Lebendige Weltkultur
Das Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum widmet sich bereits seit über hundert Jahren der Völkerkunde sowie außereuropäischer Kultur und Kunst. Das Haus ist nun im Zuge eines Museumsneubaus wieder eröffnet worden und präsentiert sich mit einer neuartigen, szenografischen Ausstellungskonzeption von Atelier Brückner. Über einen Themenparcours, der die Besucher nicht wie sonst üblich durch geografisch eingeteilte Ausstellungsräume führt, sondern durch eine dynamische Abfolge einzelner Kapitel gekennzeichnet ist, ist das Gestaltungskonzept darauf ausgelegt, die Kulturen der Welt erfahren zu können – und sich selbst als Teil der Weltkultur zu erleben.
Bereits Ende 1906 wurde das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln eröffnet. Adele Rautenstrauch finanzierte das Gebäude in der Kölner Südstadt zum Gedenken an ihren Bruder, den Forschungsreisenden Wilhelm Joest, der ihr nach seinem Tod etwa 3500 Objekte aus aller Welt hinterließ. Im Laufe der Zeit wuchs der Museumsbestand auf rund 60 000 Objekte sowie 100 000 historische Fotografien an. Als Mitte der 1990er Jahre die Stadt Köln vom sogenannten „Jahrhunderthochwasser“ heimgesucht wurde, fiel schließlich der Entschluss zum Neubau des Museums innerhalb des neuen Kulturzentrums im Zentrum der Stadt, in dem auch das Schnütgen-Museum, die Kunsthalle und die Volkshochschule beheimatet sein sollten.
14 Jahre Planungs- und Bauzeit
Den 1995 ausgelobten Wettbewerb gewannen die Architekten Schneider und Sendelbach aus Braunschweig. Ende Oktober dieses Jahres wurde das Kulturzentrum nach 14 Jahren Planungs- und Bauzeit wieder eröffnet und gliedert sich nun in vier kubische Baukörper, die durch verglaste Zwischenräume und begehbare Stege miteinander verbunden sich. Im Inneren bietet das neue Haus nun nicht nur ausreichend Platz für die Objekte der umfangreichen Sammlung des Rautenstrauch-Joest-Museums, sondern auch für eine interaktive angelegte Dauerausstellung, in der rund 2000 Exponate gezeigt werden.
Themenparcours auf drei Etagen
Die unkonventionelle Ausstellungskonzeption von Atelier Brückner aus Stuttgart lädt auf 3600 Quadratmetern und drei Etagen zu einer erkenntnisreichen Entdeckungsreise ein. Statt lediglich Exponate im geografischen Umfeld zu präsentieren, verfolgt das Konzept einen vergleichenden Ansatz und betont damit das gleichberechtigte Dasein aller Kulturen. So wurde jeder Bereich des in sich geschlossenen Themenparcours „Der Mensch in seinen Welten“ individuell inszeniert. Der Besucher wird bereits im großen, von Tageslicht durchfluteten Foyer vom größten Exponat des Hauses empfangen: Ein historischer Reisspeicher von der indonesischen Insel Sulawesi steht exemplarisch für die gesamte Ausstellung und bereitet die Besucher auf die kommenden Räume vor, indem schon hier sämtliche Themen des Parcours an Informationsmodulen bildlich vorgestellt werden. Umrahmt wird der Parcours zudem von einem Prolog und einem Epilog in Form multimedialer Rauminstallationen. So werden die Besucher beim Prolog von Menschen aus fremden Kulturen begrüßt, blau leuchtende Grafiken an Wänden und am Boden benennen zudem die einzelnen Themenbereiche des Rundgangs.
Mystische Lichtstimmung
Die Lichtplanung für das neue Rautenstrauch-Joest-Museum konzipierte Atelier Brückner gemeinsam mit der Firma LDE Belzner Holmes aus Stuttgart. Da sich jeder Raum einem Themenbereich widmet, wurde die Lichtstimmung nach dem Motto „form follows content“ dem jeweiligen Thema angepasst. Die innen liegenden Räume sind überwiegend abgedunkelt, sodass die Projektionen und Bespielungen deutlich hervortreten. Für ein stimmungsvolles, fast mystisches Licht sorgen Pendelleuchten oder dezente Hintergrundbeleuchtung. Die Exponate selbst werden mehrheitlich durch zielgerichtete Spots beleuchtet. Dieses Vorgehen hat nicht nur eine besondere Lichtstimmung zur Folge, sondern rührt auch daher, dass einige der historischen Objekte durch zu starke Beleuchtung Schaden nehmen könnten.
Kapitel 1: Die Welt erfassen
Der Parcours gliedert sich in die zwei Kapitel „Die Welt erfassen“ und „Die Welt gestalten“ unter die die insgesamt neun Themen der Ausstellung fallen. Im ersten Obergeschoss werden die Themen des ersten Kapitels dargestellt, so wie in der Raumfolge „Begegnung und Aneignung: Grenzüberschreitung“: Hier geht es um die Sehnsucht nach Horizonterweiterung durch fremde Kulturen, die durch einen Bibliotheksraum dargestellt wird. Ein interaktives Buch lässt die Historie der Welteroberung Revue passieren, und Schubladen in der Bibliothekswand zeigen den Einfluss fremder Kulturen auf Europa: vom Anorak der Eskimos bis zu den Ziffern der Araber. Der zweite Themenbereich befasst sich auf ungewöhnliche Weise mit weit verbreiteten Klischees und Vorurteilen. Ein Kubus stellt dies am Beispiel Afrika dar: In hinterleuchteten Vitrinen, die in die metallen-dunkle Kubushaut eingelassen sind, sind Exponate zu sehen, die unsere klischeehaften Vorstellungen widerspiegeln. Im Inneren ist der begehbare Kubus hingegen strahlend – und neutral – weiß beleuchtet. Hier werden die bekannten Vorurteile als Text auf Klappen projiziert, die geöffnet werden können. Mittels schräg gestellten, halbdurchlässigen Spiegeln werden die ausgestellten Objekte von einer filmischen Bespielung überlagert, die die Klischees infrage stellt. „Wild“ sind demnach zum Beispiel nicht afrikanische Krieger, sondern europäische Fußballspieler.
Kapitel 2: Die Welt gestalten
Die fünf Unterabteilungen des Kapitels „Die Welt gestalten“ geben Einblicke in unterschiedliche Formen der Lebensgestaltung wie zum Beispiel der Themenbereich „Lebensräume, Lebensformen: Wohnen“, der in Form eines europäischen Salons gestaltet ist, um den sich exemplarisch exotische Raumeinheiten gruppieren. Ein Medientisch in der Mitte des Raums zeigt die vielfältigen interkulturellen Verknüpfungen unserer heutigen Gesellschaft. So wird unter anderem durch Projektionen dargestellt, welche familiären Beziehungen sich um die ganze Welt spannen. Neben den Themen „Kleidung und Schmuck“ sowie „Religion“ befasst sich ein weiterer Themenbereich auch mit dem Tod. So werden die Besucher durch den Einsatz von hellem Licht dem sogenannten „Raum der Stille“ regelrecht entgegen gezogen. Durch bodenlange Fadenvorhänge hindurch eröffnet sich schließlich ein ganz in weiß gehaltener Raum, der gleißend hell erleuchtet ist. Der weiche Boden federt zudem den Schritt der Besucher und schluckt den Schall. Zentrale Ausstellungsstücke sind hier ein raumhoher Stiersarkophag und ein Lotusthron von der Insel Bali.
Den Abschluss des Rundgangs bildet die wertvolle Maskensammlung des Museums. Dieser Raum ist als begehbare Großvitrine angelegt, ein Rundraum, der die Masken in eine grafisch abstrahierte Weltkarte einbindet. Zusammen mit Großgrafiken, Film und Klang ergeben sich inszenierte Einheiten, in die der Besucher regelrecht „eintauchen“ kann. Der Epilog verabschiedet den Besucher schließlich aus dem Themenparcours, in dem jedes Thema erneut kurz dargestellt und von Zitaten untermalt wird. Zum Schluss wird der Besucher sogar von den Protagonisten aus dem Prolog mit Grüßen verabschiedet – und stellt hier erst fest, dass die vermeintlich fremdländischen Menschen allesamt Bürger der Stadt Köln sind.
FOTOGRAFIE Michael Jungblut
Michael Jungblut
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