Fabrik mit Flaschenflug
Eine Fabrik voller Strandgut ist das neue Zuhause von Analog Folk.
Eine Werbeagentur, die sich selbst als analoge Truppe tituliert? Ohne Frage eine Selbstdarstellung mit Augenzwinkern, zumal Analog Folk in der digitalen Welt ausnehmend erfolgreich ist und Dependancen in drei Kontinenten betreibt. Die in London ansässige, europäische Niederlassung wurde jetzt vom Designbüro DH Liberty entsprechend der Firmenphilosophie ausgebaut. Heißt: Tradition trifft Moderne, Gebrauchtes begegnet Gebautem, und alte Flaschen werden durch 3D Modeling zum Fischschwarm.
Wer kreativ ist, arbeitet und lebt im Stadtteil Shoreditch. Von den Backsteinwänden der umgenutzten Fabrikgebäude schälen sich mehrere Lagen Street Art, außen klebt schonmal ein Banksy, drinnen laden Galerien zu wechselnden Ausstellungen. Die Vergangenheit ist in diesem Viertel genauso zu erahnen wie die Zukunft. Inmitten der bunten Szene aus Provisorischem und frisch Etabliertem hat auch die Agentur Analog Folk ihre neue Heimat gefunden. Stolze 929 Quadratmeter, also nach britischer Messung 10000 Square Feet, ist das Büro groß. Für die Erschließung von so viel Raum wurde das historische Bestandsgebäude durch einen teilweise aufgesetzten Anbau erweitert und mit einer glänzenden Glasfassade verkleidet. Außerdem wurden Zwischengeschosse eingezogen um die Nutzfläche zwischen den hohen Wänden zu erhöhen.
Von stiller Post bis Internet
Erhalten wurde hingegen der Industriecharme, der mit seinen abgenutzten Wänden, offen verlegten Rohren und alten Holzdetails sofort eine Symbiose mit dem skulpturalen Modernismus aus Glas und Stahl eingeht. Die Haltung des Unternehmens wird dadurch im übertragenen Sinne sichtbar. „Das Ziel von Analog Folk war der Aufbau einer Werbeagentur, die traditionelle Wege des Informationsaustausches einbezieht, aber auch die neue digitale Informationstechnologie anzapft“, erläutern die Gründer selbst ihren Ansatz. Indem die Innenarchitekten von Design Haus Liberty nicht nur Neues, sondern auch zur Gebäudegeschichte passende Fundstücke einbanden, schlugen sie die Brücke zwischen Geschichte und Gegenwart und stellten den Bezug zur ganzheitlichen Arbeitsweise der Agentur her. Zu den von den Architekten installierten Antiquitäten gehört eine Bibliothek, die aus alten Baugerüsten und Bohlen errichtet wurde, außerdem Teppiche und Überseekoffer. Dazwischen stehen gestrige Telefonhäuschen fürs ruhige Telefonieren mit dem Mobiltelefon von heute. Und der Besucher wird am Eingang von historischen Holztüren begrüßt, in die der Name der Werbeagentur mittels Wasserstrahl computergesteuert hineingeschnitten wurde.
Digitale Applikationen für fliegende Fische
Die vielleicht beeindruckendste Installation aus Fundstücken findet sich im Eingangsbereich des Büros, dort wo die neue Stahltreppe ins Zwischengeschoss hinaufführt. Auch hier wurde hinter den Kulissen digital gerechnet und simuliert, um die analoge Erscheinung zu perfektionieren. Hunderte von Flaschen haben die Designer am Strand gesammelt und für ein zweites Leben zusammengetragen. Jetzt fliegen sie wie die Formation einer Fischschule im Raum, die Hälse in den imaginären Strudel ihres Schwarms gereckt. Für diesen ungewöhnlichen Kronleuchter namens Flying Nemo hat DH Liberty nicht nur ein spezielles Skript geschrieben, Zuschnitt und Hängung wurde ausschließlich von Mitarbeitern des Studios durchgeführt. Bis ins Detail haben Designer und Agentur die Vorzüge des Digitalen mit denen des Analogen zusammengebracht, um Besonderes zu gestalten. Ungenutztes wird umgenutzt – und findet nicht nur zu einer neuen Funktion, sondern in der neuen alten Umgebung auch zu neuer Wertschätzung.
FOTOGRAFIE Quintin Lake
Quintin Lake