Berliner Perle
Eine Gartenlaube unterm Dach: Reichwald Schultz Architekten richteten dieses Haus in Berlin-Treptow ein.
Zentrumsnah familienfreundlich Wohnen – im Eigenheim, aber bitte nicht im biederen Townhouse-Viertel? Ist möglich. Das „Wo“ ist dabei Glückssache. Wichtiger ist die Frage, wie. Mit Haus Schöntal hat eine junge Familie aus Berlin ein unkompliziertes Domizil im grünen Stadtteil Treptow bekommen: mit individuellen Räumen auf drei Etagen und einem verbindenden Konzept aus Sichtachsen, Materialität und Farbgestaltung.
Ein trautes Heim mit Leichtigkeit und Platz zum Spielen, Sinnieren und Gastgebersein wünschte sich die vierköpfige Familie. Klingt machbar, käme nicht auch der Wunsch nach Zentrumsnähe hinzu. Nur wenig außerhalb des Berliner S-Bahn-Rings ergab sich schließlich die Gelegenheit mit einem Grundstück am Rand einer Gartenkolonie. An der Realisierung des Neubaus waren gleich zwei Architekturbüros beteiligt: Während der Rohbau des Reihenhauses von Heberle Mayer Architekten aus Berlin geplant wurde, schritten Reichwald Schultz Architekten, mit Büros in Hamburg und Berlin, für den Innenausbau der 195 Quadratmeter Wohnfläche zur Tat. Äußerlich gleicht das mit Holzplanken verkleidete Gebäude seinen Nachbarn. Alle tragen Flachdach. Hier und da dient dunkelgrauer Putz als schmückendes Element.
Durchbruch zur Offenheit
Doch kaum stand das noch unfertige Haus, musste ein Teil der gerade gesetzten, inneren Wände schon wieder fallen. Nicht, weil sie gänzlich fehl am Platz gewesen wären, sondern weil Offenheit geschaffen werden sollte. Ein großer quadratischer Durchbruch entstand so beispielsweise bereits am Eingang. Vom Flur durch die Küche in den Garten fällt hier der Blick tief ins familiäre Kleinod. Das lässt das Zuhause räumlich weitläufiger erscheinen, während verspringende Geschosshöhen im hinten liegenden Wohnbereich zusätzlich Großzügigkeit erzeugen.
Hölzerne Möbelwand
Durch einen schmalen Gang gelangt man vom Eingang in den offenen, hellen Küchen- und Essbereich. Eine komplette Wand des Flures und nahezu die gesamte Küchenmöblierung umschließt eine Hülle aus farblos behandeltem Douglasienholz, das sich am Hochschrank vom Boden bis unter die Decke fortsetzt. Die natürliche Oberflächenstruktur ist ungewöhnlich für Möbelfronten – und gerade deswegen so besonders. Als visuelles Gegengewicht steht ein anthrazitfarbener Küchenblock auf der gegenüberliegenden Seite vor einer ebenso dunklen Wand.
Durchgängig schlicht
Verbindendes Element des Erdgeschosses ist der blanke Estrichboden. So setzt er sich fort, wenn man zwei Stufen hinab in den angrenzenden Wohnbereich steigt, den die Bewohner angenehm unprätentiös mit Sofa, Sitzsack, Hockern und Couchtisch eingerichtet haben. Ein Kamin lädt zu gemütlichen Abenden.
Spielerischer Ausgleich
Über eine Holztreppe geht es hinauf zu den privateren Wohnräumen des Hauses. Im ersten Obergeschoss liegt neben dem Bad, dem Hauswirtschaftsraum und dem Schlafzimmer der Eltern das Reich der Kinder – zwei Zimmer, die durch eine kleine gelbe Tür miteinander verbunden sind. Genau hier wird spielerisch der Höhenunterschied genutzt, der sich durch die Differenz der Deckenhöhen im Erdgeschoss ergibt. Denn einer der beiden Räume liegt nun einen halben Meter tiefer und man rutscht über eine Rampe hinunter oder nutzt die Öffnung als Theaterbühne. Mithilfe der Wandgestaltung werden beide Zimmer zusammengefasst: Der tieferliegende Raum ist unterhalb der Fensterbank rosa und oben weiß gestrichen, der höherliegende Raum genau umgekehrt.
Fliesenloses Bad
Bei dem Familienbad setzen Reichwald Schultz auf ungewöhnliche Mittel: Ungefliest und lediglich grau verputzt sieht man Bäder eher selten. Als wäre das nicht genug, besteht der Boden – wie auf der gesamten Etage – aus Holz, und bei der bodengleichen Dusche wird auf Vorhang und Tür verzichtet. Schön, wie Dusche und Badewanne direkt nebeneinander in einer Nische Platz gefunden haben. Beleuchtet wird das Bad von zwei in die Deckenkanten eingelassenen Lichtstreifen, während ein großer Spiegel den Raum optisch beinahe verdoppelt.
Abstand mit Ausblick
Ganz für sich sind die Bauherrn im oberen Stockwerk, wohin eine weiße Stahltreppe mit filigranem Geländer führt. Hier entstand ein Dachstudio zum Arbeiten, Gitarre spielen oder Seele-baumeln-lassen. Vollkommen mit Seekieferplatten ausgekleidet, fühlt man sich fast wie in einer Gartenlaube, in die durch ein Dachfenster Licht auf den Schreibtisch fällt. Ein großes Fenster in der Wand schafft eine Sichtbeziehung zur gegenüberliegenden Sonnenterrasse – mit Blick in den eigenen und die angrenzenden Gärten.
Mit ihrem Interior für Haus Schöntal bringen die Architekten auf den Punkt, worauf es bei einem Zuhause für eine Familie ankommt: Kein übertriebener Schnickschnack erfüllt die puristische Einheit der Räume. Im freien Spiel der Geschosshöhen sorgt die Auswahl der sich wiederholenden Farben, Materialien und Formen für Kontinuität. Und neben reichlich Platz zum Austoben bieten individuelle Rückzugräume Gelegenheit zur Regeneration: ein gelungener Wechsel zwischen Spiel und Entspannung, zwischen Offenheit und Behaglichkeit.
FOTOGRAFIE Marcus Ebener
Marcus Ebener