Hauptsache nicht normal
Wohnungsumbau von Rodolphe Parente in einem typischen Pariser Haussmann-Gebäude.
In einem typischen Haussmann-Gebäude im Süden von Paris realisierte der französische Architekt und Designer Rodolphe Parente mit dem Wohnungsumbau Concrete Flat auf 35 Quadratmetern ein Projekt, das allen Traditionen der großbürgerlichen Wohnkultur widerspricht.
Etwas Außergewöhnliches wollte der Auftraggeber. Gesellschaftliche Normen sollten gebrochen und sich von der Normalität unterschieden werden. So wie die Kultserie Twin Peaks von David Lynch, die in den Achtzigerjahren das bis dahin erzkonservative amerikanische Fernsehen unterwandert und in seinem Serienformat das Reich des Grauens unter der glatten, heilen amerikanischen Welt sichtbar gemacht hatte.
Ungewöhnlicher Auftrag
„Ich möchte ein Zuhause, in dem ich mich wie der tanzende Zwerg in seinem roten Zimmer fühlen kann“, lautete der Wunsch des Auftraggebers, einem Mittdreißiger. Und er meinte damit das Epizentrum des Unterbewussten der Twin-Peaks-Akteure, in dem ein tanzender Zwerg rückwärts spricht und die Toten sich ein Stelldichein mit ihren vermeintlichen Mördern geben. Es handelte sich also selbst für den erfahrenen Architekten Rodolphe Parente um ein recht ungewöhnliches Auftragskonzept. Und um eine glückliche Fügung, denn er lässt sich schon seit langem durch die Werke von David Lynch inspirieren.
Fiktion und Realität
So ist in seinem jüngsten Projekt Concrete Flat zweifelsohne der Fußboden, der die roten Samtvorhänge aus dem TV-Zimmer symbolisiert, die augenscheinlichste Parallele zum „roten Zimmer“ aus Twin Peaks. Und genau wie das fiktive Serienzimmer, lediglich ausgestattet mit drei Ledersesseln und einer Stehlampe, wurde auch die Pariser Wohnung fast spartanisch und nur mit den nötigsten Möbelstücken eingerichtet. Den Mittelpunkt bildet dabei eine „schwebende“ Bibliothek, die weder Fußboden, Decke noch die Seitenwände berührt, sondern lediglich mit ihrer Rückseite an der Zimmerwand befestigt wurde. Sie wirkt im Gegensatz zu dem schlicht gehaltenen Interieur fast überdimensional.
Kultur vor Komfort
Mit diesem Einrichtungskonzept antwortete Parente auf den Wunsch seines Kunden, das Akademische dem Wohnkomfort vorzuziehen, um in seiner Wohnung genug Platz für Kultur, Bildung und Reflexion zu haben. Inspirieren ließ sich der Franzose dabei von Le Corbusier und Charlotte Perriand; schlicht, einfach und funktional sollte es werden, um die räumliche Leere mit physischer und mentaler Freiheit zu füllen. Parentes eigene Handschrift wird dagegen erst im Detail erkennbar. Sie besteht vor allem in versteckten Raffinessen sowie Spannungen zwischen Formen, Materialien und Licht.
Holz, Lack, Licht und Beton
So ist beispielsweise der Fußboden der Wohnung aus Mahagoniholz nicht nur rot wie die Samtvorhänge aus der TV-Serie; die in Rautenform geschnittenen Holzstücke mit heller und dunkler Maserung fügte Parente zum gleichen Zickzackmuster, wie es in schwarz-weißer Ausführung im roten Raum der Fernseh-Fiktion zu finden ist. Und genau wie in Twin Peaks erzeugt dieses Muster einen dreidimensionalen Effekt, den Parente noch dadurch verstärkt, indem er den gesamten Fußboden mit Hochglanzlack überzog. „Wie die Wasserschicht nach einem Regenschauer soll es wirken“, erklärt der Architekt, „mit der mein Kunde die gleiche Art von Leichtigkeit assoziiert, mit der sich der Zwerg im roten Zimmer bewegt“.
Sanfter Beton
Vor allem jedoch steht der glänzende Fußboden in starkem Kontrast zu dem alles dominierenden Material: Beton. Parente vertäfelte damit nicht nur alle Wände und Decken, sondern konstruierte aus ihm auch Bibliothek und Küchenzeile. Mit einer matten Oberflächenbearbeitung verlieh er diesem Rohmaterial etwas „Sanftes und Samtartiges“, wie Parente erklärt, und „lockerte das graue Gesamtbild durch viele das Tageslicht reflektierende Elemente auf“.
Persönliche Note
In seine zurückhaltend und schlicht wirkende Gestaltung baute der Franzose jedoch auch persönliche Elemente ein. So zollte er mit den Farben Rot und Gold dem Buddhismus Tribut, der Religion des aus Thailand stammenden Auftraggebers. Und gestaltete die marmorierte Tischplatte aus dem gleichen Grün, in dem der Smaragd am Finger des tanzenden Zwerges funkelt. Den Tusch setzt bei diesem internationalen Architekturkonzept jedoch der Kontext. Denn in einem schicken Pariser Immeuble wohnt in der kleinen Kammer unter dem Dach normalerweise der Philosophie-Student aus gutem Hause und kein tanzender Zwerg aus einer anderen Welt.
FOTOGRAFIE Olivier Amsellem & Yvan Moreau
Olivier Amsellem & Yvan Moreau