Herz aus Beton
Philipp von Matt gestaltet ein Künstlerhaus in Berlin

Gute Architektur in Berlin? Es gibt sie. Man muss nur genau hinschauen. Von außen gibt sich das Künstlerhaus O12 von Philipp von Matt Architects BDA eher konventionell. Im Inneren wird ein Wechselspiel aus Sinnlichkeit und Brutalismus entfacht. Das Ergebnis: ein wohnlicher Hybrid aus Architektur und Skulptur.
Architektur und Sushi sind sich manchmal näher als gedacht. Einer hausgewordenen Inside-Out-Rolle gleicht das Wohn- und Ateliergebäude, das Philipp von Matt für einen bekannten, französischen Maler mit Wahlheimat in Berlin gestaltet hat. Außen wird der dreigeschossige Bau von einer hellgelb verputzten Fassade umschlossen, die mit einer horizontalen Reliefstruktur aufwartet. Die unterschiedlich groß dimensionierten Fenster vermeiden eine monotone Proportionierung ebenso wie eine strenge Gliederung. Hinter der Eingangstür schließlich offenbart sich ein Treppenhaus aus Sichtbeton, das alles andere als schroff oder kalt daherkommt. Filigrane Lichtleisten sowie aus Messing gearbeitete Geländer setzen ein warm-schimmerndes Korrektiv zur grauen Betonoberfläche, die wie verwitterter Stein anmutet.
Ode an die Vertrautheit
„Mich fasziniert die Reibung zwischen dem Normalen und dem Bemerkenswerten. Ich mag die Qualität, etwas Gewöhnliches zu erschaffen, weil genau das nicht einfach zu erreichen ist“, erklärt Philipp von Matt. Seine Architektur sucht einen Spagat. Sie drängt sich nicht auf, nimmt sich zurück, will eine Bühne oder vielmehr eine Plattform sein. Dennoch ist sie alles andere als gleichgültig. Sie schafft einen Hintergrund mit Charakter, einen Ort zum Wohlfühlen, einen Platz, an dem Dinge passieren können. Im Wohnzimmer zieht ein großer Kamin die Blicke auf sich, dessen spitze Pyramidenform dem Grab Antonio Canovas in Venedig nachempfunden ist. Die glatt verputzte Rückwand des weißen Kamins ist in einem erdigen Braunton gestrichen, der sich wohltuend von der Decke aus Sichtbeton absetzt.
Vertikale Welle
Den Übergang vom Wohnzimmer zur Koch- und Esszone markiert eine Wand aus Sichtbeton. Sie verläuft nicht geradewegs von unten nach oben, sondern vollzieht eine markante Stufung auf halber Höhe des Raumes. Die „Ecken“ dieser Wand sind abgerundet, sodass der Eindruck einer vertikalen Welle entsteht. Die Materialität der Koch- und Esszone schaltet gleich in einen dreifach höheren Wärmegang. Wandschränke werden hinter raumhohen Türen aus geflochtenem Bast verborgen, die eine ungewöhnliche Taktilität und Oberflächentiefe einbringen.
Die Basttüren wirken archaisch, wie Überbleibsel einer frühen Zivilisation, die in erstaunlich gut erhaltenem Zustand den Sprung in die Gegenwart gemeistert haben. An der Fensterfront der Küche kommen dunkel-rostfarbene Fliesen zum Einsatz, die eine warme, gemütliche Stimmung erzeugen. Dem Cleanen und Coolen des Sichtbetons wird eine geballte Ladung Rustikalität entgegengestellt. Man könnte auch sagen: Die Fliesen sind das Pendant zum Knistern des Feuers – gebrannte Sinnlichkeit, die bei Tag und Nacht gleichermaßen ihre Wirkung entfaltet.
Verstecktes Licht
So verschlossen das Haus zunächst anmutet: Dunkelheit ist nicht zu befürchten. Der Grund dafür liegt in großzügigen Gebäudeeinschnitten, die von der Straße nicht einsehbar sind. So öffnet sich das Wohnzimmer zur Hofseite mit bodentiefen Schiebefenstern zu einem breiten Balkon mit Blick auf den dahinter liegenden Garten. Das verglaste Dach durchflutet die Atelierräume mit so viel Tageslicht, dass man sich im Freien statt im Gebäudeinneren wähnt. Es geht um „das Gefühl der Behaglichkeit beim Betreten eines alten Gebäudes, das schon seit hunderten von Jahren steht. Das Gewöhnliche im Sinne des Vertrauten“, sagt Philipp von Matt. Mit diesem Künstlerhaus in Berlin hat er ins Schwarze getroffen
Zur Person: Künstlerhäuser liegen Philipp von Matt. Der gebürtige Schweizer hat nach einer Station im Pariser Büro von Jean Nouvel 1995 sein eigenes Studio gegründet, das heute in Berlin-Mitte ansässig ist. Als Projektmanager betreute er in den späten Neunzigerjahren die Umsetzung der Renzo-Piano-Gebäude am Potsdamer Platz wie auch den Bau der Kanadischen Botschaft am benachbarten Leipziger Platz. Im Anschluss an das Berliner Projekt O12 nahm er die Umsetzung zweier weiterer Atelierhäuser in Angriff, eines in Köln und eines in Tokio.
FOTOGRAFIE © Atelier PhvM
© Atelier PhvM
Mehr Projekte
Nachhaltig auf allen Ebenen
Intelligente Lichtlösungen für den Bürokomplex Tripolis-Park in Amsterdam

Arbeiten in neuem Licht
BOS hat das eyeo-Büro in Berlin als Stadtrundgang inszeniert

Architekturwandel an der Alster
Umbau der BAT-Hauptverwaltung in Hamburg durch Ratschko Architekten

Kreative in der Konservenfabrik
Zirkuläres Büro-Interieur im belgischen Leuven von tweestroom

Büro auf Abruf
Meeting Suites by Bene in Wien

Rohbaucharme und Ruhezone
Modernes Bürokonzept von Delta Pods im Sky Park Bratislava

Bestand und Weitblick
Nachhaltige Transformation des DUO Towers in Düsseldorf durch DJH Architekten

Massivholz und Mixed-Use
Die Team 7 Welt von Matulik Architekten mit Vestre-Outdoormöbeln

Zirkuläre Raute
Bürogebäude The Cradle in Düsseldorf von HPP Architekten

Zukunft im Industriedenkmal
PLY Atelier gestaltet Ramboll-Office in den Berliner Wilhelm Hallen

Kalifornische Moderne
Fabrikhallenbüro nahe Hollywood von 22RE

Zwischen White Cube und Colour Blocking
Batek Architekten gestalten Prophylaxepraxis T7.2 in Berlin

Flexibles New-Work-Office
Bürogebäude für Sevdesk in Offenburg von Müller + Partner

Zirkuläre Metamorphose
Lucas Muñoz Muñoz modernisiert eine Büroetage in Madrid für Sancal

Neue Rohheit
Brutalistisch angehauchte Umbauprojekte in drei europäischen Metropolen

Mut zur Veränderung
INpuls verwandelt das Landratsamt Freising in ein Bürgerbüro mit Zukunft

Alles im Kasten
Büro der Filmproduktion Dynamic Frame in Zürich von balbek bureau

Design à la campagne
Erwan Bouroullecs Bauernhaus im Burgund

Immer der Farbe nach
Studio Carcasse gestaltet ein neues Büro für Thoughtworks in Berlin

Büro mit Herz
Studio Theobald baut eine Gewerbeetage für Komplizen Film in Berlin um

Zwischen Natur und Technik
Johan Mångsén gestaltet das Interior des Bremer Saab-Büros

Londoner Zeitreise
Neue Büroflächen im Henry Wood House von Nice Projects

Moderner Filmsalon
Büroausbau von Civilian in New York City

Viel mehr als nur Schau
Mode-Showroom Casey Casey in Paris von Atelier NEA

Büro als Begegnungsstätte
Neues Headquarter von Henning Larsen und Ramboll in München

Labor mit Blick ins Grüne
Neue Büroräume von Graft in Berlin-Mitte

Mut zur Transparenz
Architekturbüro Hawkins\Brown bezieht eine Londoner Ladenfläche

Geschmackvolle Pausenräume
Kantinen und Cafeterien mit Aufenthaltsqualität

Wohnliche Praxis
Clinique Monkland in Montreal von Atelier Échelle

Arbeiten im Wohlfühlbereich
Neugestaltung der Innenräume des Fiandre-Hauptsitzes von Iosa Ghini Associati
