Projekte

Metaphysisches Wohnen

Turiner Apartment von Marcante-Testa als Hommage an Giorgio de Chirico

Wer an der Turiner Piazza San Carlo das von Andrea Marcante und Adelaide Testa renovierte Apartment betritt, findet sich in einem Gesamtkunstwerk wieder. Die 150 Quadratmeter große Wohnung ist eine subtil gestaltete Hommage an den italienischen Maler Giorgio de Chirico. Jeder Raum ist ein perfekt inszeniertes Ensemble, das kein Detail dem Zufall überlässt. Das auffälligste Gestaltungselement sind Wände aus Fraké-Holz, die mit der perspektivischen Wahrnehmung spielen.

von Katharina Horstmann, 01.04.2014

Andrea Marcante und Adelaide Testa hatten bei der Planung das Zusammenspiel von Außen- und Innenraum im Sinn. Von der Turiner Piazza San Carlo aus gesehen, präsentiert sich das von ihnen renovierte Appartement im Mezzanin eines Prachtbaus aus dem 17. Jahrhundert durch ein segmentiertes Sichtbarmachen des offenen Wohnbereiches in einer nahezu bühnenhaften Inszenierung. Dem Betrachter wird durch die großen Rundbogenfenster ein Ausschnitt offenbart, der auf das Innenleben verweist, ohne es in seiner Ganzheit preiszugeben. Das Metaphysische, sagen die Architekten mit einem Verweis auf Giorgio de Chirico, sei eine Art von Wahrheit, die in allen Objekten verborgen ist, sobald wir sie außerhalb ihres gewohnten Kontextes sehen. In dem Fall des Turiner Appartements geschieht dies durch das Nachaußenkehren des Privaten zur Straße hin.

Der Raum als Piazza
Von Innen betrachtet, geben die Fensterbögen die Sicht frei auf die Weitläufigkeit des berühmtesten Platzes der piemontesischen Hauptstadt und scheinen so das Motiv der Raumgestaltung weiterzutragen. Die starke perspektivische Wahrnehmung wird dabei von grafischen Linien und eingezogenen Flächen mitgetragen, die den Raum in ein Spiel mit Licht zerfallen lassen und mit Kontrasten zusätzliches Raumvolumen zeichnen. Drei mit beigefarbenem Fraké-Holz verkleidete Hohlkörper stehen wie Monolithen im offenen Wohnbereich und verbergen je nach Blickwinkel die Bereiche mit Sitzecke, Esstisch und Küche. Mit ihren glatten Oberflächen erzeugen sie den Eindruck von Bauklötzen, die die Größenverhältnisse auflösen. Der Raum wird so selbst zu einer verkleinerten Piazza, in der, wie bei de Chirico, Gebäude die Sicht verstellen oder sich an anderer Stelle eine geradezu unendliche Weite öffnet, um den Blick an der Statue des Herzogs Emanuele Filiberto auf der Piazza San Carlo wieder aufzufangen.

Verborgenes als Schattenspiele
Bei näherer Betrachtung offenbaren die Monolithen ihre Funktionen. Sie bergen eine begehbare Garderobe, die durch ein rauchfarbenes Fenster ins Wohnzimmer blickt; ein kleines Studio mit einem Schreibtisch, das durch große weiße Glasscheiben mit natürlichem Licht versorgt wird; außerdem einen Vorratsschrank in der mit weiß lackierten Oberschränken und Unterschränken aus Edelstahl ausgestatteten Küche. Im Elternschlafzimmer, den beiden Kinderzimmern sowie den drei Bädern, die – bis auf ein Kinderzimmer – im hinteren Teil des Appartements untergebracht wurden, versuchten die Architekten, das Spiel mit den Fluchtpunkten, so weit es möglich war, fortzuführen. Das zeigt sich insbesondere beim elterlichen Schlafzimmer und seinem ihm gegenüberliegenden Bad. Es befindet sich ebenfalls in einem aus Fraké-Holz gebauten Hohlkörper, der ein großes opakes Fenster fasst, das dahinter Verborgenes als Schattenspiel in beide Richtungen wiedergibt.

Italianità
Neben dem Fraké-Holz brachten Andrea Marcante und Adelaide Testa verschiedene, ziemlich unterschiedliche Materialen in den Entwurf ein. Dunkel gebeizte Holzdielen finden sich in allen Räumen. Marmor wurde für größere Details verwendet, schwarzer Marquina im Wohnbereich und weißer Carrara im elterlichen Badezimmer. Die Farben bleiben durchweg dezent: gebrochenes Weiß und ein helles Grau für Wände und Decken; Weiß, Schwarz und Grau für Einbau- und Designermöbel sowie Vintagestücke, denen wenige Farbkontraste in Orange, Gelb oder Blau entgegengesetzt werden. Es sind Materialkombinationen und Details, wie man sie im Grunde nur von den Italienern kennt: dezent, doch eigenwillig, fast ein wenig postmodern. Sie gehen einher mit der Absicht der Architekten, eine Abfolge zu schaffen, in der sämtliche Elemente als Fragmente einer Erzählung, die das Mysteriöse im Profanen sucht, ihren Platz finden. In seinen Bildern inszenierte de Chirico oft die Leere im Alltäglichen. Hier geht es darum, die Leere im Alltag zu bewohnen.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Marcante-Testa

Foto: Karel Balas

Zum Profil

Projektarchitekten

Marcante-Testa

www.marcante-testa.it

Mehr Projekte

Palazzo mit Patina

Umbau eines apulischen Anwesens durch das Architekturbüro Valari

Umbau eines apulischen Anwesens durch das Architekturbüro Valari

Alte Scheune, neues Leben

Historisches Gebäude in Tübingen wird zu modernem Wohnraum

Historisches Gebäude in Tübingen wird zu modernem Wohnraum

Gebaut für Wind und Wetter

Ferienhaus im schwedischen Hee von Studio Ellsinger

Ferienhaus im schwedischen Hee von Studio Ellsinger

Ein Dorfhaus als Landsitz

Wohnumbau von Ricardo Azevedo in Portugal

Wohnumbau von Ricardo Azevedo in Portugal

Ein offenes Haus

Feministischer Wohnblock Illa Glòries von Cierto Estudio in Barcelona

Feministischer Wohnblock Illa Glòries von Cierto Estudio in Barcelona

Harte Schale, weicher Kern

Unkonventionelles Einfamilienhaus in Mexiko von Espacio 18 Arquitectura

Unkonventionelles Einfamilienhaus in Mexiko von Espacio 18 Arquitectura

Zwischen Bestand und Zukunft

Umbau einer Kölner Doppelhaushälfte durch das Architekturbüro Catalanoquiel

Umbau einer Kölner Doppelhaushälfte durch das Architekturbüro Catalanoquiel

Offen für Neues

Nachhaltige Renovierung einer flämischen Fermette durch Hé! Architectuur

Nachhaltige Renovierung einer flämischen Fermette durch Hé! Architectuur

Baden unter Palmen

Studio Hatzenbichler gestaltet ein Wiener Loft mit Beton und Grünpflanzen

Studio Hatzenbichler gestaltet ein Wiener Loft mit Beton und Grünpflanzen

Maßgeschneidertes Refugium

Georg Kayser Studio verbindet in Barcelona Altbau-Charme mit modernem Design

Georg Kayser Studio verbindet in Barcelona Altbau-Charme mit modernem Design

Rückzugsort im Biosphärenreservat

MAFEU Architektur entwirft ein zukunftsfähiges Reetdachhaus im Spreewald

MAFEU Architektur entwirft ein zukunftsfähiges Reetdachhaus im Spreewald

Im Dialog mit Le Corbusier

Umbau eines Apartments im Pariser Molitor-Gebäude von RREEL

Umbau eines Apartments im Pariser Molitor-Gebäude von RREEL

Warschauer Retrofuturimus

Apartment mit markantem Raumteiler von Mistovia Studio

Apartment mit markantem Raumteiler von Mistovia Studio

Trennung ohne Verluste

Ferienhaus im Miniformat auf Usedom von Keßler Plescher Architekten

Ferienhaus im Miniformat auf Usedom von Keßler Plescher Architekten

Architektur auf der Höhe

Wohnhaus-Duo von Worrell Yeung im hügeligen New York

Wohnhaus-Duo von Worrell Yeung im hügeligen New York

Architektur im Freien

Pool und Pergola von Marcel Architecten und Max Luciano Geldof in Belgien

Pool und Pergola von Marcel Architecten und Max Luciano Geldof in Belgien

California Cool

Mork-Ulnes Architects restaurieren das Creston House von Roger Lee in Berkeley

Mork-Ulnes Architects restaurieren das Creston House von Roger Lee in Berkeley

40 Quadratmeter Einsamkeit

Ländliches Ferienhaus von Extrarradio Estudio in Spanien

Ländliches Ferienhaus von Extrarradio Estudio in Spanien

Von der Ruine zum Rückzugsort

Wertschätzender Umbau von Veinte Diezz Arquitectos in Mexiko

Wertschätzender Umbau von Veinte Diezz Arquitectos in Mexiko

Zwischen Alt und Neu

Architect George erweitert Jahrhundertwendehaus in Sydney

Architect George erweitert Jahrhundertwendehaus in Sydney

Co-Living mit Geschichte

Umbau des historischen Metropol-Gebäudes von BEEF architekti in Bratislava

Umbau des historischen Metropol-Gebäudes von BEEF architekti in Bratislava

Aus dem Schlaf erwacht

Kern Architekten sanieren das Vöhlinschloss im Unterallgäu

Kern Architekten sanieren das Vöhlinschloss im Unterallgäu

Archäologie in Beton

Apartment-Transformation von Jorge Borondo und Ana Petra Moriyón in Madrid

Apartment-Transformation von Jorge Borondo und Ana Petra Moriyón in Madrid

Geordnete Offenheit

Umbau eines Einfamilienhauses von Max Luciano Geldof in Belgien

Umbau eines Einfamilienhauses von Max Luciano Geldof in Belgien

BAYERISCHES DUO

Zwei Wohnhäuser für drei Generationen von Buero Wagner am Starnberger See

Zwei Wohnhäuser für drei Generationen von Buero Wagner am Starnberger See

Über den Dächern

Umbau einer Berliner Penthousewohnung von Christopher Sitzler

Umbau einer Berliner Penthousewohnung von Christopher Sitzler

Schwebende Strukturen

Umbau eines maroden Wohnhauses von Bardo Arquitectura in Madrid

Umbau eines maroden Wohnhauses von Bardo Arquitectura in Madrid

Camden Chic

An- und Umbau eines ehemaligen Künstlerateliers von McLaren.Excell

An- und Umbau eines ehemaligen Künstlerateliers von McLaren.Excell

Aus Werkstatt wird Wohnraum

Umbau im griechischen Ermionida von Naki Atelier

Umbau im griechischen Ermionida von Naki Atelier

Londoner in der Lombardei

Tuckey Design Studio verwandelt ein Wohnhaus am Comer See

Tuckey Design Studio verwandelt ein Wohnhaus am Comer See