Die Kunst ist los!
Galerie Mehdi Chouakri in den Berliner Wilhelm Hallen
Der Architekt Philipp Mainzer hat eine stillgelegte Eisengießerei in Berlin-Wilhelmsruh in eine Kunstgalerie mit überraschenden Details transformiert. Die gestalterischen Zutaten: hohe Räume mit Sheddächern, ein einsehbares Depot mit Metallgittern und ein Arbeitsbereich mit minimalistischen Einbaumöbeln und Solitären von e15.
Der Galerist Mehdi Chouakri hat neben seiner Galerie in der Charlottenburger Fasanenstraße während des Berliner Gallery Weekend eine neue Dependance in Wilhelmsruh eröffnet. Sie befindet sich unweit der S-Bahn-Station in einer stillgelegten, denkmalgeschützten Eisengießerei, die unter dem Namen Wilhelm Hallen diverse Kunst- und Kulturräume beherbergt. Zwischen 1898 und 1918 vom Pankower Maurermeister Christian Friedrich Malingriaux entworfen und seit 1902 vom Architekten Hermann Streubel gebaut, ist das architektonische Ensemble fast vollständig erhalten. Die Gebäude mit den markanten Sheddächern wurden im Eisenfachwerk mit roten Backsteinfassaden ausgeführt – genau wie die Galerieräume von Mehdi Chouakri, die sich im hinteren Teil des weitläufigen, 20.000 Quadratmeter großen Industrieareals befinden.
Aus einer Hand
Ursprünglich hatte der Berliner Galerist nur ein Lager für die Kunst gesucht. Doch als er das Backsteingebäude vor zwei Jahren das erste Mal sah, war es geradezu um ihn geschehen: „Die Ruine hat mich so beeindruckt, dass ich nicht mehr nur an Lagerflächen dachte“, erzählt er bei einem Rundgang am Morgen des Eröffnungswochenendes, während im Hintergrund noch gewerkelt und eingerichtet wird. Seit er 1996 seine erste Galerie in Berlin eröffnete, sind es seine inzwischen sechsten Räumlichkeiten in der Stadt, erzählt er. Neben ihm steht Philipp Mainzer, der Architekt des Umbaus, den Chouakri schon seit den Neunzigerjahren kennt. „Es ist ein großer Luxus, mit solch einem Bestand zu arbeiten“, sagt Mainzer, der neben seinem Architekturbüro auch das Möbellabel e15 leitet. Chouakri wünschte sich von ihm einen Entwurf aus einem Guss. Und so setzte Mainzer neben der Architektur auch das Interiordesign samt maßgefertigten Einbaumöbeln und Einzelstücken von e15 um.
Aha-Erlebnis unter Sheddächern
Auf einer Fläche von 1.000 Quadratmetern entfaltet sich auf einem trapezförmigen Grundriss ein Raumprogramm aus großer Ausstellungshalle, privatem Showroom, einem Kabinett (indem gerade Werke aus dem Archiv Charlotte Posenenske ausgestellt werden), Lagerräumen sowie einem privat gehaltenen Arbeitsbereich samt Bibliothek. Die einzelnen Raumfunktionen werden durch vier Meter hohe Wände voneinander abgetrennt. Betritt man die Galerie, hat man sogleich ein Aha-Erlebnis: Während das Entree kompakt und niedrig gehalten ist, kommen alle anderen Räume mit sehr lichten Deckenhöhen von bis zu zehn Metern daher, was einen beinahe theatralischen Effekt erzeugt. Auch deshalb, weil es vom Eingangsbereich bis zur Bibliothek eine offene Raumflucht gibt. Mehdi Chouakri hat die neuen Räume mit der Ausstellung Solid Coated des Schweizer Künstlers John A. Armleder eröffnet, wobei insbesondere die Wand des großen Ausstellungssaals beeindruckt, die übersät ist mit gewölbten Sicherheitsspiegeln (Way Out, 2022). Sie betonen die architektonische Disposition aus weißen Zwischenwänden, freigelegter Eisenkonstruktion und Sheddächern. „Ich wollte so viel wie möglich vom Bestand erhalten und die Verbindung zwischen Architektur und Kunst betonen“, sagt Mainzer. Unter Wahrung der Bestandsarchitektur wurde das vorhandene Eisenfachwerk der Halle aufgearbeitet, das Mauerwerk gereinigt, die Bodenplatte neu gegossen und eine Fußbodenheizung eingebaut.
Hinter Gittern
Neben den Kunstwerken von Armleder ist es insbesondere das (noch leere) Lager, das für einen nachhaltigen Raumeindruck sorgt. Und zwar deshalb, weil es für den Besucher von zwei Seiten einsehbar sind. Statt mit geschlossenen Wänden arbeitet der Architekt mit metallenen Gittern, wie man sie von Eingrenzungen von Spiel- und Sportplätzen kennt. Die gestalterische Idee: Die Räume sollten funktional sein und dabei ein wenig rough aussehen. Das funktioniert vor allem über die Materialität, denn das verzinkte Metall korrespondiert mit den offen liegenden Backsteinwänden und der Stahlkonstruktion. „Es war nicht einfach, jemanden zu finden, der so etwas Banales einbauen wollte“, erzählt Mainzer.
Öffentlichkeit versus Intimität
Der Architekt liebt das Spiel von offenen und geschlossenen Räumen. Und so folgt auf das transparent gemachte Depot im hinteren Teil der Galerie ein intimer Raum. Hier befindet sich der nicht einsehbare Arbeits- und Konferenzbereich samt Bibliothek. Auffällig sind die rechteckigen Oberlichter in der weiß getünchten Decke, die interessante Lichtsituationen entstehen lassen. Aber vor allem die in Hellgrau gehaltenen Einbaumöbel in Form von Bücherregalen, Grafikschränken und einer Garderobe, die als Raumteiler fungieren und den weitläufigen Bereich rhythmisieren. Dazu gesellen sich Stühle und Tische aus der Möbelkollektion von e15, darunter ein 3,60 Meter langer Arbeitstisch aus Spessart-Eiche. „Oh mein Gott“ – das war die erste Reaktion des Galeristen auf den Raum, in den er sich geradezu schockverliebte. Man versteht umgehend warum, denn er strahlt eine sinnliche Stille aus, wozu sicherlich auch die ausgestellten Kunstwerke beitragen.
Philipp Mainzer gelingt mit seiner architektonischen Interventionen das Kunststück, die Besonderheiten des Bestandsbaus zu betonen. Die Galerie Mehdi Chouakri ist ein Ort, an dem man gern ist, um Kunst zu entdecken. Erst recht, wenn sich das Lager mit Werken füllen wird. Wie passend, dass gerade Sylvie Fleurys Arbeit Yes To All über den Räumen krönt.