Gebrochene Schönheit
Beauty-Salon von balbek bureau in Kiew
Wo Falten ausgebügelt werden, sind bröckelnde Oberflächen durchaus erlaubt. Der Schönheitssalon Say No Mo Social Nail Bar von balbek bureau in Kiew setzt auf durchbrochene Betonwände und modernistische Eingebungen – Hochprozentiges gehört zur Kur mit dazu.
Die äußere Erscheinung ist immer eine Illusion. Denn Tricks sind erlaubt. Dies gilt für den Zustand menschlicher Körper und Visagen ebenso wie für bauliche Interventionen. In Kiew hat ein Schönheitssalon eröffnet, wo nichts ist, wie es erscheint. Aber genau das macht diesen Ort spannend: Er ist eine Projektion, ein künstliches Narrativ. Und er zeigt eine gesunde Portion Humor. Die gestalterischen Zügel der räumlichen Transformation lagen in den Händen der Architekten Slava Balbek, Sofiia Hupalovska und Nataliya Stukonog von balbek bureau, das ebenso in der ukrainischen Hauptstadt ansässig ist. Finanziert wurde das Projekt von einer Bauherrin aus Kanada, die in der Schönheitsindustrie tätig ist.
Fernab vom Stereotyp
Zehn Monate dauerte der Umbau des 200 Quadratmeter großen Ladengeschäfts inmitten der Altstadt, das sich über ein Erd- und Untergeschoss erstreckt. Die historische Bausubstanz sollte sichtbar werden. Zugleich sollte eine wirkungsvolle Brechung entstehen – was die architektonische Umgebung, die Bestimmung des Ortes als auch die Nutzung anbelangt. Denn anders als die meisten Schönheitssalons soll sich die Say No Mo Social Nail Bar an Frauen und Männer adressieren. Und das hieß im Gestaltungsprozess: Stereotype auf beiden Seiten über Bord zu werfen. Pastellene Farben und glatte Oberflächen wie in typischen Damensalons der Mitte des vergangenen Jahrhunderts kamen für balbek bureau ebenso wenig infrage wie das schummrige Ambiente eines Gentlemens Club mit holzgetäfelten Wänden und ledernen Sesseln.
Durch die Wand
Es sollte eine rauere Umgebung entstehen, die den Charme eines Nachtclubs oder einer verruchten Bar atmet, ohne den eigentlichen Zweck dieses Ortes auf Anhieb preiszugeben. Hierbei waren die vier Meter hohen Räume durchaus von Vorteil. balbek bureau platzierten in den Eingangsbereich eine vom Boden zur Decke aufragende Betonwand, die mit dem Presslufthammer durchbrochen wurde. Hinter ihr treten fünf Millimeter starke Stahlpaneele mit goldenem Finish zum Vorschein, die einen warmen, edlen Schimmer in den Raum werfen. Auch der vorgelagerte Betontresen ist aus Beton gegossen. Während die eine Seite im streng-kubischen Raster bleibt, ist die andere Seite ebenfalls mit dem Presslufthammer zerklüftet worden. Perfektion liegt in der Imperfektion, so die unmissverständliche Botschaft.
Wandelbare Partyzone
Und dazu gehört die richtige Brechung. Konkret: Haarpflege, Pediküre, Maniküre und Make-Up-Studio um eine weitere Aufgabe zu ergänzen, die eigentlich nicht an diesen Ort gehört. Die kanadische Besitzerin hat neben einer Café- ebenso eine Barlizenz erworben. So können an einem Tresen aus Beton Cocktails oder Shots von erstklassigen ukrainischen Wodkas serviert werden. Die Rückwände sind ebenfalls mit güldenen Stahlpaneelen verkleidet, die Regale für verschiedene Teesorten freigeben.
Auf schimmernde Nuancen setzt ein silbriger Vorhang, der vor einer verspiegelten Wand platziert ist und die Illusion eines dahinter liegenden Raumes erweckt. Die Disco-Assoziation ist keine Koketterie: Immer wieder finden Parties im Salon statt. Dafür werden die Fußpodeste im Pedikürraum mit Beistelltischen überdeckt, auf denen Cocktailgläser platziert werden können. Der Blick fällt von dort auf ein großes metallenes Waschbecken, das um die vergangene Jahrhundertwende herum in der Sowjetunion produziert wurde. Heute und gestern treffen so ebenso aufeinander wie das Bruchstückhafte und Perfektionistische. Ein Raum, der Schönheit dort lokalisiert, wo Ecken und Kanten zum Tragen kommen.
FOTOGRAFIE Yevhenii Avramenko
Yevhenii Avramenko