Bella Garbatella
Trendlokal in historischer Bäckerei von Studio Tamat
Im Herzen des pittoresken römischen Viertels Garbatella wurde ein leer stehendes Ladenlokal in ein Keller-Restaurant mit Straßen-Bar verwandelt. Das Konzept stammt aus der Feder von Studio Tamat. Mit viel Respekt vor Geschichte und Bestand entschloss sich das aus der italienischen Hauptstadt stammende Designbüro zu farbigen Interventionen, schwebenden Treppen und einem Neon-Schriftzug als Liebeserklärung.
In dem autobiografisch angelegten Film „Caro Diario“, zu Deutsch „Liebes Tagebuch”, fährt der in Rom aufgewachsene Regisseur und Schauspieler Nanni Moretti 1993 auf einer Vespa durch seine Heimatstadt. Es ist Sommer, die Straßen sind verlassen – aber die architektonische Schönheit der menschenleeren Metropole allein reicht aus, um ihn zu begeistern. Das Lieblingsviertel für seine motorisierten Streifzüge ist Garbatella, ein im Süden der italienischen Hauptstadt gelegenes Viertel, das in den 1920er-Jahren nach dem Vorbild der Gartenstädte gebaut wurde. In einer Szene fährt Moretti unter einem gemauerten Bogen in die Gassen von Garbatella – zur Linken ein Haus mit der Nummer 19. Heute hängt im Eingangsbereich dieses Hauses ein Neonschriftzug, der mit seinem Reim gleichsam eine Hommage an Moretti ist, wie auch an das beschauliche Wohnviertel: „Quanto è bella Garbatella“ – „Wie schön ist Garbatella“.
Interventionen im Bestand
Jahrelang stand das Haus, das einst eine Bäckerei beherbergte, leer. Heute ist es ein Restaurant namens Tre de Tutto, das nicht weniger sein will als „das neue Trendlokal“ der Stadt. Auf der Karte stehen neu interpretierte Klassiker der römischen Küche – und die Idee hinter dem Speiseplan lässt sich auch auf das Interior übertragen. Gestaltet wurden die Innenräume des Lokals von Studio Tamat aus Rom, einem von Tommaso Amato, Matteo Soddu and Valentina Paiola gegründeten Büro. In dem lange ungenutzten Ladengeschäft trafen die Gestalter*innen auf viele Zeichen der Zeit: Den abblätternden Putz, eine anderthalb Meter hoch reichende Verkleidung mit blauen Majolika-Fliesen und die großzügigen, zum Stadtplatz weisenden Bogenfenster. „Von Anfang an war es unser Ziel, den bestehenden Raum nicht zu entstellen, sondern ihn aufzuwerten“, beschreibt Matteo Soddu das Designkonzept. Die Designer*innen konservierten den rauen Putz unter einer Schutzschicht und nutzten das kräftige Blau der Fliesen, um einen starken Kontrast zu erzeugen.
Mut zur Farbe
„Es sollte ein Dialog zwischen dem zeitgenössischen Design und den architektonischen Elementen werden“, erklärt Soddu. Das Zeitgenössische zeigt sich vor allem farbenfroh. Damit das Konzept nicht in ein allzu poppiges Universum abgleitet, holte das Trio sich mit Sabina Guidotti eine ausgewiesene Farbexpertin zur Seite. Sie stellte den neutralen Nuancen des Bestands eine dynamische Palette aus kräftigen Tönen gegenüber. Die Fugen zwischen den blauen Fliesen wurden ziegelfarben getönt und passen damit farblich zu vielen anderen Details des Raums. Darunter die Adern des Marmortresens, die in einem kräftigen Aprikosen-Ton leuchten, die zartrosa lackierten Recycling-Metallstühle oder die bespannte Sitzfläche der langen, wandlaufenden Bank. Sie sind Vorboten für die Farbwelt im Untergeschoss, in das die im hinteren Bereich der Bar versteckt liegende Treppe führt.
Konservierte Geschichte
Das Restaurant besteht mit dem Erdgeschoss und dem angeschlossenen Keller aus zwei Etagen. Auf Straßenniveau ist die Atmosphäre mit Bartresen und nur wenigen Möbeln informell und kommunikativ, während sich im Souterrain zwei Speisesäle für die Gäste, die Küche mit Lagerräumen sowie Serviceräume für das Personal befinden. Die Verbindung von oben nach unten führt durch einen lachsfarbenen Treppentunnel. Kurz verschwindet der Gast in dem monochromen Schacht mit rundem Bullaugen-Fenster, bevor er in einem hellblau gehaltenen Gastraum landet. Eine Tapete mit abstrahiertem Fliesen-Print greift das Muster der grauen Bodenplatten auf, gläserne Leuchtsphären sowie dekorative Pyramiden und Kugeln deklinieren die Geometrie als Thema. Farblich ist die in den Raum eingehängte Treppe das dominanteste Element. Sie verbindet das Souterrain alternativ zum Haupteingang im Erdgeschoss direkt mit der Straße. Die sonnengelbe Metallstruktur schwebt über dem Boden und ist seitlich mit mikroperforierten Blechen verkleidet.
Rom gestern und heute
Das Interior des Bar-Restaurants ist einfach und funktional, aber keinesfalls zurückhaltend. Mit seinen gezielten Interventionen hat Studio Tamat in dem Gebäude aus den 1920er-Jahren, das sich durch bescheidene Materialien und kaum dekorative Details auszeichnet, ein zeitgenössisches Lokal mit klarem Ortsbezug geschaffen. „Tre de Tutto ist ein origineller Hybrid aus einem feinen Restaurant und einer lokalen Bar und verbindet auf geschickte Weise einen populären Geist mit raffinierten Details“, fasst Studio Tamat zusammen. Die Planer*innen haben den Bestand erhalten, ihn konserviert und durch farbige Elemente und Interventionen ins Zeitgenössische geholt. Damit passt der Speisesaal dann auch zur Karte, denn auf dem Teller wird die römische Tradition ebenfalls einfach und modern interpretiert.
FOTOGRAFIE Seven H. Zhang Seven H. Zhang
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