Katalanisches Chamäleon
Das Einfamilienhaus, das wachsen kann: Casa Migdia im spanischen Granollers.
Der Begriff „Flexibilität“ hat in den letzten Jahren stark gelitten: Alles und jeder waren auf einmal anpassungsfähig, multifunktional und dynamisch. Doch ausgerechnet ein Einfamilienhaus in der spanischen Kleinstadt Granollers beweist nun, dass der Ausdruck mehr sein kann als nur eine Marketingfloskel. Ein wahrhaft erleuchtetes und erleuchtendes Projekt.
Die Bauherrn, eine junge Familie, benannten zwei Anforderungen, die sie an den Neubau und seine Planer stellten: Ihr Haus in der katalanischen Stadt Granollers sollte lichterfüllt sein und die Möglichkeit bieten, über die Jahre zu wachsen und die Aufteilung zu verändern. Die Gestalter von Sau Taller d’Arquitectura entwickelten auf dieser Grundlage ein Gebäude, das in seiner Wandlungsfähigkeit einem Chamäleon gleicht.
Filter Fassade
Etwas außerhalb und nördlich von Barcelona gelegen, befindet sich die Casa Migdia, die nach dem „Mittag“, also dem höchsten Stand der Sonne, benannt wurde. Das hat seinen Grund: Die Ausrichtung nach Süden und das dadurch üppig vorhandene Licht sind zwei der Hauptgestaltungsmerkmale in diesem Haus, das von außen eher verschlossen wirkt. Doch dieser Eindruck täuscht. Die Architekten benutzen die Fassade wie einen Filter, der das Tageslicht in abgemilderter Form ins Gebäude lenkt. Dafür sorgt eine außenliegende Schicht aus transluzenten Polycarbonatplatten, die vor einer inneren Hülle aus Doppelverglasung sitzt. Die Verglasung lässt sich bei Bedarf vollständig öffnen, um das Raumklima zu regulieren.
Ordnender Kern
Die Grundrissorganisation des 180 Quadratmeter großen Neubaus steht dem Umgang mit den Lichtverhältnissen in nichts nach: Durch geschickte Anordnung der Wohnfunktionen verleihen die Architekten dem Inneren maximale Offenheit und Flexibilität. Küche, Schränke und Lagerflächen liegen gebündelt an den Außenwänden – der Treppenkern im Zentrum nimmt das Bad auf und bildet das Gelenk dieser intelligenten Baukunst. Dadurch bleiben die beiden Fassaden – zur Straße und zum Hof – und der Wohnraum frei. Die wenigen von den Planern eingesetzten Wände werden entweder durch vertikale Holzlamellen, die sich bei Bedarf verschieben lassen, zersetzt oder durch Schiebetüren perforiert. Kein Element in diesem Haus ist zu viel, keines zu wenig. Alles scheint in Bewegung zu sein. Licht, Luft und Raum sind die Hauptdarsteller dieser außergewöhnlichen Architektur.
Und in Zukunft lassen sich Wände oder sogar zusätzliche Ebenen, wie über dem doppelgeschossigen Wohnbereich, hinzufügen – und so Dimensionen und Nutzung des Hauses zu ändern. Die dafür benötigten Anschlusspunkte sind geschickt im Betonboden versteckt. Die Casa Migdia verknüpft auf intelligente Art und Weise die natürlichen Gegebenheiten mit der Anforderung der Bauherrn, sich verändernden privaten Umständen mit Leichtigkeit anpassen zu können: ganz wie das Chamäleon, mit dem die Architekten ihr Werk liebevoll vergleichen.
FOTOGRAFIE Andrés Flajszer
Andrés Flajszer