Projekte

Herz aus Beton

Philipp von Matt gestaltet ein Künstlerhaus in Berlin

Gute Architektur in Berlin? Es gibt sie. Man muss nur genau hinschauen. Von außen gibt sich das Künstlerhaus O12 von Philipp von Matt Architects BDA eher konventionell. Im Inneren wird ein Wechselspiel aus Sinnlichkeit und Brutalismus entfacht. Das Ergebnis: ein wohnlicher Hybrid aus Architektur und Skulptur.

von Norman Kietzmann, 04.10.2021

Architektur und Sushi sind sich manchmal näher als gedacht. Einer hausgewordenen Inside-Out-Rolle gleicht das Wohn- und Ateliergebäude, das Philipp von Matt für einen bekannten, französischen Maler mit Wahlheimat in Berlin gestaltet hat. Außen wird der dreigeschossige Bau von einer hellgelb verputzten Fassade umschlossen, die mit einer horizontalen Reliefstruktur aufwartet. Die unterschiedlich groß dimensionierten Fenster vermeiden eine monotone Proportionierung ebenso wie eine strenge Gliederung. Hinter der Eingangstür schließlich offenbart sich ein Treppenhaus aus Sichtbeton, das alles andere als schroff oder kalt daherkommt. Filigrane Lichtleisten sowie aus Messing gearbeitete Geländer setzen ein warm-schimmerndes Korrektiv zur grauen Betonoberfläche, die wie verwitterter Stein anmutet.

Ode an die Vertrautheit
„Mich fasziniert die Reibung zwischen dem Normalen und dem Bemerkenswerten. Ich mag die Qualität, etwas Gewöhnliches zu erschaffen, weil genau das nicht einfach zu erreichen ist“, erklärt Philipp von Matt. Seine Architektur sucht einen Spagat. Sie drängt sich nicht auf, nimmt sich zurück, will eine Bühne oder vielmehr eine Plattform sein. Dennoch ist sie alles andere als gleichgültig. Sie schafft einen Hintergrund mit Charakter, einen Ort zum Wohlfühlen, einen Platz, an dem Dinge passieren können. Im Wohnzimmer zieht ein großer Kamin die Blicke auf sich, dessen spitze Pyramidenform dem Grab Antonio Canovas in Venedig nachempfunden ist. Die glatt verputzte Rückwand des weißen Kamins ist in einem erdigen Braunton gestrichen, der sich wohltuend von der Decke aus Sichtbeton absetzt.

Vertikale Welle
Den Übergang vom Wohnzimmer zur Koch- und Esszone markiert eine Wand aus Sichtbeton. Sie verläuft nicht geradewegs von unten nach oben, sondern vollzieht eine markante Stufung auf halber Höhe des Raumes. Die „Ecken“ dieser Wand sind abgerundet, sodass der Eindruck einer vertikalen Welle entsteht. Die Materialität der Koch- und Esszone schaltet gleich in einen dreifach höheren Wärmegang. Wandschränke werden hinter raumhohen Türen aus geflochtenem Bast verborgen, die eine ungewöhnliche Taktilität und Oberflächentiefe einbringen.

Die Basttüren wirken archaisch, wie Überbleibsel einer frühen Zivilisation, die in erstaunlich gut erhaltenem Zustand den Sprung in die Gegenwart gemeistert haben. An der Fensterfront der Küche kommen dunkel-rostfarbene Fliesen zum Einsatz, die eine warme, gemütliche Stimmung erzeugen. Dem Cleanen und Coolen des Sichtbetons wird eine geballte Ladung Rustikalität entgegengestellt. Man könnte auch sagen: Die Fliesen sind das Pendant zum Knistern des Feuers – gebrannte Sinnlichkeit, die bei Tag und Nacht gleichermaßen ihre Wirkung entfaltet.

Verstecktes Licht
So verschlossen das Haus zunächst anmutet: Dunkelheit ist nicht zu befürchten. Der Grund dafür liegt in großzügigen Gebäudeeinschnitten, die von der Straße nicht einsehbar sind. So öffnet sich das Wohnzimmer zur Hofseite mit bodentiefen Schiebefenstern zu einem breiten Balkon mit Blick auf den dahinter liegenden Garten. Das verglaste Dach durchflutet die Atelierräume mit so viel Tageslicht, dass man sich im Freien statt im Gebäudeinneren wähnt. Es geht um „das Gefühl der Behaglichkeit beim Betreten eines alten Gebäudes, das schon seit hunderten von Jahren steht. Das Gewöhnliche im Sinne des Vertrauten“, sagt Philipp von Matt. Mit diesem Künstlerhaus in Berlin hat er ins Schwarze getroffen

Zur Person: Künstlerhäuser liegen Philipp von Matt. Der gebürtige Schweizer hat nach einer Station im Pariser Büro von Jean Nouvel 1995 sein eigenes Studio gegründet, das heute in Berlin-Mitte ansässig ist. Als Projektmanager betreute er in den späten Neunzigerjahren die Umsetzung der Renzo-Piano-Gebäude am Potsdamer Platz wie auch den Bau der Kanadischen Botschaft am benachbarten Leipziger Platz. Im Anschluss an das Berliner Projekt O12 nahm er die Umsetzung zweier weiterer Atelierhäuser in Angriff, eines in Köln und eines in Tokio.

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