Fenster zur Welt
Villa Bloch in Poitiers von Nicolas Dorval-Bory und Studio vorbot
Seit jeher dient die Villa Bloch als Künstlerresidenz für Geflüchtete. Nicolas Dorval-Bory Architectes und Studio vorbot verwandelten das Wohnhaus von Jean-Richard Bloch in einen Rückzugsort, in dem die Sonne niemals untergeht.
Jean-Richard Bloch war Schriftsteller, Journalist und politischer Aktivist jüdischer Herkunft. Als die Deutschen 1940 auch seine Heimat Frankreich besetzten, ging er in die Sowjetunion. Sein Haus, auch „La Mérigote“ genannt, galt als Zufluchtsort, wo er von Diktaturen und Unterdrückung bedrohten Freunden Unterschlupf bot. In dieser Tradition steht die Villa in Poitiers noch heute. Bewusst entschieden sich seine Erben gegen ein Museum. Von der Stadt erworben, dient die Villa Bloch inzwischen als Residenz, in der geflüchtete Intellektuelle und Künstler unterkommen können.
Besonderes Erbe
Als ein Fenster zur Welt wird das alte Gebäude auch bezeichnet. Eine Metapher, die an diesem internationalen Treffpunkt künstlerisch wie architektonisch zutrifft. Nicolas Dorval-Bory Architectes und vorbot entwarfen für ihren städtischen Bauherren ein behutsames Renovierungskonzept für die 440 Quadratmeter große Fläche, welches das ursprüngliche Haus, seine Erweiterung aus den Dreißigerjahren und die umliegende Parklandschaft zusammenführt. Aber auch die speziellen Bedürfnisse der Schutzsuchenden mitdenkt.
„Unsere ersten Absichten im Projekt beruhten sowohl auf diesem besonderen Erbe als auch auf der Analyse des architektonischen Potentials“, sagen die Planer, die mit dem Umbau vor allem die Vorzüge des Bestands zu enthüllen beabsichtigten. Zunächst aber stellten sie eine geringe Anzahl an Fenstern fest und die größte Schwachstelle des Hauses, eine Treppe zwischen Altbau und Erweiterungsbau. „Wir nutzten die Gelegenheit, diesen speziellen Raum in einen radikal anderen zu verwandeln, der für den Rest der Räume von Vorteil sein könnte“, meint Nicolas Dorval-Bory.
Second jour
Die Architekten erkannten das Gebäude als „introvertierten Zufluchtsort“, dessen Innenräumen sie mittels Licht und Materialien eine „neue Art von Äußerlichkeit“ verleihen wollten. Dafür griffen sie auf ein bewährtes architektonisches Prinzip zurück, das maßgeblich für die Modernisierung zahlreicher Räume werden sollte: Unter dem französischen Begriff second jour, also zweiter Tag, versteht man einen großflächig verglasten Bereich innerhalb eines Interieurs, der den Eintritt von Sonnenlicht durch die Räume hindurch erlaubt. Hier kommt dieses architektonische Prinzip gleich zweimal zum Einsatz.
Über den sechs Meter hohen Schacht legte das Team ein Lichtpaneel, dessen Beleuchtung in Intensität und Stimmung verändert werden kann. Von hier aus gehen drei interne Fensterflächen zu den drei Ateliers der Bewohner ab. So sorgen die Planer nicht nur für eine insgesamt gleichmäßigere Ausleuchtung. Die Bewohner können das Kunstlicht auch so einstellen, dass es entweder den äußeren Gegebenheiten entspricht oder nachts den Effekt von Tageslicht simuliert.
Doppelte Durchsicht
Ähnliche Ansätze verfolgten die Architekten in den Badezimmern. Sie erhielten ebenfalls beleuchtete Decken. Außerdem ließ man die Längsseiten der schmalen, aneinandergrenzenden Räume verglasen. So dringt das Licht der neuen Lichtquellen bis ins Innere der Architektur. Umgekehrt gelingt den beiden Architekturbüros mit der transparenten Gestaltung aber auch eine spannende Raumfolge und ein zeitgemäßes Gefüge in den sonst spartanisch gehaltenen Studios, die noch immer stark an die alten Zeiten erinnern.
Während die Gestaltung der Wohnräume keinerlei dekorative Elemente vorsieht, weisen die Nasszellen eine dezente farbliche und formelle Experimentierfreude auf. Und auch hier thematisieren die Architekten das Verhältnis von innen und außen. Ausgestattet mit Putz und Fliesen, wie man sie von Terrassen kennt, hätten sie diese strukturell weit innenliegenden Räume als Außenräume behandelt, sagen die Planer. Die Kacheln stehen dabei komplementär zur jeweiligen Himmelsrichtung der Räume. Zur nördlichen Fassade sind sie in einem warmen Rostrot, zur Südseite in einem hellen Mintgrün gehalten.
Dekorative Details
In einem der Bäder befindet sich noch immer ein alter Kamin. In einem anderen ist eine Abfolge von Stufen erhalten, die sich durch eine darunterliegende Treppe und der entsprechend benötigten Kopffreiheit ergibt. Den Stufen passten die Planer die Fensterfronten an und integrierten sie als Regale und Ablagen. Bewusst wurden Handtuchtrockner, Türgriffe und Rohre diskret und ohne materiellen Ausdruck gehalten. Aber mit ihren geschwungenen Formationen sorgen sie für dynamische Linienführungen.
Zwar verzichteten Nicolas Dorval-Bory Architectes und vorbot auf jegliche expressive Geste. Doch fanden sie mit ihrem Konzept aus Helligkeit und Transparenz eine respektvolle, poetische Handschrift, die Architektur und Bewohnern gerecht wird sowie den kulturellen und politischen Auftrag des Gebäudes unterstreicht.
FOTOGRAFIE Nicolas Dorval-Bory
Nicolas Dorval-Bory