Grüner wird's nicht
1 / 9

Heute muss zwar jedes neue Gebäude eine positive Energiebilanz ausweisen, doch es macht immer noch einen Unterschied, ob Nachhaltigkeit nur das Sahnehäubchen ist, das es als energieoptimierendes Finish noch dazu gibt, oder ob sie von Anfang an die Grundlage der Gebäudekonzeption bildet. Das Architektur- und Ingenieurbüro Ziegert Roswag Seiler hat sich mit konstruktivem Lehmbau einen Namen gemacht – von Bangladesh bis Abu Dhabi ist sein Wissen gefragt. Der Ausbau des eigenen Büros in Berlin-Kreuzberg erfüllt höchste Ansprüche an Umweltgerechtigkeit – und zwar auf allen Ebenen. Das kann man sehen, fühlen und sogar riechen.
Das Gebäude am Stichkanal zwischen Spree und Landwehrkanal gehört zu einem ehemaligen Gewerbekomplex aus der Gründerzeit; die Räume der Arbeitsgemeinschaft aus Ingenieuren und Architekten liegen in einem klassischen Loft im vierten Stock des Altbaus. Um die Anforderungen an die verschiedenen Aufgabenbereiche der Bürogemeinschaft zu erfüllen, wurde der große Raum aufgeteilt. Denn hier wird nicht nur entworfen und gerechnet; ein wichtiger Schwerpunkt liegt in der Forschung: Die Ingenieure sind gerade dabei, sich die Lizenz als Prüflabor für Lehmbau zu erarbeiten. An einem Niedrigenegiehaus ohne Lüftungsanlage in Holz- und Lehmbauweise tüfteln Ingenieure und Architekten gemeinsam, zudem werden hier immer wieder Lehmbaustoffe und innovative Holz- und Bambuskonstruktionen entwickelt.
Lehmkubus und Holzkiste
Bei ihrem Büroausbau kamen daher selbstverständlich solche Materialien zum Einsatz, die Ziegert Roswag Seiler auch bei ihren Projekten am liebsten verwenden: Holz und Lehm. Ein „Lehmkubus“ aus Holzständerwänden mit Lehmbauplatten nimmt rechts vom Eingang die Sanitäranlagen und das Prüflabor auf. Wer dabei an schlammbraune Wände mit Stroheleinlage denkt, liegt jedoch falsch: Die Lehmbauplatten der Firma Claytec, die die Ingenieure auch mitentwickeln, kann als Oberfläche mit Feinputz in vielen Farben bekleidet werden; hier wurde eine hellgrauer Putz mit leichtem Glimmeranteil gewählt. Sie bildet einen kühlen Kontrast zu den weiß gebeizten Regalen aus Konstruktionssperrholz. Letzteres kleidet auch die beiden Chefbüros und die Teeküche auf der hinteren, linken Seite des Büros ein; dabei dienen die Trennwände gleichzeitig als Stauraum. Direkt neben dem Eingang liegt der komplett verglaste Besprechungsraum mit Blick über die Spree und ihr intensiv genutzes Ufer mit seiner Mischung aus Kulturbetrieben und gewerblichen Nutzungen.
Arbeitsklima und Ergonomie
Herzstück des Büros ist jedoch der große, offene Bereich in der Mitte des Lofts. Hier stehen die vier Gemeinschaftstische für die Mitarbeiter. Um ihnen möglichst viel Beinfreiheit zu gewähren, werden die sechs Meter langen Tische lediglich an den äußeren Enden gehalten und bieten an jeder Seite Platz für je drei gegenüber liegende Arbeitsflächen. Ein Kanal für die Kabelführung in der Mitte unter der Platte dient dabei gleichzeitig als Aussteifung. Die Tische sind aus Konstruktionssperrholz gefertigt, weiß gebeizt und mit Linoleum belegt. Halbhohe Sideboards aus dem gleichen Material dienen als Stauraum und Trennung zwischen den Arbeitsgruppen. Jeder Angestellte hat zudem ein eigenes geschlossenes Fach für persönliche Gegenstände. Auch unter ergonomischen Gesichtspunkten werden die Belange der Mitarbeiter berücksichtigt: Die Monitore der Rechner können mit einem selbst entworfenen Stapelsystem aus kleinen Brettchen unterschiedlich hoch gelagert werden. Für gesundes Sitzen sorgen der dreidimensional bewegliche Drehstuhl ON und der Modus (beide Stühle von Wilkhahn). Neben der Bestuhlung erkennt man die unterschiedlichen Plätze von Ingenieuren und Architekten übrigens auch an den Arbeitsgeräten: Die Ingenieure sitzen an PCs, die Architekten an Macs.
Licht und Luft
Die Belichtung des Büros wurde ebenfalls in Hinblick auf Nachhaltigkeitsaspekte optimiert: So sorgen Sensoren und Schalter an den Tischen für eine präsenzgesteuerte Beleuchtung der Arbeitsplätze. Alle Innenwände besitzen zudem im oberen Bereich Verglasungen, die das Tageslicht bis in die fensterlosen Innenräume leiten.
Es ist auch kein Wunder, dass Besuchern beim Betreten des Büros sofort die frische Luft auffällt: Hier herrscht kein Büromief – trotz Sommerhitze und Südausrichtung. Das ist kein Zufall, sondern gezielte Planung: Zum einen dienen die Lehmwände als Speichermasse, die Feuchtigkeit aufnehmen und die Räume kühl halten, zum anderen absorbieren sie Schadstoffe aus der Raumluft. Es werden hier jedoch dank der ökologischen Baumaterialien gar nicht so viele frei gesetzt, zudem sind alle emittierenden Geräte wie Drucker und Kopierer in einem eigenen geschlossenen Raum im „Lehmkubus" untergebracht. Bei Raumluftmessungen wurden daher so gut wie keine Schadstoffe nachgewiesen. Ein weiteres, nicht zu unterschätzendes Detail ist sicher auch die Dusche, die extra für die zahlreichen Fahrradfahrer im Büro eingerichtet wurde. Nachhaltigkeit fängt eben schon auf dem Weg zur Arbeit an.
FOTOGRAFIE Torsten Seidel
Torsten Seidel
Mehr Projekte
Nachhaltig auf allen Ebenen
Intelligente Lichtlösungen für den Bürokomplex Tripolis-Park in Amsterdam

Arbeiten in neuem Licht
BOS hat das eyeo-Büro in Berlin als Stadtrundgang inszeniert

Architekturwandel an der Alster
Umbau der BAT-Hauptverwaltung in Hamburg durch Ratschko Architekten

Kreative in der Konservenfabrik
Zirkuläres Büro-Interieur im belgischen Leuven von tweestroom

Büro auf Abruf
Meeting Suites by Bene in Wien

Rohbaucharme und Ruhezone
Modernes Bürokonzept von Delta Pods im Sky Park Bratislava

Bestand und Weitblick
Nachhaltige Transformation des DUO Towers in Düsseldorf durch DJH Architekten

Massivholz und Mixed-Use
Die Team 7 Welt von Matulik Architekten mit Vestre-Outdoormöbeln

Zirkuläre Raute
Bürogebäude The Cradle in Düsseldorf von HPP Architekten

Zukunft im Industriedenkmal
PLY Atelier gestaltet Ramboll-Office in den Berliner Wilhelm Hallen

Kalifornische Moderne
Fabrikhallenbüro nahe Hollywood von 22RE

Zwischen White Cube und Colour Blocking
Batek Architekten gestalten Prophylaxepraxis T7.2 in Berlin

Flexibles New-Work-Office
Bürogebäude für Sevdesk in Offenburg von Müller + Partner

Zirkuläre Metamorphose
Lucas Muñoz Muñoz modernisiert eine Büroetage in Madrid für Sancal

Neue Rohheit
Brutalistisch angehauchte Umbauprojekte in drei europäischen Metropolen

Mut zur Veränderung
INpuls verwandelt das Landratsamt Freising in ein Bürgerbüro mit Zukunft

Alles im Kasten
Büro der Filmproduktion Dynamic Frame in Zürich von balbek bureau

Design à la campagne
Erwan Bouroullecs Bauernhaus im Burgund

Immer der Farbe nach
Studio Carcasse gestaltet ein neues Büro für Thoughtworks in Berlin

Büro mit Herz
Studio Theobald baut eine Gewerbeetage für Komplizen Film in Berlin um

Zwischen Natur und Technik
Johan Mångsén gestaltet das Interior des Bremer Saab-Büros

Londoner Zeitreise
Neue Büroflächen im Henry Wood House von Nice Projects

Moderner Filmsalon
Büroausbau von Civilian in New York City

Viel mehr als nur Schau
Mode-Showroom Casey Casey in Paris von Atelier NEA

Büro als Begegnungsstätte
Neues Headquarter von Henning Larsen und Ramboll in München

Labor mit Blick ins Grüne
Neue Büroräume von Graft in Berlin-Mitte

Mut zur Transparenz
Architekturbüro Hawkins\Brown bezieht eine Londoner Ladenfläche

Geschmackvolle Pausenräume
Kantinen und Cafeterien mit Aufenthaltsqualität

Wohnliche Praxis
Clinique Monkland in Montreal von Atelier Échelle

Arbeiten im Wohlfühlbereich
Neugestaltung der Innenräume des Fiandre-Hauptsitzes von Iosa Ghini Associati
