Stille Ecke
Pretziadas La Residenza auf Sardinien
Das Gästehaus des sardischen Designerduos Pretziada wurde mit hyperlokalen Materialien – wie Findlingen von den eigenen Feldern und Schilf von nahegelegenen Flussufern – gebaut. Es ist aber nicht nur ein Spiegel der eigenen Designhaltung, sondern vor allem ein Gemeinschaftswerk. Von den Terrakottaböden bis zum Mobiliar wurde das Interior von ansässigen Künstler*innen eigens für das Haus gefertigt.
Vor sieben Jahren sind der Mailänder Ivano Atzori und die Kalifornierin Kyre Chenven in eine alte Farm auf der italienischen Insel Sardinien gezogen. Ebenso dort angesiedelt haben die beiden Designer*innen, die auch privat ein Paar sind, ihre Arbeit: Ihr Label Pretziada interpretiert ursprüngliche Traditionen mit lokalen Materialien. Dabei arbeiten sie mit den besonderen Handwerker*innen der Insel. Etwa mit Mariantonia Urru, die ihre Webteppiche aus Wolle in den zentral gelegenen Bergen produziert, Walter Urru, der eine Töpferwerkstatt in Cagliari führt, oder seinem Nachbarn Sergio Frongia, der auf die Produktion von Messern spezialisiert ist. Als Wohnort für sich und ihre Kinder haben Atzori und Chenven eine Region absoluter Ruhe gewählt. Ihre Wahlheimat Sulcis liegt im Südwesten der Insel, das Land mit dem alten Bauernhof-Ensemble fernab der nächsten Nachbar*innen.
Zuhause im einsamen Sardinien
Während im Norden der Insel der Tourismus boomt und ein wohlhabendes Publikum auf großen Yachten für Monaco-Flair sorgt, blöken in Sulcis die Schafe über weite Weinberge und einsame Lavendelfelder hinweg. Das Gebiet am südlichsten Zipfel und weit im Landesinnern hat in den letzten Jahrzehnten einen langsamen, aber stetigen Niedergang erlebt, als die bäuerliche Wirtschaftsweise zurückging und industrielle Initiativen scheiterten. Die alten Höfe heißen in dieser Gegend Furriadroxu, was sich vom sardischen Verb furriai ableitet und so viel bedeutet wie „der Ort, an den man heimkehrt“. Nach einem Tag auf den Feldern traf sich dort abends die Familie – das Furriadroxu funktioniert wie ein Außenposten fernab dörflicher Strukturen. Viele Höfe stehen heute leer. „Die Menschen aus der Stadt hatten vergessen, dass diese kleine Häusergruppe existierte, bis wir einzogen“, erzählt das Team von Pretziada. „Jetzt hören wir oft die alten Geschichten der Vorbesitzer. Sie lebten hier, bevor es fließendes Wasser, Künstlerresidenzen und Instagram gab.“
Hyperlokal und authentisch rural
Fast fünfzig Jahre stand das Furriadroxu leer, als Pretziada einzog. Seit 2015 leben sie dort, renovierten das Haupthaus und hatten immer wieder Designer*innen zu Gast, die zum kreativen Austausch für eine Residenz vorbeischauten. Studiopepe war dabei, auch Andrea Branzi und Sam Baron. Jetzt haben sie ein zweites Haus modernisiert, das als temporäres Zuhause für die kreativen Gäste dient. „Für uns ist es von grundlegender Bedeutung, dass die Kreativen, die wir beherbergen, so viel wie möglich von der Region und ihrem Erbe aufnehmen können“, erklären Atzori und Chenven. La Residenza ist deshalb ausschließlich aus sardischen Ressourcen gebaut. Die historischen Bestandsmauern, die zum ursprünglichen Ensemble gehören, wurden mit Schilf eingedeckt, die Dachziegel aus lokalen Erden gefertigt. Die Stöcke kamen aus dem Fluss und Steine von den Feldern wurden zu Mauern oder Pflastern.
Design mit dem Wissen von Generationen
Das enge Netzwerk der Designer*innen zu den lokalen Handwerker*innen und ihren Betrieben zeigt sich im Interior der Residenza. Während die Menschen in der Vergangenheit in den ruralen Gebieten nur Stampflehm in den Wohnräumen hatten, setzte Pretziada bei der Renovierung auf eine lokale Technik, die sich sonst nur die reichsten Familien leisten konnten. Die auf dem Boden verlegten Terrakottafliesen werden mit einer Technik handgefertigt, bei der die Flammen beim Brennen erstickt werden, um eine satte, graue Oberfläche zu erhalten. Die Arbeitsplatte in der Küche besteht aus lokalem Marmor, dessen besonderes Kennzeichen eingeschlossene Muscheln und Steine sind, und die Wände wurden sowohl innen als auch außen mit einem natürlichen, lokal hergestellten Kalk verputzt.
Italien, Sardinien, Pretziada
Die gesamte Beleuchtung stammt von dem im zentralitalienischen Le Marche ansässigen Familienunternehmen Tooy, das mit minimalen Linien und Naturbezügen mit dem Ethos von Pretziada harmoniert. Die Wasserhähne stammen aus der Feder von Michele De Lucchi und zu einigen Stücken von Tacchini gesellen sich Antiquitäten sowie Objekte aus der eigenen Kollektion von Pretziada. Weitere Stücke wurden speziell für die Räume entworfen und hergestellt. Dazu gehören das organisch geformte Bett, der kastenförmige Kleiderschrank und der skulpturale Schrank im Esszimmer aus Kastanienholz von Pierpaolo Mandis, einem Schreiner aus der Bergstadt Mogoro. Durch einen Aufenthalt in La Residenza werden die besuchenden Gestalter*innen direkt inspiriert, denn das Haus und sein Interior wurden nach demselben Konzept gestaltet wie die Objekte von Pretziada. Es ist zeitgenössisch, aber doch ländlich und ursprünglich sardisch. Es ehrt die Geschichte der Insel, ohne sie stereotypisch zu wiederholen. Es ist ein Echo der lokalen Gemeinschaft auf die ästhetische Haltung von Pretziada. Oder, wie die Designer*innen selbst es pointiert einordnen: „La Residenza ist in der Stille des Tals und der Einfachheit der Umgebung ein Ort, der wie geschaffen ist, um ihn mit anderen zu teilen.“
FOTOGRAFIE Studio Vetroblu Studio Vetroblu