Das Vitamin-D-Experiment: Wohn-Büro-Haus in Melbourne
Heilsamer Anbau: Wie Andrew Maynard sein Haus aus gesundheitlichen Gründen erweitert hat.

Was hat Architektur mit Vitaminen zu tun? Wenn es nach Andrew Maynard geht, sehr viel. Der australische Architekt hatte mit Angstzuständen zu kämpfen. Auf Anraten seines Arztes entschloss er sich, zu einem radikalen Schritt: Er baute an sein eigenes Wohnhaus, welches auch als sein Büro dient, aus einem Hightechmaterial ein Gewächshaus. Dass er nun eine Sonnenbrille in den eigenen vier Wänden tragen muss, kann er verkraften – dafür läuft seine Vitamin-D-Produktion auf Hochtouren.
Das Leiden scheint zum Architektenleben dazuzugehören: Überstunden, Nacht- und Wochenendarbeit sowie eine geringe Bezahlung machen den Beruf für viele zur Tortur. Der australische Architekt Andrew Maynard erkannte die Nachteile früh und gründete sein eigenes Büro, in dem es nicht nur jeden Tag eine fixe Tee- und Mittagspause, sondern auch pünktlich um halb sechs Feierabend gibt – ohne Ausnahme. Trotzdem gehörten Angstzustände weiterhin zu seinem Alltag. Eines Tages fragte ihn sein Arzt, wie sein Haus aussehe und ob er genug Tageslicht abbekommen würde. Denn Sonnenstrahlen regen die Produktion von Vitamin D im Körper an – und das sei nicht nur gut für die körperliche Gesundheit, sondern auch für die geistige. Nach anfänglichen Zweifeln folgte eine kurze Recherche – schließlich fasste Maynard den Entschluss, die eigene Wohn- und Arbeitssituation radikal umzukrempeln. „Die meisten Kunden wünschen sich etwas mehr Tageslicht“, erzählt der Architekt. „Ich beschloss, in meinen eigenen vier Wänden zu viel Tageslicht haben zu wollen.“
Gegen alle Regeln
Andrew Maynard entschied sich dazu, die Rückseite seines Altbaus in Melbourne durch einen Anbau im Stil eines transparenten Gewächshauses zu ergänzen: Eine Antithese zum Bestand, der nur über kleine Fenster und kaum Tageslicht im Inneren verfügte. Die bauliche Erweiterung sollte aber noch über einen weiteren, organisatorischen Mehrwert verfügen: Sie schafft einen verbindenden Raum zwischen Erd- und Obergeschoss, und damit der Büro- und Wohnnutzung. Dadurch wird der Anbau nicht nur aus klimatischer, sondern auch aus sozialer Sicht zum Experiment – denn die gerade einmal 56 Quadratmeter große, hinzugefügte Fläche, wird von ihm, seiner Familie und seinen Angestellten geteilt. „Mein Haus bricht mehrere wichtige Regeln“, beschreibt der Architekt seine Vision. „Es ist thermisch nicht so effizient wie die Häuser, die ich für andere entwerfe. Außerdem werden Privatheit und persönlicher Komfort oftmals von der Architektur herausgefordert. Und genau aus diesen Gründen lieben meine Familie und ich es, hier zu leben.“
Mit einem Klick
Den Anbau setzte Andrew Maynard auf die bestehende Terrasse, die er mit einem gelben Linoleumboden bedeckte: Die Farbe spielte bereits in dem Altbau eine wichtige Rolle als Markierung für neu hinzugefügte Elemente. Zudem weisen Studien zur farbpsychologischen Wirkung auf einen positiven Einfluss von Gelb auf das geistige Wohl des Menschen hin. Als Baumaterial für die Außenhülle wählte der Architekt eine Hightechmaterial-Innovation: Thermoclick. Das transluzente Plattensystem aus Polycarbonat lässt sich, wie sein Name bereits andeutet, einfach ineinanderstecken und bietet dank seiner Eigenschaften eine hohe Energieeffizienz sowie einseitigen UV-Schutz. Durch die simple Verbindungsart benötigt das System keine zusätzlichen Profile zur Befestigung – auch das spart Kosten und Zeit beim Auf- oder Abbau. An den heißesten Tagen des Jahres sorgt ein außenliegender, blauer Sonnenschutz für etwas Schatten im Inneren. Außerdem lässt sich die Front zum kleinen Garten hin öffnen.
Heilende Wirkung
Der neu hinzugewonnene Raum dient als Wohn- und Essraum: tagsüber für das Büro, morgens und abends für die Familie. An den Bestand platzierte Maynard eine eingeschossige Box, in der sich das Badezimmer befindet. Außen liegt die neue, offene Küchenzeile an. An einer Seite der Kiste läuft eine – natürlich gelbe – Treppe hinauf zum Obergeschoss. Die Stufen dienen nebenher noch als Regal. Oben angekommen bietet sich allen Nutzern eine kleine, offene Plattform voller Pflanzen, die wie ein innenliegender Balkon Platz zum Entspannen unter dem Kunststoffdach bietet. Mit der Erweiterung seines Wohn- und Arbeitsplatzes ist Maynard ein architektonisches Experiment eingegangen, das Wirkung zeigt: „Es ist sicherlich keine Lösung für jeden. Aber unser merkwürdiges Zuhause mit viel zu viel Tageslicht verändert tatsächlich die Art und Weise wie wir uns fühlen“, erzählt Maynard. „Ich fühle mich mit dem Klima und meiner Umwelt verbunden. Ich fühle mich großartig. Ich fühle mich gesund.“ Eine Architektur mit heilender Wirkung!
FOTOGRAFIE Tess Kelly
Tess Kelly
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www.dear-magazin.deMy House
Projekt: Anbau, Fassade aus Thermoclick-Elementen (Polycarbonat), Fläche: 56 Quadratmeter, Bauherr: privat
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