Großstadt in der Provinz
Die von Maurizio Lai gestalteten Sushi Clubs in der Brianza
Überraschung: Diese Restaurants liegen nicht in den glitzernden Straßenzügen von Ginza oder Manhattan. Die Dependancen der italienischen Kette Sushi Club sind in der industriell geprägten Brianza im Norden von Mailand zu Hause. Das Weltgewandte ist hier keine Koketterie. Schließlich sind auffallend viele Gäste in Tokio oder New York unterwegs.
Beurteile nie ein Buch nach seinem Cover. Mit Landstrichen verhält es sich genauso. Auf den ersten Blick wirkt die Brianza, jene ländliche Gegend zwischen Mailand und dem Comer See, überaus provinziell. Doch hier reihen sich nicht nur Einfamilienhäuser, Bau- und Supermärkte aneinander, sondern auch Firmen. Und zwar all die großen Namen der italienischen Möbelindustrie, die in Tokio, Singapur und New York ebenso feste Showrooms unterhalten wie in Paris oder London. Viele Mitarbeiter in den Firmensitzen jetten – zumindest in Vor- und hoffentlich auch in Nach-Corona-Zeiten – regelmäßig zu ihren Niederlassungen in Asien oder Nordamerika. Sie kennen die weite Welt und finden nun einen Teil von ihr vor der eigenen Haustür: in den Restaurants der Kette Sushi Club.
Urbane Suburbanität
Nach Cesano Maderno (2017), Saronno (2018) und Corbetta (2019) ist die vierte Dependance im Mailänder Vorort Castellanza (2020) eröffnet worden. Weitere Standorte in Lipomo und Varese sind in der Planung. Was sie vereint, ist eine betont weltläufige, elegante Atmosphäre, die das Klischee der hinterweltlerischen Suburbanität gekonnt durchbricht. Die Interieurs wurden allesamt von Maurizio Lai gestaltet, der 1965 in Padua geboren wurde und in Venedig und Mailand Architektur studierte. Seine ersten Erfahrungen hat er bei der Ausstattung von Geschäften für Luxusmarken wie Longines, Gucci oder Montblanc gesammelt. Er weiß um die Bedeutung räumlicher Stimulanz – nicht nur beim Shopping, sondern ebenso in der Kulinarik. Mit seinem 1998 in Mailand gegründeten Studio hat er sich vor allem auf die Einrichtung von Restaurants spezialisiert.
Holz und Zement
Der Sushi Club in Cesano Maderno setzt auf eine theatralische Wirkung. Das in dunklen und zugleich warmen Tönen gehaltene Interieur erstreckt sich auf 966 Quadratmetern über ein Erd- und Obergeschoss Die Wände und Böden sind mit großformatigen Keramikfliesen verkleidet, die wie dunkel geräuchertes Holz mit einer betont dreidimensionalen, haptischen Oberflächenstruktur anmuten. Eine besondere Rolle fällt dem Einsatz von Licht zu. Die Fliesen sind an den Wänden und Tresen in schmalen, vertikalen Abständen zueinander gesetzt. Dazwischen werden mit Glas verkleidete LED-Bänder zum Leuchten gebracht.
Sie erzeugen eine Komposition aus parallelen Streifen, die keinem monotonen Raster verfallen, sondern beständig in Länge, Höhe und Abstand variieren und damit eine tanzende, rhythmische Wirkung entfachen. In einigen Bereichen des Restaurants hängen schmale Glasscheiben an filigranen Metallstiften von der Decke herab, die von unsichtbar integrierten LEDs erhellt werden. Die Glasflächen überlagern sich teils auf zwei Ebenen zu einem tektonischen Tartanmuster, das seine Erscheinung mit Blickpunkt des Betrachters beständig verändert.
Disco und Bonsai
Mit einer Fläche von 763 Quadratmetern ist der Sushi Club in Corbetta etwas kleiner dimensioniert. Dafür bespielt er ein ebenerdiges Volumen, das weit in einen Innenhof hineinragt. Die Farben sind deutlich wärmer gehalten. Im vorderen Teil des Restaurants, der sich mit einer 30 Meter langen Fensterfront nach draußen öffnet, sind die Decken und Wandpaneele ockerfarben durchleuchtet. Mit zunehmender Raumtiefe kommen weitere Farben ins Spiel. Wandfliesen mit dunklen Holzoberflächen dienen als Untergrund für kreisrunde Leuchten, die violette, rote und orangene Farbringe überlagern und geradewegs in die Verner-Panton-Ära entführen.
Die durchleuchteten Wand- und Deckenverkleidungen aus Glas changieren im großen Saal ins Türkis-, Lachs- und Jadefarbene. Von der Decke hängen Pendelleuchten mit trötenartigen Schirmen, die in verkleinerter Ausführung den Treppenaufgang zu einer Empore illuminieren. Die Außenflächen des Restaurants sind mit grauen Kieseln ausgelegt. Auf ihnen ruhen kubische Pflanzschalen, die mit Bonsais, mediterranen Gräsern und zahlreichen Blumen bestückt sind. In die Erdkübel eingelassene LED-Spots setzen den orientalisch-okzidentalen Garten in den Abendstunden wirkungsvoll in Szene.
Liaison mit der Natur
Das Wechselspiel mit der Natur bestimmt auch den neuen Sushi Club in Castellanza. Dieser erstreckt sich über eine Fläche von 430 Quadratmetern und ist zweigeteilt: Der eine Speisesaal verteilt sich über zwei Geschossebenen und wartet mit Sitznischen für jeweils vier Personen auf. Die Sitzflächen und Rückenlehnen der Polsterbänke sind mit dunkelgrünem oder mittelgrauem Stoff bezogen. Auch die Rückwände, Decken und Raumteiler sind durchleuchtet – jedoch in keinen kräftigen Farben, sondern in purem Weiß und in leicht ins Türkis tendierenden Nuancen.
Der Grund für die Zurückhaltung der Palette offenbart sich im zweiten Saal des Restaurants: Dieser öffnet sich an drei Seiten mit bodentiefen Fenstern zu einem versteckten Garten. Üppig wachsender Oleander und Jasmin werden am Tag vom Sonnenlicht durchflutet und in den Abendstunden von versteckten Spotlights akzentuiert. Der Grünton der Pflanzen findet ein Echo in den Wassergläsern auf jedem Tisch. Die gläsernen Schirme der Kassettendecke runden das Naturbild ab. Sie warten mit einem warmen, ockerfarbenen, leicht ins Abendrot tendierenden Farbton auf – und transferieren so ganz nonchalant den Glanz eines Tokioer In-Lokals in die Mailänder Provinz.
FOTOGRAFIE Andrea Martiradonna
Andrea Martiradonna
Projekt | Sushi Club |
Typologie | Restaurant |
Entwurf | Maurizio Lai |
Team | Giuseppe Tallarita, Matteo Bonfanti, Giulia Vago |
Fläche Cesano Maderno | 966 Quadratmeter |
Fläche Corbetta | 763 Quadratmeter |
Fläche Castellanza | 430 Quadratmeter |
Polsterstühle | Claire von Orlandini Design für Calligaris |
Beleuchtung | Maßanfertigungen, diverse Werkstätten |