Clara und Cobogó: Wohnhaus in Brasília
Plastische Überzeichnung: Wohnhaus von 1:1 arquitetura.
Es sollte schnell gehen. Und nicht zu groß werden. Die Bauherren wünschten sich ein kompaktes und gut organisiertes Gebäude – doch ohne dass man der Architektur die kurze Entstehungszeit und seine Funktionalität ansieht. Das Gegenteil ist der Fall: Casa Clara in Brasília vermittelt den Eindruck, sie würde schon seit einigen Jahrzehnten ihr geschmackvolles Dasein fristen.
Auf gerade einmal 89 Quadratmetern errichtete das brasilianische Studio 1:1 arquitetura eine Stahlrahmenkonstruktion, die durch ihre vorgefertigten Elemente nicht nur in das knappe Budget der Kleinfamilie passte, sondern auch deren Wunsch nach einer kurzen Bauzeit erfüllte. Die Bestimmtheit der Bauherren und ihre eindeutigen Vorgaben waren es auch, die dem Gebäude den Namen verliehen: „Clara“ ist der portugiesische Begriff für „klar“ und „überschaubar“.
Perforierte Ziegelsteinwände
Der längliche Körper des Hauses steht auf einer Plattform, die das abfallende Gelände eines Hügels ausgleicht und leicht über dem Erdboden schwebt. Das Spannungsfeld der Architektur entwickelt sich aus dem Wechselspiel zwischen Transparenz und Geschlossenheit. Mal öffnet sich das Haus komplett über große, raumhohe Fensteröffnungen mit Schiebetüren, mal verschließt sich der Körper vollständig hinter der Fassade aus Beton und ockerfarbenem Putz. Doch die Architekten wählten noch ein Zwischenstadium: eine Cobogó. Diese Wand aus perforierten Ziegelsteinelementen ist eine Referenz an den brasilianischen Modernismus. Die Konstruktion vereint Ornament und Funktion. Das großflächige Muster aus kleinen Öffnungen dient nicht nur als optischer Schmuck, sondern ermöglicht gleichzeitig eine Filterung der Sonnenstrahlen und eine natürliche Belüftung.
Plastische Überzeichnung
Der kompakt organisierte Innenbereich besteht aus einem Wohn- und Essbereich sowie zwei Schlafzimmern, die das Endstück des Neubaus markieren. Getrennt werden die beiden Bereiche durch eine Wandscheibe, die auch außerhalb des eigentlichen Volumens noch einige Meter weiterläuft: Diese plastische Überzeichnung der Konstruktion ist ein typisches Merkmal der brasilianischen Moderne. Durch die großen Fenster, die bei Bedarf durch Vorhänge blickdicht geschlossen werden können, und die Cobogó, die sich der Straße zuwendet, öffnet sich das Haus zu seiner unmittelbaren Umgebung. Aber immer nur so weit, wie es die Bewohner zulassen.
Ganzheitlicher Gestaltungsansatz
Stilprägend für das architektonische Erscheinungsbild des Neubaus ist der lokale Kontext: Nirgendwo sonst als in der Hauptstadt Brasília hat die brasilianische Moderne einen so starken Einfluss auf das Stadtbild genommen, was in erster Linie an dem verantwortlichen Planer Oscar Niemeyer liegt. 1:1 arquitetura nehmen das Thema dankend auf und übertragen es auf die Ausformung des Gebäudekörpers, die verwendeten Materialien, Farben und Objekte der Inneneinrichtung. Hier finden sich viele Designklassiker: darunter Sessel und Stühle von Sergio Rodrigues, José Zanine Caldas und Estudio Bola sowie eine Bank von Leo Romano. Casa Clara ist aber nicht nur die gelungene Neuinterpretation einer bedeutenden baukulturellen Epoche Brasiliens – der Neubau nimmt sich auch Themen unserer Gegenwart an. Denn geringe Wohnfläche und Baukosten sowie eine gute Ökobilanz stehen in keinem Widerspruch zu guter Architektur.
FOTOGRAFIE Edgard César
Edgard César
Casa Clara
Neubau aus Stahlrahmenkonstruktion und Beton / 89 Quadratmeter / Brasília, Brasilien / Eduardo Sáinz und Lilian Glayna, 2016