Halbiertes Haus: Selbstbauen im Surferparadies
Wie sich ein niederländisches Architektenpaar ein Ferienhaus in Chile baute.

Was macht man mit einem Grundstück in weiter Ferne, das von der nächsten Stadt 30 Kilometer entfernt liegt und auch sonst nur schwer zugänglich ist? Man nehme sich ein paar Monate frei und bebaue das Areal in Eigenregie mit Materialien aus der Umgebung.
Erst in den Achtzigerjahren begannen sich Menschen an dem Puertecillo getauften Küstenabschnitt niederzulassen: Die kleine chilenische Kommune, die sich seitdem gebildet hat, besteht in erster Linie aus Surfern, die von den hohen Wellen angelockt werden, die über das ganze Jahr konstant auf die Küste treffen. Viel mehr außer ein paar Häusern und Geschäften hat die Gegend nicht zu bieten – erst seit kurzem ist die Ansiedlung durch eine durch den dichten Regenwald geschlagene Straße mit dem Umland verbunden. Keine einfachen Bedingungen für einen Hausbau, es sei denn man legt selbst Hand an und beschafft sich das benötigte Material vor Ort. Genau das taten Alondra Paz Vargas und Johan Selbing, die in Amsterdam gemeinsam das Architekturbüro Studio Selva betreiben. Vargas' Eltern erteilten den beiden Planern den Auftrag, das 700 Quadratmeter große Grundstück mit einem kleinen Ferienhaus zu bebauen. Um das Gebäude vor Leerstand zu bewahren, soll es den temporär ansässigen Surfern als Unterkunft zur Verfügung stehen.
Fifty-Fifty
Mit fertigen Plänen verließen die beiden Architekten Amsterdam in Richtung Chile: Sie wollten auf einer Grundfläche von 100 Quadratmetern sechs kompakte Wohnmodule mit einer Gesamtgröße von 50 Quadratmetern sowie eine große Terrasse für die Gemeinschaft errichten. Die Architektursprache orientiert sich an chilenischen Bauernhäusern, die traditionell aus einer Holzbalkenkonstruktion bestehen. Sämtliches Baumaterial, von den Bauhölzern bis zum Eukalyptus, der als Sonnenschutz dient, stammt aus der nahen Region. Es wurde von Vargas und Selbing in Eigenarbeit gewonnen und zerlegt, zum Grundstück geschafft und anschließend verbaut. Auch das subtropische Klima stellte die Planer vor Herausforderungen: nicht nur physisch, sondern auch architektonisch. Ein weiterer Grund, auf lokale Werkstoffe wie Stroh und Lehm zurückzugreifen. Diese bieten nicht nur eine günstige Bauweise, sie isolieren gut und absorbieren die hohe Luftfeuchtigkeit.
Grill und Gitarre
Der Grundriss wurde während des fünfmonatigen Bauprozesses nicht verändert: Vier kleine Schlafzimmer reihen sich neben einem Bad und einer Küche auf. In den Räumen befindet sich nur das Nötigste, das eigentliche Wohnerlebnis findet im überdachten Außenbereich statt. Die Inspiration dafür fanden die Gestalter in den Lebensgewohnheiten der Surfer, die nach einem Tag auf dem Meer den Abend in der Gemeinschaft ausklingen lassen: Ganz klassisch am Lagerfeuer mit Grill und Gitarre. Für diesen Anlass schufen Selbing und Vargas die 50 Quadratmeter große Terrasse, die sich zum Tal hin öffnet und einen Ausblick in Richtung des Ozeans bietet. Ein Teil des Daches ist, wie die Seiten des Gebäudes, als licht- und luftdurchlässige Schicht aus Eukalyptus-Ästen konstruiert, die für ein optimales Klima im Haus sorgt
Für die beiden Architekten war der Bauprozess eine lehrreiche Erfahrung, die ihre Arbeitsweise nachhaltig beeinflusst hat. Auf der einen Seite mussten sie mit den besonderen Anforderungen des Ortes umgehen, andererseits konnten sie während der Bauphase immer wieder Einfluss auf Details nehmen. Eine Möglichkeit, die den Architekten nicht oft geboten wird. Der Bau wurde für sie zu einem begehbaren 1:1-Modell, an dem sie täglich feilen konnten. Diese Form der Improvisation offenbarte Planern und Bauherren nicht nur eine neue Seite der Architektur, sondern ist eine unbewusste, architektonische Entsprechung des Surfer-Lifestyles, der ja ebenso von Unberechenbarkeiten geprägt wird.
FOTOGRAFIE Nico Saieh
Nico Saieh
Casa Tumán
Neubau in traditioneller Holzbauweise / 50 Quadratmeter / Puertecillo, Chile / Fertigstellung 2016
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