Intervention am Lagerfeuer
Ein Grillplatz in Shenzhen
Ein Platz mit dem Charme einer Kaserne – so urteilten die Architekten vom Pekinger MAT Office über den Ort ihrer letzten urbanen Installation. Vor der gestalterischen Intervention, versteht sich. Denn allein durch Farbe und ein paar Metallstangen gelang es, aus der Betonwüste einen Barbecue-Platz mit Aufenthaltsqualität zu machen. Zwischen den im Wind surrenden, gelben Pyramiden finden die Besucher Schatten – und vielleicht sogar einen Dialog mit dem Nebengriller.
Das Architekturstudio MAT Office wurde 2013 von von Tang Kangshuo und Zhang Miao in Rotterdam gegründet, nach zwei Jahren europäischer Architekturpraxis zog es 2015 nach Peking um. Durch den binationalen Hintergrund lässt sich auch der Fokus des Gründerduos erklären: Während die Niederlande Vorreiter im Bereich der progressiven Freiraumplanung sind, ist in China der öffentliche Freiraum vor allem eines: Mangelware. Ein großer Teil des bisherigen Portfolios von MAT Office umfasst die Gestaltung des urbanen Raumes, vom Park bis zum Innenhof. Als Adressaten sieht das Studio junge Menschen in Megacities – und kümmert sich in seinen Entwürfen sowohl um die Bedürfnisse des Individuums als auch des Kollektivs.
Monotone Wüste
Für die UAB Biennale (Urbanism\Architecture Bi-City) in Shenzhen hat MAT Office zuletzt einem strandnahen Grillplatz ein Makeover verpasst. Der Bestand hatte den Charme eines „Kasernenlayouts“, so zumindest beschreiben die Architekten die Ausgangssituation. Dicht an dicht standen die kleinen Barbecuestationen in einer Wüste aus Beton, funktional aber kaum einladend. Auf den zweiten Blick offenbarte sich die Teilung des Platzes gemäß zweier Baustadien: Zum Meer hin liegen kreisförmige Inseln, die Erweiterung zum Landesinneren besteht aus einem Feld quadratischer Sitzgruppen. Eine handgepinselte Nummerierung an den Plätzen diente der Orientierung. Die Eintönigkeit der Mobiliar-Landschaft, der Mangel an schattenspendenden Pflanzen oder Objekten und die Unübersichtlichkeit an betriebsamen Wochenenden – all das war kein Design, das den Menschen als Individuum im Blick hatte, sondern eine Reißbrettgestaltung der Massenabfertigung.
Entschleunigung im Kollektiv
Dieser Gestaltungsansatz ist typisch für China und spiegelt den „kollektiven“ Ansatz der Planwirtschaft wider. Der alte Picknickplatz stand nicht für Entschleunigung, Kontemplation und Entspannung, sondern präsentierte sich als Echo einer Kultur, die mit schnellem Konsum lebt, ständig unter Stress agiert und von Unruhe bestimmt ist. Der Ort selbst wird zum Botschafter – und sein Design bestimmt die innere Haltung der Nutzer. Aber die Architekten beobachten in ihrer Heimat auch eine Veränderung der Rezeption von Gemeinschaft – gerade bei jungen Menschen. „In den heutigen sozialen Netzwerken verändert die Beziehung von Individuum und Kollektiv auch die Wahrnehmung des öffentlichen Raumes durch den Menschen. Das anonyme Individuum ist ständig der Möglichkeit der Entfremdung ausgesetzt, während die Idee des Kollektivs mit dem Wandel neu definiert wurde“, erläutert MAT Studio. Eine zweite Lesart der Kollektiv-Idee ist eine Rückbesinnung auf Gemeinschaft im ursprünglichsten Sinn. Die Feuerstelle wird dabei zum Sinnbild. Sie bildet das Zentrum einer Versammlung und die einzige Ablenkung. Darum schart sich eine menschliche Gesellschaft im Austausch und Dialog.
Beton im Farbbad
Die wichtigsten Elemente – Feuer und Gesellschaft – waren in Shenzhen schon vorhanden. Für die Architekten ging es jetzt darum, durch gestalterische Interventionen den richtigen Rahmen zu schaffen. Über das monotone Grau des Betons hat MAT Office einen zweiten Layer in Kanariengelb gelegt. Auf dem Boden sorgt ein Anstrich, der jede zweite Sitzgruppe einrahmt und sich als grafisches Band über den Platz windet, für eine neue Raumwahrnehmung. Aus jeweils drei Gerüststäben bauen sich über und zwischen den Plätzen Pyramidenskelette zusammen. Sie verbinden die individuellen Inseln zu einem Atoll und schaffen als Installation eine Raumgrenze zum Himmel. In den Pyramiden wurden in regelmäßigem Abstand parallel angeordnete Textilbänder gespannt, die für halbschattige Aufenthaltsflächen sorgen. Das elastische Material vibriert in der vom Meer zum Landesinneren ziehenden Brise und erweckt den Eindruck einer ständigen, summenden Geschäftigkeit. Mit Einbruch der Dämmerung dann beginnt das Gelb zu leuchten. Wie kleine Feuer inmitten eines Waldes stehen die Grillplätze weithin sichtbar dar und bilden gemütliche Oasen des sozialen Miteinanders. Aus dem kargen und langweiligen Grillplatz ist allein durch Farbe und Reorganisation ein lebhafter Spielplatz geworden.
FOTOGRAFIE Tang Kangshuo
Tang Kangshuo