Eine Bühne für die Mode
Ciocodeica Studio gestaltet die Boutique Maria Lucia Hohan in Bukarest
Die Bretter, die die Welt bedeuten, sind ein Teppich: Bei der Gestaltung einer Modeboutique für das Label Maria Lucia Hohan in Bukarest hatte Ciocodeica Studio den Moment vor Augen, in dem sich im Theater der Vorhang hebt und die Vorstellung beginnt. Das Ergebnis ist ein bühnenreifer Verkaufsraum mit Textiltotalprogramm. Schwere Samtvorhänge in mehreren Lagen und dicke Teppichauslegeware, die den Boden und Teile der Wände bedeckt, verschleiern das reale Raumvolumen und verwandeln den Shoppingtrip in ein traumartiges Bühnensolo – ganz ohne Lampenfieber.
Inspiration für den Entwurf fanden die Planer*innen in der Markenidentität von Maria Lucia Hohan. Das Label ist bekannt für seine Abendmode, die sich durch skulpturale Volumen und aufwendige Näharbeiten auszeichnet. Die Kollektionen sind von Theaterkostümen inspiriert. Handwerkliche Präzision und perfekt ausgeführte Details stehen im Vordergrund. Übersetzt in die Entwurfsidee, ergeben sich daraus zahlreiche Synergien zwischen Raum, Branding und Produkt: Die Boutique wird zur Bühne, die kostbaren Abendkleider zu gefeierten Theaterstars – und die Kundin darf in diese Rolle ganz buchstäblich hineinschlüpfen.
Der Vorhang hebt sich
Besonders ist der eingangs erwähnte Versuch, einen ganz bestimmten Moment festzuhalten: Die Schauspieler*innen haben ihre Anfangspositionen eingenommen, der Zuschauerraum ist still geworden, der Vorhang hebt sich und die Vorstellung beginnt. In der Boutique wird dieser Moment vor allem durch die mittig im Raum platzierten Vorhänge verkörpert, die nur etwa ein Viertel der Raumhöhe herabhängen und dadurch so wirken, als wären sie gerade im Begriff, sich zu öffnen.
Der Grundriss der Boutique ist rechteckig. Besucher*innen betreten den Raum durch eine große verglaste Fassade. Der Verkaufsraum ist in verschiedene Zonen unterteilt, die grob denen eines Theaters ähneln: Der schmale Schaufensterbereich hinter dem Eingang entspricht dem Zuschauerraum, die Verkaufsfläche ist die große Bühne und die Umkleiden sowie das Lager im hinteren Ladenteil entsprechen dem unsichtbaren Bereich hinter den Kulissen, dort, wo sich im Theater die Garderoben befinden.
Monochromer Art-déco-Glamour
Gestalterisch ist das Interieur von Art-déco-Elementen geprägt. Dazu zählt etwa der großformatige, eckige Wanddurchbruch mit gestaffelten Abstufungen, der die Bühnenöffnung darstellt und den Übergang zwischen Schaufenster und Verkaufsraum eindrucksvoll markiert. Durchbruch, Wände und Böden sind mit dem gleichen Teppich bedeckt. Schwere Samtvorhänge mit gleichmäßig gewelltem Faltenwurf verdecken die Wände im Verkaufsraum. Selbst die Schaufenster sind verhangen, jedoch nur halbhoch, um Neugierde zu wecken. Fast alle Oberflächen sind monochrom in einem rostigen Pinkton gehalten, der als „lippenstiftfarben“ beschrieben wird. Auch die Kleiderpuppen, das Vintage-Sofa (ein Camaleonda-Sofa von B&B Italia) und die Spiegelrahmen sind mit dem schimmernden Samtstoff bezogen, sodass ein nahtloser Raumeindruck entsteht.
Den notwendigen Bruch bildet ein silberner Vorhang im Zentrum des Geschehens. Inspiriert von Pina Bauschs Tanztheater Full Moon stellt er das in der Inszenierung so präsente spritzende Wasser dar. Passend dazu hängen die Kleiderständer aus silbrig verchromtem Metall von der Decke und den Wänden herab und verschwinden geheimnisvoll hinter den Vorhängen. Die Zugänge zu den Umkleidekabinen sind mit indirekt beleuchteten Rahmen akzentuiert und erinnern an die beleuchteten Schminkspiegel in einer Theatergarderobe. Nur wenige Möbel ergänzen das Interieur: Der Verkaufstisch und zwei Vitrinen – geometrisch-edle Kreationen aus kalifornischem Burlholz und Spiegeln – fügen sich ebenfalls in das Art-déco-Thema ein.
Samtige Stille
Samt, wohin das Auge reicht, wie in einer Schmuckschatulle: Das erzeugt nicht nur visuell einen flauschigen Effekt, sondern auch akustisch, denn schallharte Flächen sind auf ein Minimum reduziert. Die Omnipräsenz der Textilien verschluckt jeden Nachhall. Kundinnen fühlen sich wie in Watte gepackt. Der Raum scheint von der Außenwelt entkoppelt zu sein – ein Effekt, den das Entwurfsteam bewusst anstrebte. Die Kundin soll sich wie in einem schönen Traum fühlen, in dem sie selbst und das geschneiderte Objekt der Begierde im Mittelpunkt stehen. Sie wird zur Schauspielerin in einer One-Woman-Show.
Die Boutique ist der erste physische Store der Marke Maria Lucia Hohan. Ciocodeica Studio feiert diesen Schritt und inszeniert das Vor-Ort-Erlebnis als Theaterstück, in dem man selbst die Hauptrolle spielt. Das Beste daran: Ein Publikum hat das Gestaltungsteam beim Entwurf herausradiert. Lampenfieber brauchen die Kundinnen dort also nicht zu haben.
FOTOGRAFIE Vlad Patru Vlad Patru
Projektname | MLH Boutique |
Typologie | Retail |
Entwurf | Ciocodeica Studio |
Team | Adelina Cucoranu, Bogdan Ciocodeica |
Standort | Bukarest, Rumänien |
Fertigstellung | 2024 |
Ausstattung | Karo Home Textile (Vorhänge), Carpet & More (Teppich) |