Die Kaffeewerkstatt
Rösterei und Café von Alice D’Andrea in Vancouver

Tief ins Glas schauen lässt es sich in einem Café im Allgemeinen nicht. Doch im Hauptsitz von Pallet Coffee Roasters im kanadischen Vancouver erhalten Gäste – dank der Gestaltung von Alice D’Andrea – tiefe Einblicke in die Tassen und in die Produktionsstätten des Kaffees.
„Pallet hat die Herzen der Kaffeegemeinschaft erobert“, meint die Architektin Alice D’Andrea, die seit der Gründung des kanadischen Unternehmens für Kaffeespezialitäten Pallet Coffee Roasters im Jahr 2014 für die Gestaltung der Cafés zuständig ist. Inzwischen betreiben die Gründer sechs Standorte und ein Restaurant – alle von D’Andrea entworfen. Die gebürtige Italienerin, die heute in Vancouver lebt, hatte bereits viel Erfahrung in den Bereichen Weingastronomie und Wellness für Hotels gesammelt, die sie hier offenbar zu nutzen wusste.
Historisches Hauptquartier
Nun stand der Entwurf des Hauptquartiers an, das gleichzeitig die Rösterei und den Schulungsort der Angestellten beherbergen sollte. Die schnelle Expansion des Geschäfts in den vergangenen sechs Jahren verlangte nach einer größerer Produktionsstätte. Hierfür sollte eine 7.000 Quadratmeter große Fläche im historischen Railtown-Viertel der kanadischen Metropole dienen – allerdings nicht irgendeine.
„Das neue Pallet befindet sich in einem der geschichtsträchtigsten Bauten Vancouvers“, erzählt Alice D’Andrea. Das Siedlungsgebäude aus den Dreißigerjahren, einst Stahlgießerei, später Lagerhaus, wartet noch heute mit beeindruckenden architektonischen Elementen auf: Dicke Douglasienbalken an der Decke und erhaltene Fensterrahmen auf der rückseitigen Fassade tragen zum industriellen Charme des Gebäudeinneren bei und geben eine eindrucksvolle Sicht auf die Architekturgeschichte frei.
Leidenschaftliche Produktion
Obwohl in der alten Halle kein Metall mehr bearbeitet wird, sollten doch weiterhin Produktionsprozesse im Vordergrund der Architektur stehen – nicht mehr von Stahl, aber von Kaffee. Und das möglichst transparent. „Die Kunden können ihr Getränk genießen und dabei zusehen, wie rohe Bohnen aus der ganzen Welt in ihr Lieblingsgetränk verwandelt werden – ein wirklich einzigartiges Kundenerlebnis“, erzählt die Architektin.
Den Köpfen hinter Pallet ging es also ebenso um einen Ort für den Genuss ihres Produktes wie um die Aufklärung über Herstellungsabläufe. Konkret bedeutet das: eine Hälfte der Fläche für die Rösterei, die andere für den Verkauf. Hinzu kommen weitere Bereiche für Schulungen und Verköstigungen. Das sorgt in dem weitläufigen, offen gehaltenen Raum für fließende Übergänge zwischen den einzelnen Nutzungen und für spannende Einblicke, die Gastronomiegästen sonst meist verwehrt bleiben.
Trennen und verbinden
Über einen weißen Korridor gelangt man zunächst zu ganz unterschiedlich arrangierten Sitzgelegenheiten, darunter diverse Hocker, locker positionierte Bänke in der Raummitte und Polstermöbel, die sich an den Raumflanken orientieren. Zentral platzierte die Architektin einen L-förmigen Tresen, der Retail- und Produktionsbereiche voneinander separieren soll. Doch obwohl das schwarz gefärbte Objekt aus gebeizten Eichenbrettern durchaus abschottend, gar monumental anmutet, markiert es eigentlich eher die verbindende Linie zwischen den einzelnen Abschnitten.
Hier arbeitete D’Andrea mit variierenden Volumen, um „den Blick auf die Produktion, die Maschinen und die Menschen, die hinter den Kulissen arbeiten“ zu ermöglichen. Vor allem eine verglaste, eingelassene Box, die auch als Displayfläche dient, ermöglicht die direkte Durchsicht und lockert den massiven, statischen Einbau etwas auf. Sein diagonales Fischgrätmuster soll ihm Dynamik verleihen.
Dynamik und Wärme
Die hölzernen Deckenbalken sowie Wände und Boden aus Beton bleiben unverblendet und unterstreichen den industriellen Charakter. So auch das verwendete Kupfermetall, das außerdem die Aufgabe hat, das dunkle Farbschema etwas wärmer wirken zu lassen. Man findet es im Equipment für die Kaffeezubereitung genauso wie in den Hängeleuchten über dem Tresen, seinem Sockel und dem dahinter stehenden Regal. Lebendigkeit wird innerhalb der enormen Fläche und Höhe des Raumes mit Topfpflanzen und einem dekorativen Wandbild in der Sofaecke erzeugt.
Mit diesen Details und einer Vielzahl an Holzelementen verwandelte die Architektin Alice D’Andrea das weitläufige Industrie-Interieur in einen zeitgemäßen Treffpunkt mit hoher Aufenthaltsqualität, der wahrlich tief blicken lässt.
FOTOGRAFIE Andrew Fyfe Photography
Andrew Fyfe Photography
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