Die Lichter der Kleinstadt
Produkte aus Japan üben oft eine besondere Faszination aus, da sie vielfach das Phänomen der Miniaturisierung demonstrieren: Sei es bei den erstaunlich kleinen Handys, die vor rund zehn Jahren die Welt in Aufruhr versetzten, bei kleinen Stereoanlagen und Kameras, bei Bonsai-Bäumchen oder aber beim Origami, der traditionellen japanischen Kunst des Papierfaltens. Anlässlich einer Ausstellung auf der Insel Umihotaru präsentierte der 25-jährige Kunststudent Wataru Ito aus Tokio in diesem Jahr mit „Castle on the Sea“ jedoch ein Origami-Kunstwerk der besonderen Art: fein im Detail und groß im Ausmaß. In vier Jahren bastelte er eine ganze Papier-Stadt mit Straßen, Häusern, einem Kirchturm und einer fahrenden Eisenbahn. Beleuchtet wird die Stadt mit LEDs und Glasfaseroptik des dänischen Event-Beleuchtungsspezialisten Martin.
In der Architektur dient die Beleuchtung neben der Erhellung des Bauwerks vor allem der Betonung von Details. Und was für Gebäude gilt, gilt auch für deren Miniatur. So ist die Beleuchtung des „Castle on the Sea“ ein nicht minder kompliziertes und aufwändiges Unterfangen als die klassische Architekturbeleuchtung. Sinn und Zweck der Ausleuchtung des 2,40 Meter mal 1,80 Meter großen Papiermodells war zum einen die realistische Simulation einer Stadt bei Nacht, zum anderen aber auch, die einzelnen Feinheiten des zarten Gebildes hervorzuheben. So leuchten nun Lichter in den Fenstern, Straßenlaternen erhellen die Wege und der Kirchturm erstrahlt hoch über der Papier-Stadt.
Licht in der Stadt
Das künstlerische Konzept für die Illumination des Origami-Projekts entstand in Kooperation zwischen dem Künstler Wataru Ito und der Firma Nakajima Tatsuoki Lighting Design Laboratory. Der Künstler und die Designer entschieden sich für eine Außenbeleuchtung per LED. Zum einem, um dem Kunstwerk aus Papier keinen Schaden durch Hitze oder ultraviolette und infrarote Strahlung zuzufügen, zum anderen, weil sich Farben und Lichtstimmungen mit LEDs verändern lassen. An der Decke des Glaskastens, der die Papier-Stadt schützt, befinden sich fünf LED-Downlights, die das Objekt in nahezu alle Farben tauchen können. Diese werden auch verwendet, um das Licht der Sonne und des Mondes zu simulieren.
Um das „Castle on the Sea“ auch von innen zu beleuchten, war von vornherein klar, dass Leuchtmittel eingesetzt werden müssen, die nicht die geringste Hitzeentwicklung mit sich bringen – ein Schwelbrand wäre schließlich fatal. Daher wurden Lichtleitfasern eingesetzt, die farbiges Licht abstrahlen und sogar gedimmt werden können. So wird das Schloss aus dem Innern heraus sanft illuminiert und Betrachter können klar das Schloss erkennen, eine Schule, eine Fabrik und die Kirche, die der Sagrada Familia in Barcelona nachempfunden ist. Bewegung in die Stadt bringen das motorbetriebene, sich drehende Riesenrad, eine Windmühle und ein kleiner Zug, der durch das Idyll fährt.
Die Beleuchtung kann über eine spezielle Software gesteuert werden. Darüber lassen sich gezielt Lichtprogramme mit angepassten Farbschemata abspielen.
Städtebau in vier Jahren
Dass sein Kunstwerk auch international soviel Aufmerksamkeit zu Teil wird, dürfte Wataru Ito umso mehr freuen, betrachtet man die Umstände, die ihn zu dieser vier Jahre währenden Geduldsprobe veranlasst haben. Die Ausgangssituation für den Kunststudenten war damals eine Mischung aus Frust und Langeweile. Wenig inspiriert von seinem Studium an der Kunsthochschule in Tokio, begann er eines Tages damit, eine kleine Papierstadt zu falten. Dazu verwendete er lediglich Papier, Klebstoff, ein Messer und einen Locher. Nachdem er schließlich zum dritten Mal durch eine Prüfung gefallen war, beschloss Wataru Ito, sich voll und ganz seinem eigenen Projekt zu widmen. Die Papierstadt nahm Formen an, wurde immer größer und letzten Endes so groß, dass dafür kaum noch Platz in seiner Wohnung war. Der Lohn seiner Mühen: „Castle on the Sea“ wurde ausgestellt und versetzte die Betrachter in großes Erstaunen. Und zu guter Letzt gewann Wataru Ito sogar den ersten Preis beim Festival der Tokioter Kunsthochschule.
Doch dies ist vermutlich noch nicht das Happy End der Geschichte. Denn als Künstler gesteht Wataru Ito, dass er sich während der Arbeit an einem Projekt diesem vollständig hingibt, jedoch das Interesse daran verliert, sobald es fertig gestellt ist. Und so spielt er mit dem Gedanken, das Kunstwerk möglicherweise abzubrennen: „Ich könnte es auf Video aufnehmen und mir dann ansehen, wie das Schloss wieder aufersteht, wenn ich den Film rückwärts laufen lasse.“
FOTOGRAFIE Yuriko Takagi
Yuriko Takagi
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