Gewebte Geschichten
Shopdesign für ein indisches Stoffhaus von Workers of Art

Früher demonstrierten an den Wänden des Ladengeschäfts im indischen Kochi Spezialisten fürs Verputzen ihr Handwerk, jetzt ist dort der Flagship-Store einer Textilmarke eingezogen. Gestaltet wurde das Interieur vom ortsansässigen Designbüro Workers of Art. Sie erhielten das Putz-Patchwork – und machten aus den nüchternen Räumen mit unendlichen Metern Vorhang und einem roten Faden eine dem Stoff gewidmete Raumhöhle.
Für indische Verhältnisse ist die 600.000 Einwohner*innen zählende Metropole Kochi im Süden des Landes eine mittelgroße Stadt. Historisch hatte sie als wichtigste Handels- und Hafenstadt der Westküste große Relevanz. Die internationalen Einflüsse haben wirtschaftlich und kulturell Spuren hinterlassen. Über Jahrhunderte wurden dort Schiffe mit Textilien, Gewürzen, Holz und Kaffee beladen und europäische Architekt*innen stellten ihre Kolonialbauten zwischen die traditionelle keralische Architektur. Das gehobene Viertel Panampilly Nagar liegt gegenüber der auf einer Halbinsel gelegenen Altstadt und ist heute von niedrigen Geschäftshäusern, gemütlichen Straßencafés und viel Grün geprägt. Instyle Creation, ein führendes Unternehmen im Bereich der Inneneinrichtung aus Südindien, hat dort seinen ersten Flagship-Store für Textilien eröffnet. Mit der Gestaltung wurde das lokale Studio Workers of Art beauftragt, das in seinen Projekten immer wieder die Verbindung von tropischem Brutalismus mit nachhaltigen Strategien sucht.
Patchwork aus Putz
Die Ausgangslage war besonders. Der vorherige Nutzer des 2.000 Quadratmeter großen Ladengeschäftes war ein Fachbetrieb für verputzte Fassaden. Die eigenen Wände nutzte man dafür, das handwerkliche Können und die ästhetischen Möglichkeiten zu demonstrieren. Wandflächen und Decken waren mal mit Rauputz, mal mit Strukturputz, mal mit Kellenstrich „veredelt“, daneben wurden Ziegelwerk oder eine Steinmauer imitiert. Der Abtrag wäre aufwendig und kostspielig gewesen, weswegen sich Workers of Art entschied, aus der finanziellen Not eine gestalterische Tugend zu machen und alles in den Neuentwurf zu integrieren. Die vielen Nuancen des Putz-Patchworks wurden monochrom weiß gekalkt, um ästhetische Harmonie herzustellen. Auf diesen neutralen Untergrund wurde dann in der unteren Raumhälfte auf Wänden und Boden eine zweite Ebene aus grauem Putz und Estrich aufgetragen. „Diese Töne bilden nicht nur einen neutralen Hintergrund für die Stoffe, sondern veranschaulichen auch, wie die Materialien mit hellen und dunklen Paletten kontrastieren können“, erklären die Workers of Art.
Roter Faden
Sie selbst fügten aber auch ein kontrastierendes Element ein. Ein signalrotes Rohr windet sich durch den Raum und erinnert an einen vom Wind verwirbelten Faden. Meist läuft es über Kopf, mal wandert es auf Hüfthöhe, aber immer funktioniert es als Hänge- und Präsentationsvorrichtung für die Textilien. Denn Stoffe sind aufgrund ihres Formats in einem normalen Shop-Kontext nur schwer komplett frontal zu betrachten. Noch komplizierter wird es, wenn mehrere Stücke miteinander verglichen werden sollen. Das rote Band aber funktioniert wie eine endlose, unter der Decke hängende Kleiderstange. Spezielle, auf das Textilmaß angepasste Bügel halten die Stoffe. Große Formate können aber auch direkt über das bis zu 300 Kilogramm tragende Rohr gefaltet werden. Gleichzeitig wurden unterschiedliche Strahler und Leuchten integriert, die sich direkt auf die Oberfläche der Ausstellungsstücke richten lassen und dadurch auch die Bewertung vom Fließen und Fallen der Textilien erleichtern.
Vom Bunker zur Höhle
Um den nüchternen, fast bunkerähnlichen Räumen eine warme und gemütliche Atmosphäre zu geben und als Antwort auf das Sortiment, wurden Stoffinstallationen als raumbildende Elemente und Kennzeichnung unterschiedlicher Funktionsbereiche genutzt. Schon am Eingang werden die Besucher*innen von einem textilen Torbogen empfangen. In mehreren Ebenen und unterschiedlichen Längen wurden Vorhänge im Wellenfall installiert, die den Durchgang einrahmen. Im hinteren Bereich des Ladengeschäfts kann ein kreisförmig angebrachter Vorhang um einen Tisch geschlossen werden. Und im Büro, in dem auch Planungen und Besprechungen mit den Kund*innen stattfinden, dient der über die ganze Decke hinweg angebrachte Textilhimmel als Schallschlucker.
Geschichten in Textil
Das Thema der fließenden Übergänge hat Workers of Art auch beim Mobiliar angewendet. Bänke, Displays, Theken und Hocker wurden aus Ferrozement gefertigt und gehen fest installiert in den Boden über. Ihre teilweise wellenförmigen Wangen und Fronten sind ein statisches Echo auf den weichen Fall der Vorhänge. Wichtig war den Gestaltenden, sowohl die Vergangenheit des Hauses und seine Geschichte zu erhalten, als auch eine eigene Geschichte für ihren Auftraggeber zu erzählen. Sie installierten dafür sogar einen „roten Faden“, der zum tanzenden Leitsystem für die Besucher*innen wird – und eine starke Markenidentität für Instyle Creation schafft.
FOTOGRAFIE Ishita Sitwala Ishita Sitwala
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