Schwebend im Wald
Bewohnbare Reptilien: zwei kompakte Wohneinheiten erobern die Bauwipfel.

Auch wenn Baumschlangen zumeist giftig sind, sind in Portugal jetzt zwei überaus handzahme, aber dennoch keineswegs belanglose Vertreter dieser Spezies anzutreffen. Im Nordosten von Porto realisierten die Architekten Luis und Tiago Rebelo de Andrade zwei Tree Snake Houses aus vorgefertigten Bauteilen, die sich harmonisch in die Landschaft einfügen.
Schon den Römern war die heilende Wirkung der heißen Quellen von Pedras Salgadas bekannt. Die portugiesische Kleinstadt, deren Name zu Deutsch „salzige Steine“ bedeutet, entwickelte sich im späten 19. Jahrhundert zu einem Kurort im Stil der Belle Époche. Könige und Staatsoberhäupter kamen mit der neu eröffneten Eisenbahnstrecke und übernächtigten im mondänen Grand Hotel, dem heutigen Vidago Palace. Selbst ein Casino wurde errichtet, das aufgrund einer fehlenden Glücksspiel-Konzession allerdings nie seiner eigentlichen Bestimmung diente.
Architektonischer Neustart
Wie viele portugiesische Staatsbetriebe wurde auch das Thermalbad privatisiert und 2009 als Pedras Salgadas Spa & Nature Park wiedereröffnet. Um neue Gäste anzulocken, spielte man gezielt die Karte der Architektur aus. Álvaro Siza Vieira erweiterte 2012 das Vidago Palace Hotel um ein neues Spa, das der Opulenz des historischen Gebäudes mit klaren Linien und glatt verputzten Wänden gegenübertrat. Für Besucher, die weniger den Glanz des 19. Jahrhunderts als vielmehr Erholung in der Natur suchen, wurde parallel ein Eco Ressort mitten im von Bäumen dicht bewachsenen Park errichtet. Sieben Bungalows, die von den portugiesischen Architekten Luís Rebelo de Andrade und Diogo Aguiar aus vorfabrizierten Bauteilen geplant wurden, fügen sich mit ihren grauen Ziegeldächern und holzverkleideten Fassaden harmonisch in die Landschaft ein. Ist die Ausstattung mit Wohnküche, Schlaf- und Badezimmer sowie einem großzügigen Balkon für jeweils vier bis sechs Personen ausgelegt, kamen nun zwei deutlich intimere Rückzugsinseln hinzu. Tree Snake House heißen die von Luís Rebelo de Andrade und seinem Bruder Tiago entworfenen Bauten, die ihrem reptilen Namen durchaus gerecht werden.
Bewohnbare Baumschlange
„Wie wilde Tiere in ihrer natürlichen Umgebung erscheinen die Häuser plötzlich im Blickfeld des Betrachters“, beschreiben die Architekten die Wahrnehmung der Gebäude. Den Grund dafür liefert die Position der kompakten Wohneinheiten: Angelehnt an einen Hang, erfolgt der Zugang über eine lange, schmale Brücke. An deren Ende schweben die Häuser auf filigranen Trägern über dem Waldboden und lassen mit ihren prismatisch gefalteten Wänden und Dächern an stilisierte Schlangenköpfe denken. Für Luís und Tiago Rebelo de Andrade bildet die Form einen wohl dosierten Gegenpol zur Konstruktion. Auch wenn das Projekt zusammen mit dem portugiesischen Hersteller Modular System aus vorgefertigten Bauteilen entwickelt wurde, sollte eine repetitive wie orthogonale Erscheinung vermieden werden. Indem sowohl die Fassaden als auch das Dach mit abgerundeten Schieferziegeln verkleidet sind, werden Assoziationen an die Schuppenhaut von Reptilien geweckt.
Erweiterbarkeit des Konzepts
Spartanisch zeigt sich die Einrichtung der beiden Häuser. Haben die Gäste die schmale Brücke passiert, betreten sie ein lichtdurchflutetes Schlafzimmer. Ein großes Bett thront leicht erhöht auf einem Sockel und bietet dank eines quadratischen Fensters am Fußende sowie eines rechteckigen Oberlichts direkte Ausblicke in die umliegenden Baumkronen. Ein freistehender Tisch mit zwei Sitzkuben sowie eine mit der Wand verbundene Bank runden den weiß gehaltenen Wohnraum ab. Die Botschaft ist klar formuliert: Im Mittelpunkt steht nicht der Komfort eines klassischen Grand Hotels, sondern das bewusste In-Sich-Kehren inmitten der Natur.
Ein Badezimmer sowie eine kleine Kochnische, die sich zu beiden Seiten der Eingangstür befinden, verwandeln die Häuser in autarke Rückzugskapseln. Für Luís und Tiago Rebelo de Andrade steckt darin zugleich der weiterführende Gedanke des Konzepts. Auch wenn die Tree Snake Houses zunächst für das Thermalbad von Pedras Salgadas entwickelt wurden, sollen in den kommenden Monaten Modifikationen für den Einsatz im Gebirge, über Flüssen, an Küsten oder in Großstädten vorgestellt werden. Ihren Namen müssen die kompakten Architekturen deswegen noch lange nicht wechseln. Schließlich sind auch Baumschlangen keineswegs nur in hoher Vegetation zu finden, sondern lassen zum Sonnenbaden oder Jagen die schützenden Wipfel gerne hinter sich.
FOTOGRAFIE Ricardo Oliveira Alves
Ricardo Oliveira Alves
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