Ode an die Natur
Restaurant Lunar in Shanghai von Sò Studio
Im Shanghaier Restaurant Lunar wird eine zeitgenössische, chinesische Küche serviert. Das Interieur von Sò Studio vereint skandinavischen Purismus und fernöstliche Spiritualität: Indem der Mondkalender kurzerhand in räumliche Dimensionen transferiert wird.
Einen Ort der Ruhe in Shanghai zu finden, ist kein einfaches Unterfangen. Vor allem in den Restaurants geht es oft laut und hektisch zu. Jessica Wu und Mengjie Liu – die beiden Gründerinnen des Shanghaier Designbüros Sò Studio – versuchen es trotzdem. Sie inszenieren das Restaurant Lunar als einen Ort der Ausgeglichenheit und Kontemplation: einen Gourmettempel zum mentalen Kräftetanken inmitten der quirligen Metropole.
Das zweigeschossige Lokal liegt an der West Jianguo Road im Stadtteil Tai Kang Lu und damit inmitten der früheren Französischen Konzession. Eine Mixtur aus fernöstlichen und abendländischen Elementen lag also auf der Hand. Der Name Lunar verweist auf den chinesischen Mondkalender. „Im Einklang mit den Mondbräuchen zu sein, ist wesentlich für die Gestaltung von Essenserlebnissen – ebenso wie die Einbeziehung der Saisonalität und des Terroirs“, sagen die beiden Innenarchitektinnen, die sich vor allem mit der Gestaltung zahlreicher Pop-up-Stores einen Namen gemacht haben.
Natürliche Erdung
Nach dem Betreten des Restaurants werden die Gäste im Erdgeschoss an einem kleinen Tresen empfangen. Rechter Hand öffnet sich eine Lounge, in der zunächst eine Tasse Tee eingenommen wird. Die Wände sind mit grauen Terrazzo-Platten verkleidet, der Boden ist mit Holz beplankt. Sò Studio hat das kulinarische Thema auf überaus direkte Weise implementiert: In einige Steinwände sind „Ziegelsteine“ aus getrockneten und gepressten Teeblättern eingelassen, die eine warme, zwischen Baumrinde und Schokolade oszillierende Farbigkeit einbringen und den Raum zugleich mit einem unverwechselbaren Teearoma durchdringen. Unterhalb der Decke zieht ein großformatiger, runder Leuchtenschirm die Blicke auf sich. Der stilisierte Vollmond erzeugt eine weiche, sanfte Lichtstimmung, während beinahe weiß erscheinende Vorhänge aus Bambusfasern das einfallende Tageslicht abdämpfen.
Stein und Schale
Über eine Treppe mit hölzernen Stufen geht es hinauf ins Obergeschoss. Der Zugang erfolgt über eine mit weißen Kieselsteinen ausgelegte Schwelle: ein Zen-Garten im Miniaturformat. Von dort tritt man sogleich auf graue Steinplatten, mit denen der gesamte Restaurantbereich ausgelegt ist. Auch hier spielt der Kreis – oder besser gesagt die Variation seiner Segmente – eine Schlüsselrolle. Die mit hellgrauem Wollstoff bezogenen Sitznischen sind als Viertelkreise, andere Sitzbänke als Halbkreise ausgeführt. Die Tische sind kreisförmig gehalten oder kombinieren ein Rechteck mit halbkreisförmigen Enden. Ein privates Speisezimmer wird durch halbtransparente Schiebetüren vom übrigen Restaurantbereich abgetrennt.
Hölzerne Passepartouts
„Die Umrisskurven des klassischen Jiangnan-Gartens verschmelzen mit der architektonischen Struktur des Raumes“, erklären Jessica Wu und Mengjie Liu, die ihr gemeinsames Büro seit 2016 betreiben. Will heißen: Unterhalb der Decke des annähernd quadratischen Hauptraumes haben sie eine hölzerne Zwischendecke eingefügt, die die Materialität der Wandpaneele aufgreift. Im Bereich des privaten Speisezimmers wurde aus der Decke ein Vollkreis und im übrigen Restaurantbereich ein ungleich größerer Zwei-Drittel-Kreis ausgespart. Die runden Öffnungen wirken wie riesige Passepartouts, die Blicke auf den weiß verputzen Satteldachstuhl freigeben. „Das wichtigste Material im gesamten Raum sind die matten Oberflächen. Ohne übermäßige Reflexionen vermitteln sie Ruhe und Schönheit durch Textur und Haptik“, betonen Jessica Wu und Mengjie Liu.
Geometrisches Gewässer
Die Polsterstühle Dino Diner von MatzForm (Design: Thomas E. Alken) bringen Anklänge an dänische Designklassiker ein und erzeugen mit ihren breiten, umlaufenden Polsterlehnen zugleich eine eindeutig zeitgenössische Note. Die maßgefertigten Tische werden von plissierten Holzsockeln angehoben, die einen Anschein von erstarrter Stofflichkeit erwecken. In die Wände eingelassene Nischen dienen als Ablagen für verschieden große Vasen. Die rückseitig beleuchteten Porzellanobjekte zeichnen sich als Schatten auf vorgelagerten Papierschirmen ab. Ein Einschnitt im Boden gibt einen schmalen, rechteckigen Teich frei, der mithilfe einer im Wasser stehenden, grob gehauenen Steinstufe überwunden wird. Bei einem Regal dient ein weiterer Fels als vertikale Stütze. Bereits seit mehreren Jahren arbeitet Sò Studio mit der Floristin Maggie Mao zusammen, die auch für dieses Restaurant sämtliche Blumenarrangements übernimmt. Die Zen-Kultur, so die eindeutige Botschaft, ist in der Gegenwart fest verwurzelt – und zwar selbst im hektischen Shanghai.
FOTOGRAFIE Wen Studio
Wen Studio
Typologie | Restaurant |
Ort | Shanghai, China |
Größe | 260 Quadratmeter |
Interieur | Sò Studio |
Team | Hongchen Lin, Alex Zeng, Nectarine Yi |
Stühle | Dino Diner von MatzForm |
Beleuchtung | Herman Miller |
Wandfarbe | Rialto |
Terrazzo-Fliesen | Agglotech |
Holzpaneele | Tabu Veneer, B:Sanfoot |
Floristin | Maggie Mao |