Schauraum im Schankraum
Bristoler Braustube von Studio B

Offene Küchen sind ein Gastronomie-Trend. Wer hingegen sehen will, aus welchen Fässern das gerade getrunkene Pale Ale stammt, kann die Bristoler Brauerei Wiper and True besuchen. Studio B hat zwischen dem Gastraum und der Brauanlage eine Glaswand installiert, die Panorama-Aussichten auf den Herstellungsprozess ermöglicht. Außerdem auf dem Menü: lokale Materialien, nachhaltige Produkte und so viel Grün, dass die Halle zum Gewächshaus wird.
Die Produktion von Craft Beer war ursprünglich eine Gegenbewegung zu den langfristigen Folgen der Prohibition in den USA. Denn sie hatte dafür gesorgt, dass die vorrangig industriell hergestellten Bieren im Land ein generischer Charakter hatten. Wer mehr Geschmacksvielfalt wollte, der ging in den eigenen Keller. Aus den Homebrewern wurden dann Pionier-Crafter. Eine der ersten unabhängigen Brauereien in Bristol war Wiper and True. Nachdem die Gründer*innen sich „zuerst in das Brauen am heimischen Herd verliebt hatten, umgeben von Töpfen, Pfannen und rohen Zutaten“, bauten sie 2012 ihren ersten Taproom in St Werburghs, Bristol. Jetzt haben sie eine zweite Dependance in Old Market eröffnet – und liegen damit zwei Minuten vom Trinity Centre entfernt, einem kommunalen Kunstzentrum und Veranstaltungsort, berühmt für seine legendären Live-Musik-Events.
Outdoor-Garten und Indoor-Dschungel
Für die Gestaltung der Räumlichkeiten, inklusive einem großen Biergarten und der Brauhalle (ausgestattet mit einer Brauanlage aus Deutschland) verpflichteten die Gründer*innen von Wiper and True das ebenfalls in Bristol ansässige Studio B. Das 2011 eröffnete Designbüro hat kürzlich wortwörtlich Wellen geschlagen, denn das Team verantwortete Branding und Interior von The Wave, einem künstlich angelegten Surf-See mit spektakulärer Technologie und beeindruckenden Ausmaßen. Auch dort richtete Studio B einen weitläufigen Schankraum ein, der mit viel Holz und Pflanzen für Gemütlichkeit sorgt. Wiper and True wünschte sich Ähnliches, mit der zusätzlichen Forderung, dass das Interior bewusst integrativ und inklusiv gestaltet wird. Damit war der barrierefreie Zugang gemeint – aber auch die bewusste Ansprache aller Gesellschaftsschichten und Geschlechter. „Im Entwurf wurde die maskuline Dominanz, die die Brauereiszene in den letzten zehn Jahren bestimmt hat, überwunden“, erklärt Studio B.
Konsequent inklusiv
„Wir wussten von Anfang an, dass wir einen Raum schaffen wollten, der so viele Menschen wie möglich einschließt. Dieser Leitgedanke hat uns während des gesamten Projekts begleitet, angefangen bei der ästhetischen Gestaltung bis hin zum kulinarischen Angebot“, sagt auch die Marketingmanagerin von Wiper and True, Alice Howells. Es gibt in allen Bereichen ebenerdige Zugänge, barrierefreie Toiletten und niedrige Tische, die auf die Sitzhöhe von Rollstuhlfahrer*innen angepasst sind und sich verrücken lassen. Aber nicht nur das Interiordesign bietet Alternativen für unterschiedliche Anforderungen, auch das Kommunikationsangebot ist vielseitig aufgestellt. Es gibt eine Getränkekarte in Großdruck und viele der Schilder wurden zusätzlich in Braille gedruckt. Außerdem wurde das Barpersonal geschult, auf Menschen mit Kommunikationsschwierigkeiten Rücksicht zu nehmen.
Panorama zur Brauhalle
Zum Schankraum gehört auch die Brauanlage, die es dem jungen Craft Beer-Unternehmen ermöglicht, mit dem zweiten Standort auch das Produktionsvolumen zu erhöhen. Der von den Besucher*innen einsehbare Herstellungsprozess ist die visuelle Ergänzung zum kulinarischen Erlebnis. Studio B hat eine 18 Meter lange Wand aus Stahl und Glas zwischen Gastraum und Brauhalle gezogen sowie zwei großzügige Fensteröffnungen in die Seitenwand geschnitten. Gemeinsam mit den Oberlichtern, den industrietypischen, hohen Decken und der üppigen Indoor-Begrünung hat auch der Innenraum Biergarten-Flair, sodass die Gäste bei englischem Wetter regengeschützt sitzen. Mit der Wahl von natürlich belassenem Holz als dominierendem Material hat Studio B in die Industriehallen viel Gemütlichkeit einziehen lassen und erzeugt mit Details wie von der Decke pendelnden Glühbirnen Gartenparty-Stimmung.
Alles lokal im Lokal
Studio B hat es sich zum Ziel gesetzt, den ökologischen Fußabdruck des Projekts so klein wie möglich zu halten und arbeitete deshalb mit lokalen Produzenten, Werkstätten und nachhaltigen Materialien. Das englische Eschenholz etwa stammt aus den Wäldern der Region, die Fliesen wurden in Manchester von Casa Ceramica produziert und die Bepflanzung des Gartens und der Halle übernahm der Bristoler Pflanzenspezialist Dan Yeo. Keines der Einbauelemente , Möbel oder Stahlbauteile wurde weiter als 60 Meilen entfernt produziert und selbst die Glühlampen wurden von Tala bezogen, einer Leuchtenfirma, die die erste Marke für kohlenstofffreie Beleuchtung werden will. Damit hat Studio B eine Brauerei gestaltet, die vom Markenkern bis zum Pflanzkasten auf Grün setzt – und mit einem zugänglichen Konzept die ganze Stadt auf ihre Bierbänke einlädt.
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