Japanischer Lichtfänger
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Filigran aus einem Guss: Ein Wohnhaus in Japan lässt Wände und Fenster zu einem wirkungsvollen Filter zwischen Innen und Außen verschmelzen. Vertikale Lamellen öffnen den Bau dem Tageslicht und halten zugleich die neugierigen Blicke der Nachbarn fern. Entworfen wurde das kompakte Meisterstück aus Holz vom Architektenpaar Shintaro Fujiwara und Yoshio Muro aus Osaka.
Ein Dreieck ist kein einfacher Baugrund – erst recht nicht, wenn die Hypotenuse einen leichten Bogen spannt. Doch das japanische Architekturbüro Fujiwara Muro ließ sich von diesen Gegebenheiten nicht beirren. In Kyoto realisierte es ein Wohnhaus für eine Familie und verwandelte den unpraktischen Zuschnitt des Grundstücks kurzerhand in eine Tugend. Anstatt die gekrümmte Gebäudeseite als gewöhnliche Wand mit eingelassenen Fensteröffnungen umzusetzen, lösten die Architekten sie in dreizehn vertikale Lamellen auf. Die schmalen „Miniwände“ stehen parallel zueinander und folgen der gekrümmten Kontur des knapp 300 Quadratmeter kleinen Grundstücks.
Ausblick in Scheiben
Das Ergebnis ist eine changierende Membran, die Wand und Fenster in einem ist. Dass sie galant zwischen Innen- und Außenwelt zu vermitteln vermag, ist vor allem den Proportionen der nach Süden ausgerichteten Elemente zu verdanken. Ihre Form gleicht lang gestreckten Quadern, die in einem Winkel von 45 Grad geneigt wurden. Wie Lichtfänger lassen sie die Sonnenstrahlen am Morgen in die Zwischenräume eindringen, so dass sich die hellbeigen Oberflächen der Lamellen in wirkungsvolle Reflektoren verwandeln.
In den Mittagsstunden wird das aus Holz konstruierte Haus von direktem Tageslicht durchflutet. Am Nachmittag und frühen Abend verändert sich die Lichtstimmung erneut. Wenn die Sonne weiter nach Westen wandert, schaufeln die geneigten Seitenflächen der Lamellen eine ebenso beachtliche Lichtmenge herein. Auf eine elektrische Beleuchtung kann damit während des Tages komplett verzichtet werden. Mit einer Länge von knapp anderthalb Metern sorgen die Lamellen zudem für einen wirkungsvollen Sichtschutz gegenüber den Nachbargebäuden, wodurch Jalousien und Vorhänge überflüssig werden.
Gestaffelte Räume
Das Erdgeschoss ist das Herzstück des Hauses und erfüllt zugleich drei Funkionen. Es dient als Wohnzimmer, Esszimmer und Küche und wird direkt von der Eingangstür betreten, ohne dass ein zusätzlicher Korridor als Puffer zum Stadtraum dient. Das Zentrum des Raumes bildet ein Esstisch von Arne Jacobsen, der von vier Armeisen-Stühlen (beides von Fitz Hansen) umrundet wird. Für einen spielerischen Auftritt sorgt ein weiterer Klassiker: der 1957 von Nanna Ditzel entworfene Egg Chair mit einer Schale aus Rohr, der an einer Stahlkette von der Decke herabhängt.
Schiebewände trennen den Open Space im Erdgeschoss von einer Toilette sowie einem Schlafzimmer auf der Nordseite des Hauses, wo eine Treppe ins Zwischengeschoss hinauf führt. Der Raum folgt der diagonalen Ausrichtung der Lamellenwand und dient als Kinder- und Spielzimmer. Möbel sind an dieser Stelle keine zu finden. Um Platz zu sparen, wurden sämtliche Stauräume direkt in die Wände integriert, während allein die kompakte Größe des Raums die Kinder zum regelmäßigen Aufräumen ermahnt. Das Tageslicht fällt hier nicht durch die Lamellen ein, sondern durch ein großes Fenster oberhalb der Küchenzeile. Ein Void sorgt hierbei für eine akustische Verbindung zwischen Erdgeschoss und Mezzanin, sodass die Eltern ihre Kinder zwar aus den Augen, aber nie aus den Ohren verlieren.
Baden im Licht
In der Mitte des Kinderzimmers führt eine Treppe hinauf ins Badezimmer, das sich direkt in der südlichen Spitze des Hauses befindet. Um Privatsphäre zu bewahren, verwendeten Shintaro Fujiwara und Yoshio Muro eine transluzente Verglasung zwischen den Lamellen. Wie eine Lichtbox im Fotostudio wird der Raum vom Tageslicht durchdrungen, während ein Fenster an der Westfassade direkte Ausblicke auf einen Kiefernwald auf der gegenüber liegenden Straßenseite liefert. Den Abschluss des Hauses bildet die Terrasse, die von der Treppe zum Badezimmer erschlossen wird. Indem die Lamellen als Geländer dienen, wird die Architektur von störenden Elementen befreit. Das Haus wirkt auf diese Weise trotz seiner lichten, fast immateriellen Erscheinung wie aus einem Guss – einem spitzen Dreieck mit einer gebogenen Hypotenuse sei Dank.
FOTOGRAFIE Toshiyuki Yano
Toshiyuki Yano
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