Shoppen im Wattebausch
Neue Jacquemus-Boutiquen von AMO in Paris und London
Monochrome Kissenwelt trifft Weinberge aus Lehm: AMO hat für das französische Modelabel Jacquemus drei Shop-in-Shops in Paris und London entworfen. Inspiration fanden die Architekt*innen Ellen van Loon und Giulio Margheri in der südfranzösischen Heimat des Firmengründers.
In der Mode geht es mitunter ganz schnell. Simon Porte Jacquemus brauchte keine drei Jahre, um vom unbekannten Jungdesigner zum Liebling der Pariser Fashion-Szene aufzusteigen. 2009 gründete der Bauernsohn im Alter von 19 Jahren sein Label Jacquemus, das puristische, oft asymmetrische Schnitte mit Einflüssen aus seiner provenzalischen Heimat verbindet. Klarheit und Sinnlichkeit sind hier keine Antipoden, sondern gehen auf lässige Weise Hand in Hand.
Ein sicheres Gespür für Inszenierungen beweist Jacquemus mit seinen Modenschauen. 2019 ließ er die Models für die Kollektion Le coup de soleil durch ein Lavendelfeld laufen. Im Juli 2020 gehörte er zu den ersten Modedesigner*innen, die nach Ausbruch der Pandemie wieder ein physisches Defilee abhielten: Die Kollektion L’Amour zeigte er in einem Getreidefeld außerhalb von Paris. Die aktuelle Herbst-Winter-Kollektion 2022 Papier wurde inmitten von hoch aufragenden Salzhügeln in der Camargue präsentiert. Bezüge zu den südfranzösischen Ursprüngen des Labels sollen auch in den Boutiquen spürbar sein.
Materieller Zugang
AMO – das Schwester-Büro von OMA in Rotterdam – hat hierzu die ersten Shop-in-Shops für Jacquemus entwickelt. „Wir wollten die Atmosphäre der Provence durch die Materialität der Räume einfangen, was uns dazu veranlasste, das Design auf eine ganz andere Weise anzugehen“, sagt Ellen van Loon, Partnerin von OMA/AMO und Chefarchitektin des Projekts. „Anstatt mit der Form zu arbeiten und erst im Nachhinein über die Materialien zu entscheiden, wählten wir gleich am Anfang die Materialien aus und ließen sie die Form der einzelnen Räume bestimmen“, erklärt die 1963 geborene Niederländerin, die ihre Interieurs mit dem Projektarchitekten Giulio Margheri plant. Zuvor hatte das Duo bereits Boutiquen für Off-White, Tiffany & Co. und Bulgari eingerichtet und es verantwortet auch die derzeit voranschreitende Umgestaltung des Berliner KaDeWe.
Rundum gepolstert
Die beiden ersten Jacquemus-Boutiquen sind durchgehend monochrom gehalten – jedoch in geradezu gegensätzlicher Ausführung. Das 60 Quadratmeter große Damengeschäft in den Galeries Lafayette Paris wirkt wie ein riesiger, begehbarer Wattebausch. Sämtliche Wände im Verkaufsraum sowie in den Umkleiden sind mit rechteckigen Kissen verkleidet. Sie sind mit einem cremeweißen Leinenstoff bezogen, der Assoziationen an warme Sommerabende auf dem Land erweckt. Die Kissen kommen ebenso für Regale zum Einsatz, die als Nischen in die Wände eingelassen sind oder als kubische Volumina aus den Wänden in den Raum hineinragen.
Die Umkleidekabinen werden durch Vorhänge aus schmalen, vertikalen Polsterschlangen abgetrennt. Als ungewöhnliche Mixtur aus Sitzgelegenheit und Präsentationsfläche dient ein Stapel Kissen, der freistehend im Raum platziert wurde. Ellen van Loon sieht darin „die Leichtigkeit und den Komfort eines im Bett verbrachten Tages“. Die Weichheit des gepolsterten Textils filtert Geräusche und Stimmen heraus. Es entsteht ein ruhiger, beinahe intimer Ort, der einen Moment der Einkehr erlaubt.
Erdiger Kontrast
Ganz anders wirkt die 82 Quadratmeter große Accessoire-Boutique im Erdgeschoss des Londoner Kaufhauses Selfridges: Wände und Boden sind aus Terracruda geformt, einem Material auf Lehmbasis, das ebenso die Landschaft Südfrankreichs widerspiegeln soll. Die Oberflächen changieren in ihrer Struktur und Farbigkeit. Sie bringen eine lebendige Wirkung und subtile Sinnlichkeit mit ein. Ellen van Loon und ihr Team kontrastieren Material und Form. Während in Paris den weichen Kissen eine streng gerasterte, kubische Raumordnung gegenübergestellt wird, warten die harten Lehmoberflächen in London mit sanften Kurven auf.
Kantige Pyramide
Die Wände schlängeln sich durch den Raum und vollziehen mehrere Höhensprünge. Sie wirken wie abstrahierte Weinberge, in denen Taschen und andere Lederwaren wirkungsvoll in Szene gesetzt werden. Die unteren Stufen können auch als informelle Sitzgelegenheit dienen. Ergänzt werden sie von Sesseln, Stühlen und Tischen, die ebenso aus dem von Hand aufgetragenen Terracruda gefertigt sind, jedoch mit streng kubischen Proportionen aufwarten. Ein freistehendes Regal lässt an eine dem rechten Winkel unterworfene Stufenpyramide denken. Kantig und rund ergänzen sich, vereint durch die Kontinuität ihrer erdigen Materialität. Ebenfalls in London ist im Herbst die Eröffnung des dritten Shop-in-Shops im Kaufhaus Harvey Nichols geplant – diesmal wieder watteweich.
FOTOGRAFIE Benoit Florençon Benoit Florençon
Typologie | Retail |
Kunde | Jacquemus |
Orte | Paris, London |
Interior | AMO |
AMO-Partnerin | Ellen van Loon |
Projektarchitekt | Giulio Margheri |
Entwurfsteam | Valerio Di Festa, Camille Filbien, Mattia Locci |