grundfläche von 120 Quadratmetern spiegelt in seiner Dreiteilung den Wandel der Jahreszeiten. Ein halboffener Eingangsbereich mit Überdachung steht für den Beginn aller jahreszeitlichen Aktivität: den Frühling. Das Zentrum ist gänzlich offen gehalten und bietet den Künstlern die Möglichkeit, in die langen Tage des nordischen Sommers förmlich einzutauchen. Der zum Meer ausgerichtete Hauptteil des Gebäudes soll hingegen Schutz und Rückzug vor der kälteren Jahreszeit bieten. Einzige Verbindung zur Außenwelt ist hier das Panoramafenster, das einen unverstellten Blick auf die tosende Brandung erlaubt. Durch die beiden großen Fenster an den Gebäudeenden sowie das Oberlicht im Dach wird der gesamte, in Weiß gehaltene Innenraum von Naturlicht durchflutet.
Eine der Seitenwände hat eine Tiefe von einem Meter, um Platz für sanitäre Anlagen und Stauraum zu schaffen. Da die Türen bündig mit der Wand schließen, wird so jegliche visuelle Ablenkung vermieden und die Klarheit der Form gewahrt. Als Referenz an die jahrhundertealte Inselarchitektur ruht das gesamte Long Studio auf Stelzen. Es wurde während der kalten Wintermonate in einer lokalen Werkstatt vorgefertigt und im Frühling auf seinem felsigen Küstenstandort errichtet. Durch diese Vorgehensweise konnten die traditionelle Handwerkskunst reaktiviert und neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Ebenso wichtig wie der wirtschaftliche Aspekt war dem Projektteam ihre ökologische Verantwortung. Die Atelierhäuser sollten sich harmonisch in die Landschaft fügen und nicht in Konkurrenz zu der rauen Schönheit ihrer Umgebung treten. Um überdies die inspirierende Abgeschiedenheit der Künstler nicht auf Kosten der Natur zu gestalten, planten die Architekten alle Studios als energieautarke Einheiten. Das Long Studio bezieht Energie und Wärme über Sonnenkollektoren und einen kleinen Holzofen, es verfügt über eine Komposttoilette und deckt den gesamten Wasserverbrauch über einen Regenwassertank auf dem Dach. Selbst die unvermeidliche Verwitterung der Holzfassade ist Teil des Konzepts – über die Jahre werden die Studios so mehr und mehr zu einem organischen Bestandteil der nordatlantischen Insel.
Ein neues Skagen
Schon im September diesen Jahres sollen alle weiteren Studios sowie das neue Inselhotel Fogo Island Inn planmäßig fertiggestellt sein. Im nächsten Frühling können sie also kommen, die Künstler – und in ihrem Schlepptau hoffentlich die ersehnten zahlungskräftigen Touristen. Dann wären die ersten 16 Millionen Dollar der Stiftung gut investiert und womöglich wird Fogo Island sogar das Skagen des 21. Jahrhunderts.
FOTOGRAFIE Bent Rene Synnevag / Saunders Architecture
Bent Rene Synnevag / Saunders Architecture