Candy-Club
Wie die Marke Lynk & Co den Autokauf neu erfindet

Der Autohersteller Lynk & Co versteckt den Fahrzeugkauf inmitten einer räumlichen Mixtur aus Café, Concept-Store, Co-Working-Space und Nachtclub. Nach Berlin und Mailand hat nun die neueste Dependance in Düsseldorf eröffnet. Fetisch und Hypnose liegen in den Lynk & Co-Clubs eng beieinander.
„Niemand geht gerne in ein Autohaus“, sagt Alain Visser. Mit der Materie kennt sich der Belgier aus. Er hat lange das Marketing von Opel und später von Volvo verantwortet. Doch irgendwann hat es ihn gelangweilt. Also fragte er den chinesischen Eigentümer von Volvo, ob er etwas Neues machen könne. Und so gründete er 2016 unter dem Dach des Geely-Konzerns die Automarke Lynk & Co, die er bis heute als CEO leitet. Zu kaufen gibt es lediglich ein Fahrzeug – in einer blauen oder schwarzen Farbwelt mit Elektro- oder Hybrid-Antrieb. Das ist für sich genommen gar nicht so interessant. Es ist das ganze Drumherum, das den Unterschied macht.
Neue Wege
Das Konzept basiert darauf, zwei Gegensätze unter einen Hut zu bringen: Nämlich ein Auto zu besitzen und es gleichzeitig zu teilen. Wer ein Fahrzeug erwirbt, gehört zu einem Club: der Lynk & Co Community. Deren Mitglieder können sich ein Auto abonnieren (was eine Art moderne Leasing-Variante ist), kaufen oder nach dem Carsharing-Prinzip leihen. Bei letzterem landet das Geld nicht bei einem externen Anbieter, sondern direkt beim Besitzer oder der Besitzerin des Autos auf dem Konto. So können die Anschaffungskosten anteilig oder gar vollständig refinanziert werden, je nachdem wie oft man das Fahrzeug mit anderen teilen möchte.
Hybride Räume
Die Verkaufsräume – wenn man sie in diesem Falle überhaupt so nennen möchte – liegen in urbanen Zentren und nicht am Stadtrand. Weil sie als Treffpunkte für bestehende und zukünftige Mitglieder dienen sollen, heißen sie Clubs. Nach einer Marke wird am Eingang nicht gefragt. Jeder kann hinein. Auf den ersten Blick sehen sie aus wie Cafés. Es gibt Sitzplätze entlang der Fensterfront sowie an einer langen Theke mit Espresso-Maschine und einer stattlichen Flaschenauswahl für Cocktails. Daneben werden auf Podesten Waren kleiner Produzenten verkauft, genau wie in einem Concept-Store. Es gibt Bühnen für Events, Vorträge, unterschiedlichste Formen des Zusammenseins. Ebenso stehen Co-Working-Flächen zur Verfügung. Und mittendrin erblickt man ganz unverhofft ein Auto. Fast so, als hätte es jemand versehentlich dort abgestellt.
Vorbild aus Korea
Es geht um das Beiläufige, das Erwecken von Neugierde. Die Besucher*innen werden plötzlich zu Kandidat*innen in einer Rate-Show nach der Bestimmung dieses seltsamen Shop-Hybrids. Kurzum: Die Showrooms von Lynk & Co. wollen alles außer Automobil-Showrooms sein. „Wir haben uns angeschaut, welche Marken ihre Geschäfte völlig anders aussehen lassen als ihre Konkurrenz. Da sind wir auf die Boutiquen des koreanischen Sonnenbrillen-Herstellers Gentle Monster aufmerksam geworden“, sagt Alain Visser. Das Theatralische dieser Räume gab den Anstoß für ein Interiorkonzept, das in Zusammenarbeit mit mehreren jungen Innenarchitekturbüros entwickelt wurde. Auch wenn es Gemeinsamkeiten gibt, soll jeder Club einen eigenen Charakter und eine eigene Identität besitzen.
Berlin, Eröffnung September 2021
Ein „urbaner Spielplatz“ möchte die Berliner Dependance in der Münzstraße 21 in Berlin-Mitte sein – nach Amsterdam, Göteborg und Antwerpen die erste in Deutschland. Das Interieur wurde vom niederländischen Designer Pepijn Smit und seinem 2018 gegründeten Büro S-P-A-C-E Projects realisiert. Auf zwei Etagen bietet es Raum für Partys und DJ-Abende. Im Obergeschoss wurde in einen historischen, mit Eichenholz getäfelten Saal eine orange-verspiegelte Struktur hineingesetzt. Sie bildet den Rahmen für einen Tagungsraum, bei dem sich alte Pracht und schimmerndes Nachtclub-Feeling überlagern.
Der Treppenaufgang wird von einer Lichterwand flankiert, die den Eindruck erweckt, als seien unzählige Verkehrsampeln nebeneinander platziert worden. Palmen sorgen auf beiden Etagen für Dschungelfeeling, ein Badezimmer versprüht Blockhütten-Charme. Im Erdgeschoss zieht ein kobaltblaues Amphitheater die Blicke auf sich. Ein wiederkehrendes Motiv sind Hocker und Tische aus gepressten Autoschrott-Kuben. Sind diese aus den Überbleibseln dreckiger Diesel-Fahrzeuge der Konkurrenz entstanden? Ein passendes Sinnbild für die Neupositionierung einer lange Zeit eher rückwärts gewandten Branche.
Mailand, Eröffnung November 2022
Früher wurde im Geschäft am Corso Venezia 6 Mode verkauft. Nun können die Fashionistas hier für eine Tasse Kaffee einkehren oder die Aperitivo-Stunden einläuten. Das Interieur wurde vom Göteborger Büro New Order Arkitektur eingerichtet, das vor allem den Toiletten besondere Aufmerksamkeit schenkte. Diese warten mit einer Tapete auf, die mit weißen und rosafarbenen Lollis überzogen ist. Der Vorraum definiert eine Selfie-Bühne mit gekrümmten Spiegelwänden, die die Wirkung hypnotischer Schwarzweißmuster vervielfältigen.
Im Co-Working-Space wurden die Wände mit grauen Klinkern verkleidet. Ungewöhnlich sind hier die Fugen in leuchtenden Farben, die dank eines üppigen Materialauftrags aus der Wand herausstehen und ihr so eine plastische Dimension verleihen. Einen Blick in die Zukunft wirft der holzgetäfelte Konferenzraum mit Kronleuchter und rundem Holztisch. An den Wänden ziehen großformatige, gerahmte Tarot-Karten-Motive die Blicke auf sich.
Düsseldorf, Eröffnung Februar 2023
In der Kasernenstraße 13 in der Düsseldorfer Altstadt hat Lynk & Co den vierten Club in Deutschland eröffnet – nach Berlin, Hamburg und München. Bodentiefe Fenster öffnen das Interieur des Kopenhagener Designbüros Spacon & X zur Straße. Auffällig sind die rauen Betonoberflächen mit freiliegenden Rohrleitungen. „Grundsätzlich versuchen wir, mit so wenig zusätzlichem Material wie möglich zu arbeiten. So haben wir beispielsweise den größten Teil des vorhandenen Bodens, der Decke, der Wände und auch der Fassade des Clubs so belassen, wie wir ihn vorgefunden haben“, erklärt Alain Visser.
Höhepunkte sind auch hier die Besprechungsräume: Der eine ist ganz in rot gehalten – eine Hommage an die suggestiven Sets von David-Lynch-Filmen. Der andere ist das genaue Gegenteil: ein puristisch-klarer Raum mit Tisch, Stühlen und Wänden in hellem Birkenholz. In der Mitte der Tischplatte erhebt sich ein blätterloser Baum, während ein großformatiges Lichtfeld an der Decke alles mit dem Hauch eines Weichzeichners überzieht. Auf die Idee, in einem schnöden Autohaus gelandet zu sein, käme hier bestimmt niemand.
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