Prouvés Erbe
Flexibles Wohnkonzept in Katalonien von Aixopluc

Mit dem Aldondac liefert das spanische Architekturbüro Aixopluc einen Gegenentwurf zu Leerstand und Gentrifizierung. Gleichsam Gästehaus und Wohnkonzept passt es sich flexibel an seine Bewohner an – und wird nie fertig, aber immer besser.
„Um gegenwärtigen und zukünftigen Generationen die Chance auf ein besseres Leben zu geben, müssen wir weniger und besser bauen“, sagen die Architekten von Aixopluc aus dem südkatalanischen Reus. Bürogründer David Tapias, der als Professor an der Aarhus School of Architecture in Dänemark lehrt, beschäftigte sich schon früh mit avantgardistischer Bauweise. Er promovierte über das modular, kostengünstig und nachhaltig geplante Wohnhaus von Jean Prouvé in Nancy. Und das merkt man diesem Gästehaus in Reus an.
Gegen die Gentrifizierung
Tapias stellte fest, dass die Zahl alter, verlassener Häuser zunimmt. Mit einem hohen Maß an Unsicherheit in punkto Zeit, Kosten und Ergebnisse, seien Modernisierungen oft zu kostspielig und anstrengend, meint er. Und das sorge dann zu Renovierungen niederer Qualität, um Mieteinnahmen zu maximieren, oder zu teuren und damit privilegierten Wohnverhältnissen, was wiederum zur Gentrifizierung beitrage. „Wie können wir diese Orte auf die wirtschaftlichste, schnellste und vorhersehbarste Weise wieder beleben, damit sie nicht nur bewohnbar werden, sondern auch auf die zeitgemäßen und intimen Bedürfnisse der Menschen eingehen?“, fragte er sich. Und erdachte für das 55 Quadratmeter große, ehemalige Fotostudio gleich mehrere Lösungsansätze.
Diese sahen bewusst einen kompakten Innenausbau vor, um Dienstleistungs- und Materialkosten gering zu halten. Außerdem plante der Architekt sämtliche Möbel modular und platzsparend. Mittels einer 2-in-1-Logik wollte er einerseits traditionelle Funktionen zusammenlegen. Andererseits sah Tapias ein Konzept aus einfach auf- und abbaubaren Möbeln vor, die sich an wechselnde Wohnbedürfnisse und Mietverhältnisse anpassen sollen. Konkret findet man zusammensteckbare Stühle, Bänke und Tisch sowie vielseitig nutzbare Steckwände und unkompliziert verschiebbare Ablagen.
Küche und Bad konzentrieren sich an einem Ende des Raums – eine Lösung, die auch Prouvé in seinen vier Wänden umsetzte. Das Badezimmer mit Dusche, WC und Waschbecken befindet sich auf einer erhöhten Ebene und kann mithilfe einer Schiebetür von der anschließenden Küche mit Spülbecken, Kochfeld und Arbeitsfläche separiert werden. Zentral im Raum platzierte er ein kleines Holzhaus, das nach Bedarf zu einem Schlaf- oder einem Essbereich umfunktioniert werden kann.
Immer unfertig
Dieses Haus im Haus bleibt die einzige spielerische Intervention. Sämtliche Objekte im Alfondac sind aus einfachen, rohen Materialien wie Sperrholz und Terrazzo und in äußerst simpler Bauweise zusammengefügt. Auch Decken und Wände blieben unverblendet. Kabel und Träger liegen frei und bis auf das florale Muster im alten Fliesenboden verzichteten die Planer auf dekorative Elemente. Der Farbkanon ergibt sich aus den Rohstoffen, lediglich einige Akzente in Hellgrün und Orange sorgen für Abwechslung.
So erinnert das Interior an eine Werkstatt oder ein Architekturmodell. In jedem Fall trägt es einen konstruktiven, derweil unfertigen Charakter, der aber durchaus beabsichtigt ist. „Das Alfondac befindet sich im permanenten Aufbau, sich andauernd verbessernd und verändernd“, sagen die Planer, die die Gäste dazu auffordern, ihre Erfahrungen und Eindrücke aus ihren Aufenthalten mit ihnen zu teilen. Das mache den Ausbau zu einem Prototypen oder zu einem Wohnlabor, das auf die Bedürfnisse, Hoffnungen, Träume und Ängste, die in unkonventionellen Räumen gedeihen, fokussiere.
Haus der Zeit
Hier können Gäste so lang bleiben, wie sie wollen, einige Stunden, wenige Tage oder gleich mehrere Wochen. Gastfreundschaft steht ganz oben auf der Agenda. Das erklärt auch den Namen, der sich vom arabischen Wort Al-fondaq ableitet. Es bezeichnet ein Gebäude, das gleichsam als Herberge für Reisende und Händler wie auch als Warenhaus dient. Ein Gründungsakt der Architektur sei nunmal die Gastfreundschaft und die Begrüßung anderer Menschen, sagt Tapias.
Damit entspräche das Gästehaus auch keinem neuen Hotelkonzept, sondern einer archaischen Idee, meint der Architekt, der an dieser Stelle allerdings ein wenig untertreibt, denkt er mit seinen Ideen doch eigentlich weit in die Zukunft. Während Prouvé Architekturen und Möbel für eine arme, teils wohnungslose Bewölkung der Nachkriegszeit schuf, arbeitet der Gründer von Aixopluc mit seinen Entwürfen gegen Leerstand, Verschwendung und Gentrifizierung an – allesamt brisante Themen, für die es dringend neue Konzepte braucht.
FOTOGRAFIE José Hevia
José Hevia
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