Auf den Spuren Palladios
Wohnungsumbau in Barcelona von Raúl Sánchez
Aus alt mach neu: Der katalanische Architekt Raúl Sánchez hat seine alte 95-Quadratmeter-Wohnung einer radikalen Verwandlung unterzogen. Aus einer Vielzahl kleiner Räume wurde ein Open Space, in dem sich Stanley Kubrick und Andrea Palladio die Hände reichen.
Was tun, wenn eine Stadtmauer obsolet geworden ist? Anders als in Wien, wo die Ringstraße bis heute den Verlauf der alten Grenze markiert, ging man in Barcelona in eine andere Richtung. Der Stadtplaner Ildefons Cerdà entwarf das Planviertel Eixample – mit streng gerasterten Häuserblöcken und diagonal abgeschrägten Ecken, sodass sich die Kreuzungen in kleine Plätze verwandelten. Am nordöstlichen Ende von Eixample ist in den vergangenen Jahren der neue Stadtteil 22@ entstanden, wo unter anderem Jean Nouvels Torre Agbar in die Höhe ragt. Genau am Übergang zwischen beiden Vierteln – der Grandezza des 19. Jahrhunderts auf der einen Seite und der eklektischen Gegenwart auf der anderen Seite – hat Raúl Sánchez seine Wohnung umgebaut.
Entzerrung der Grundrisse
„Im ursprünglichen Zustand waren die Innenräume als zwei Schächte organisiert, die parallel zur Fassade verliefen und überaus schmal waren, keine drei Meter breit. Jeder Schacht war als eine Abfolge von sehr kleinen Räumen organisiert, ohne eine Möglichkeit, diese Räume an heutige Lebensgewohnheiten anzupassen“, sagt der katalanische Architekt. Also tat er das einzig Richtige: Er riss die Innenwände heraus und schuf einen loftartigen Open Space.
Dieser folgt einem Zuschnitt von 6,15 Metern mal 6,15 Metern Seitenlänge. An das Quadrat schließt sich ein schmales Dreieck an, dessen schräg gestellte Wand orthogonal auf die ebenfalls schräge Ecke des Gebäudeblocks zuläuft. Das Dreieck definiert einen Durchgangsraum mit drei Türen. Die eine führt zum trapezförmigen Kinderzimmer, die andere zum Badezimmer. Eine weitere Tür offenbart einen kleinen Korridor, an den sich das Elternschlafzimmer sowie ein zweites Bad anschließen.
Palladianisches Vorbild
„Es gibt nur vier Zimmer, genau wie in den Villen von Palladio. Für ihn waren vier Zimmer in einem Haus völlig ausreichend“, scherzt Raúl Sánchez. Die Ideen des Renaissance-Großmeisters auf 95 Quadratmeter Wohnfläche zu komprimieren, klingt nach einer ambitionierten Aufgabe. Eine wichtige Rolle fällt hierbei dem zentralen Open Space zu, in dem die Funktionen zusammentreffen: Den Wohnbereich markiert ein Ledersofa, das ebenso wie die wandmontierte Küchenzeile maßgefertigt wurde. Davor stehen der Esstisch Oak Slice sowie zwei Stühle aus der Serie Oak Bok, alles von Ethnicraft. Dazu eine Leseecke mit Bücherregal Dry von Ondarreta und drei Klassikern der Moderne: Ein Plywood Chair LCW von Charles und Ray Eames (Vitra) und ein lederbespannter Hardoy Butterfly Chair (Entwurf: Antonio Bonet i Castellana, Juan Kurchan und Jorge Ferrari-Hardoy, produziert von Manufakturplus) treffen auf den AJ Trolley von Arne Jacobsen (Fritz Hansen) und – als Sprung in die Gegenwart – den Teppich Wellbeing von Ilse Crawford (Nanimarquina).
Rotierende Zonen
In der Raummitte steht eine metallene Box, deren Form an den geheimnisvollen, schwarzen Monolithen aus Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum erinnert – nur mit dem Unterschied, dass hier gülden schimmerndes Messing verwendet wird. Im Inneren des Metallkörpers verbirgt sich die verbliebene Ecke einer tragenden Wand, die aus statischen Gründen nicht entfernt, sondern zusätzlich mit Beton verstärkt werden musste. Dem Raumgefüge tut dies keinen Abbruch – im Gegenteil. Denn so werden die Raumfunktionen nicht wild vermischt, sondern einzelnen Ecken zugewiesen, die sich in kreisförmiger Abfolge um den Messingkorpus zentrieren: fast so, wie Palladio die Räume seiner Villa Rotonda um einen runden Hauptsaal rotieren ließ.
Hölzerne Rückwand
„Angesichts der simplen Raumaufteilung kommt den Materialien eine besondere Rolle zu. Sie multiplizieren die Sinneswahrnehmungen und vergrößern die räumliche Komplexität“, sagt Raúl Sánchez. Die Wände im dreieckigen Durchgangsraum sind ebenso wie die Wohnzimmerrückwand und die Fronten der Küche mit offenporigen, schwarz gestrichenen Eichenholzpaneelen verkleidet. „Auf diese Weise vereint das Material ursprünglich getrennte Räume und assimiliert verschiedene Funktionen durch die gleiche Textur“, erklärt der Architekt, der sein Studium in Granada absolviert und sein eigenes Studio 2005 in Barcelona gegründet hat.
Rosafarbene Raumklammer
Die schwarzen Holzpaneele definieren ein umlaufendes Band, das durch Türen aus unbehandeltem Edelstahl unterbrochen wird. Raúl Sánchez verwendet das Metall auch für die Rückwand sowie die Fronten der oberen Ablagen in der Küche. Der schimmernde Stahl sorgt für diffuse Reflexionen des einfallenden Sonnenlichtes. Zudem schlägt er eine Brücke zur monolithischen Säulenverkleidung in der Raummitte. Die übrigen Wände sind weiß gestrichen. Für einen Tupfer Farbe sorgt ein zartes Rosa, das für die Rückwand des Bücherregals, die Decke des dreieckigen Durchgangsraums sowie den großen Teppich (Modell Ply von MUT Design Studio für GAN) in der Raummitte Verwendung findet. Das Spannende dabei: So edel die räumliche Verwandlung mitsamt der neuen Möblierung wirkt – sie konnte für weniger als 150.000 Euro umgesetzt werden. Ergo: Aus alt wieder neu zu machen, lohnt sich eben.
FOTOGRAFIE José Hevia
José Hevia
Ort | Barcelona |
Typologie | Wohnung |
Größe | 95 Quadratmeter |
Regal | Dry von Ondarreta |
Sessel 1 | Plywood Chair LCW von Charles und Ray Eames, produziert von Vitra |
Sessel 2 | Hardoy Butterfly Chair von Antonio Bonet i Castellana, Juan Kurchan und Jorge Ferrari-Hardoy, produziert von Manufakturplus |
Trolley | AJ Trolley von Arne Jacobsen für Fritz Hansen |
Teppich | Ply von MUT Design Studio für GAN |
Küche | RSA |
Sofa | RSA |
Couchtisch | Pedrera von Barba Corsini, produziert von Gubi. |
Esstisch | Oak Slice von Ethnicraft |
Esstisch-Stuhl | Oak Bok von Ethnicraft |