Duale Spirale
Neuer Bershka-Shop von OMA in Mailand

Es muss nicht immer Luxus sein. Wie auch günstige Marken die Innenarchitektur zur Spielwiese erklären, zeigt der Bershka-Shop am Mailänder Corso Vittorio Emanuele II. Der Entwurf von OMA-Partnerin Ellen van Loon vereint Pop und Brutalismus. Digitales und analoges Kaufverhalten gehen plötzlich Hand in Hand.
Online-Shopping wirkt auch in die analoge Wirklichkeit hinein. Denn es verändert den Grund, ein physisches Geschäft zu betreten. Ein purer, funktionaler Kaufprozess zieht nicht mehr. Es geht um Erfahrungen, die über das Digitale hinausgehen, die sich mit Bits und Bytes nicht erzeugen lassen. „Das Geschäft ist nicht mehr nur Auslage und Warenlager, sondern ein Raum von wiederentdeckter architektonischer Qualität, in dem Online- und Offline-Shopping eine sich gegenseitig anregende Koexistenz eingehen“, sagt Ellen van Loon. Die Partnerin im Office for Metropolitan Architecture (OMA) hat sich auf Retail-Projekte spezialisiert. Nicht nur das Berliner KaDeWe wird derzeit unter ihrer Regie transformiert. Ihr neuestes Projekt wurde im deutlich günstigeren Segment realisiert: der Mailänder Flagship-Store von Bershka, einer Marke des Zara-Mutterkonzerns Inditex, die gerade ihr 25-jähriges Bestehen feiert.
Transformation zum Service-Hub
Der dreigeschossige Shop liegt nur wenige Schritte vom Dom entfernt. Einst dienten die Räume als Kino, bis sie in den Nullerjahren – wie die meisten Lichtspielhäuser an dem zur Fußgängerzone umgewandelten Corso Vittorio Emanuele II – zum Verkaufsraum wurden. „Das neue Interieur schafft eine Schnittstelle mit der Stadt, indem es das Geschäft zur Straße und zur angrenzenden Galleria del Corso öffnet“, erklärt Giulio Margheri, verantwortlicher Projektarchitekt bei OMA. Nicht nur damit unterscheidet es sich von der umliegenden Konkurrenz. „Die Frage war, wie sich Bershka von einem typischen Fast-Fashion-Store zu einem Dienstleistungszentrum entwickeln könnte“, sagt Ellen van Loon.
Von der Wand in den Raum
Schließlich gibt es heute ganz verschiedene Nutzungen: Kund*innen kaufen online und holen die Ware im Geschäft ab, andere probieren sie im Geschäft an und kaufen online. Und viele bringen die Retouren ihrer Online-Einkäufe direkt in die Geschäfte zurück, um den CO2-Abdruck beim Transport zu senken. All das hat unmittelbare Folgen für den Grundriss des 1.872 Quadratmeter großen Geschäfts. Die klassischerweise an den Wänden angeordneten Servicebereiche rücken zum Teil in die Raummitte. Dort werden sie als Inseln mit eigener visueller Identität in Szene gesetzt. So wirkt der „Click & Collect“-Counter, an dem online gekaufte Ware abgeholt werden kann, wie ein Monolith aus rosafarbenem Harz, an dessen Rückwand blaue und pinke Lichter einen atmosphärischen Farbverlauf erzeugen.
Miniaturisierte Stadt
„Die Erweiterung und Diversifizierung der Dienstleistungen ermöglicht den Käufer*innen unterschiedliche Tempi, sei es ein schneller Besuch oder eine gemütliche, engagierte Erkundung“, betont Ellen van Loon. Es gibt weite Bereiche, die eine schnellere Zirkulation erlauben und die Blicke durch den gesamten Raum wandern lassen. Andere Zonen kreieren Momente der Intimität, wo die Geschwindigkeit der Bewegung verlangsamt wird. Das Interieur wird als eine Art verkleinerte Stadt verstanden, in der sich weite Boulevards mit Plätzen und kleinen Gassen abwechseln. Über allem schwebt unterhalb der Decke ein mit LED-Leisten bestücktes Gitterwerk mit quadratischem Zuschnitt: eine poppig anmutende Referenz an Rem Koolhaas’ Lehrmeister Oswald Mathias Ungers.
Holz-Metall-Kontrast
Für Momente des Innehaltens sorgen die Rolltreppen mit hölzernen Seitenflächen. Hier kommt kein edler Nussbaum zum Einsatz wie im KaDeWe, sondern schlichte Fichte. Das Material bringt eine warme, wohnliche Tonalität in das sonst in hellen Grautönen gehaltene Interieur. Unweit des Haupteingangs am Corso Vittorio Emanuele II zieht eine Wendeltreppe die Blicke auf sich. Ihr oberer Abschluss folgt einer durchgehend fließenden Kontur, die Unterseite bildet hingegen als Zickzack-Formation den Höhensprung der Stufen ab. Die Materialität verstärkt diese Dualität: Innen ist die Treppe ganz mit stählernen Blechen verkleidet, die eine dreidimensional genoppte Struktur besitzen und so dem metallischen Schimmer einer taktile Oberflächenqualität entgegensetzen. Die seitlichen Einfassungen sowie die Unterseiten sind aus Fichten-Sperrholz gearbeitet.
Social-Media-Bühnen
Eine Verknüpfung von physischer und virtueller Welt wird in den Umkleidekabinen angestrebt. Spezielle Fitting-Lounges, die Platz für bis zu vier Personen bieten, lassen sich vorab über eine App buchen. Sie sind mit weichen Teppichböden ausgestattet, die den Schall absorbieren. Das Licht kann gedimmt werden. Mittels integrierter Soundsysteme können die Kund*innen ihre eigene Musik hören. Die Idee: Kleidungsstücke nicht nur allein anzuprobieren, sondern das Einkaufserlebnis mit Freund*innen direkt über die sozialen Netzwerke zu teilen. Der Shop wird so zur Sendestation von Werbung, die die Kund*innen selbst kreieren. In den konventionellen, nur für eine Person ausgelegten Umkleiden zählt ein automatisches Erkennungssystem die Kleidungsstücke beim Betreten und Verlassen. Getrennte Ein- und Ausgänge beschleunigen ebenso den Wechsel der Personen. Niemand soll hier warten müssen.
Inneres Schaufenster
Licht-Farbverläufe oberhalb der Selbstbedienungskassen und Service-Schalter tauchen den Konsum-Akt in ein irisierendes Spektrum. Von den Kassen im Obergeschoss fällt der Blick hinab ins Erdgeschoss. Dort wurde die Zwischendecke durch einen beherzten Griff zum Presslufthammer entfernt. Ein Teil der freigelegten Gebäudestruktur wurde mit einer aufgespritzten Betonstruktur überzogen, die eine poröse Textur besitzt. Die Dreidimensionalität der Oberflächen sorgt für wechselnde Schattenwürfe. Vor allem das Obergeschoss vollzieht mehrere Höhensprünge. Die Kund*innen wandeln auf abgeschrägten Ebenen völlig barrierefrei. Die Bereiche für Kleiderpuppen sind hingegen stufenförmig arrangiert. Sie dienen als eine Art inneres Schaufenster, das beim Parcours durch das Geschäft umrundet und so aus unterschiedlichen Perspektiven wahrgenommen wird. Schnöde Verkaufsräume, so die Botschaft, haben ausgedient.
FOTOGRAFIE Marco Cappelletti, Courtesy of Bershka and OMA
Marco Cappelletti, Courtesy of Bershka and OMA
Projekt | Bershka Shop |
Kunde | Inditex |
Standort | Corso Vittorio Emanuele II, Mailand, Italien |
Einzelhandelsfläche | 1.872 Quadratmeter |
Interieur | Office For Metropolitan Architecture (OMA) |
OMA-Partner | Ellen van Loon |
OMA-Associate | Giulio Margheri |
Projektarchitekten | Aleksander Zinovev, Valerio Di Festa, Lina Jaidi |
Concept Design | Giulio Margheri, Lina Jaidi, Camille Filbien, Valerio Di Festa, Aleksander Zinovev, Eleni Varnavides, Philippe Le Quellec, Alicja Krzywinska, Mateusz Kiercz, Aleksander Zinovev, Alex Tintea, Giada Zuan, Mingda Zhang, Caterina Solini, Theodora Gelali, Eugene Kim, Giorgia Castelli |
Ladengestaltung | Giulio Margheri, Valerio Di Festa, Aleksander Zinovev, Jacopo Bellina, Miguel Herreras, Assem El Cheikh, Federico Taiariol, Luisa Carvalho Punchirolli, Lina Kostoff |
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