Berliner Holz-Beton-Hybrid
Lichtdurchflutete Remise von Jan Wiese Architekten
Entdeckung im Berliner Hinterhof: Jan Wiese Architekten haben in Zusammenarbeit mit Ralf Wilkening im Stadtteil Prenzlauer Berg eine Remise errichtet. Die Holz-Beton-Verbundkonstruktion sorgt für viel Tageslicht und ein angenehmes Raumklima. Rückendeckung kam durch Spuren aus der Eiszeit.
In Berlin wird derzeit so viel gebaut wie in keiner anderen europäischen Hauptstadt. Doch bei aller Quantität ist die Qualität rar geworden. Umso schöner, dass es sie dennoch gibt – selbst wenn sie für Passanten nicht zu sehen ist: auf einem Innenhof in der Immanuelkirchstraße im Stadtteil Prenzlauer Berg. Dort haben Jan Wiese Architekten in Zusammenarbeit mit dem Architekten Ralf Wilkening eine Remise errichtet. Die umliegenden Gebäude wurden allesamt um 1900 erbaut – nach einem verlässlichen Schema: „Vorderhaus, Hinterhaus und dann eine Remise. Es ergab sich eine tolle Nutzungsmischung. Während in Vorderhaus und Hinterhaus gewohnt wurde, waren in der Remise Handwerker tätig: Tischler, Sattler, Schlosser, Drucker, Bäcker. Vieles, was zum Leben nötig war, wurde direkt vor Ort hergestellt“, erklärt Jan Wiese.
Tänzelnder Lichtfänger
Während das Wohnen blieb, ist das Gewerbe längst davon gezogen. Durch den Bau eines neuen Hofhauses soll es wiederkehren, wenngleich sich die Professionen in der Zwischenzeit deutlich gewandelt haben. An die Stelle des Handwerks treten heute Programmierer, Grafiker, Planer und andere Berufe. Sie machen keinen Lärm – und brauchen daher nicht hinter schweren Wänden versteckt zu werden. Im Gegenteil: Jan Wiese Architekten setzen auf Transparenz. Die bodentiefen Fenster werden lediglich von schmalen, vertikalen Stützen unterbrochen. Der 502-Quadratmeter-Bau igelt sich nicht ein. Er holt so viel Tageslicht ins Innere, wie er draußen absorbieren kann.
Einige der bodentiefen Fenster können vollständig zur Seite geschoben werden. Filigrane Geländer spannen sich in tänzelnden Zickzacklinien von einer Seite der hölzernen Fensterrahmen zur anderen und verwandeln die offenen Fassadenstellen in französische Balkone. Der Innenraum erhält das Flair eines halben Außenraums, womit keineswegs nur in Coronavirus-Zeiten ein Mehrwert entsteht. Immer mehr Büromieter wünschen sich Außenräume, in denen ihre Mitarbeiter frische Luft tanken oder informelle Besprechungen führen können. Auf dem Dach der Remise wurde daher eine Terrasse eingerichtet, die gemeinschaftlich genutzt werden kann. Als räumliche Einfassung dient das identisch Zickzack-Geländer, das auch für die Balkone Verwendung findet.
Atmosphärischer Hybrid
Vier Gewerbeeinheiten umfasst der Bau – auf den drei Obergeschossen sowie im Souterrain jeweils eine. Die Konstruktion setzt auf ein Zusammenspiel aus Beton und Holz: Lärche für den Außen- und Fichte für den Innenbereich. „In den Aspekten Energie, Bauzeiten und Lebensdauer wurde deutlich, dass eine Hybridkonstruktion mit Holz in diesem Projekt einer klassischen Massivbauweise überlegen war“, sagt Jan Wiese. Die tragenden Wände wurden vor Ort aus Sichtbeton gegossen. Sie verfügen über Aussparungen, in die vorgefertigten Holzträger eingelassen wurden. Die Decken selbst wurden im Sandwich-Verfahren realisiert: Unten ruht eine Schicht aus Holzplanken, darüber wurde eine zweite Ebene aus Beton gegossen, die als Fußboden für das obere Stockwerk dient.
Grüße aus der Eiszeit
„Die Deckenkonstruktion bleibt im Innenraum sichtbar und trägt maßgeblich zur besonderen Atmosphäre der Räume bei“, erklärt Jan Wiese. Auch einige Regale und Kastenmöbel wurden von seinem Büro entworfen und gebaut. Mit ihrer hölzernen Materialität setzen sie dem Schroffen und Harten des Betons eine weiche, organische Facette entgegen. Auch Spuren aus der Erdgeschichte prägen den Bau. Der Stadtteil Prenzlauer Berg liegt auf der Grundmoräne des Barnims – einer während der vergangenen Eiszeit gebildeten Landschaft, in der sich vom Gletschereis mitgetragenen Sedimente abgelagert haben. „Manche werden sagen: ‚Das mit der Grundmoränenfläche des Barnim ist wirklich unwichtig.’ Das stimmt nicht. Ohne diese würde uns das Untergeschoss ständig mit Wasser volllaufen“, betont Jan Wiese. Ergo: Es kommt nicht nur auf das Sichtbare an. Die Basis des Besonderen liegt manchmal im Verborgenen.
FOTOGRAFIE Simon Menges
Simon Menges
Typologie | Bürogebäude |
Bauzeit | 01/2018-01/2020 |
Konstruktion | Hybrid aus Beton, Lärche und Fichte |
Brutto-Grundfläche | 655 qm |
Nutzfläche | 502 qm |
Bruttorauminhalt | 7.860 qm |