Projekte

Smarte Blechhütte

Wohnhaus von Office MI-JI Architects im australischen Barwon Heads

Das AB House in der südaustralischen Region Victoria passt sich dem Leben seiner Bewohner*innen an: Es vermag zu wachsen und zu schrumpfen. Auch kann es von wenigen oder vielen Personen bewohnt werden. Wellblech entfaltet hier nicht den Charme eines Schuppens, sondern verleiht den Fassaden Tiefe.

von Norman Kietzmann, 12.04.2023

Das Leben verändert sich. Und mit ihm auch der Platz, den wir zum Wohnen benötigen. Gebäude sind oft das genaue Gegenteil davon. Sie verfügen über eine starre Größe und verbleiben so. Dass an dieser Stelle neu gedacht werden kann, zeigt das australische Architekturbüro MI-JI. Gegründet wurde es von Millie Anderson und Jimmy Carter. Letzterer ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen, 39. US-Präsidenten, der übrigens auch ein Händchen für ökologisches Bauen hatte und Solarzellen auf dem Dach des Weißen Hauses platzieren ließ. Südwestlich von Melbourne haben Anderson und Carter im Küstenort Barwon Heads ein Wohnhaus für eine Familie realisiert: keine prächtige Villa, dafür ein bodenständiges Gebäude, das mit räumlichen und programmatischen Raffinessen gleichermaßen punktet.

Wandelbarer Bausatz
Ein Keller war ebenso wenig nötig wie ein Fundament. Auch gemauerte Wände sind Fehlanzeige. Die gesamte Konstruktion wird durch außen stehende Stahlrohre über den Boden angehoben, da es in der Gegend immer wieder zu Überschwemmungen kommt. Zuletzt ist der Barwon River im November 2022 mit einem Pegelanstieg von 2,28 Metern über die Ufer getreten. Alle zehn Jahre klettert das Wasser auf bis zu sechs Meter über normal. Das Metallgerüst definiert einen Rahmen, in den verschiedene Flächenelemente gehangen werden. Wellblechwände mit einer breiten und schmalen Amplitude sorgen für Schattenwürfe, die mit dem Sonnenstand changieren. Für einige Wände kommen halbtransparente Kunststoffplatten zum Einsatz, die diffuses Tageslicht ins Innere holen. Mehrere Glastüren und Fenster werden durch Rahmen aus tasmanischer Eiche eingefasst.

Verdrehte Position
Die Architektur soll veränderlich sein: wie ein Organismus, der sich dem Leben der Bewohner*innen und ihrem Platzbedarf flexibel anpasst. „Das Haus ist in Zonen von ständiger und vorübergehender Nutzung unterteilt, von Langzeit, Kurzzeit oder Übergangszeit“, erklärt Jimmy Carter. Der Bau wurde in zwei Körper gegliedert, die jeweils einem quadratischen Grundriss folgen, jedoch leicht zueinander verdreht sind. Die Verbindung stellt ein überdachter Gang her, von dem eine Wäschekammer und ein Besucher-WC abzweigen. Beide definieren zylindrische Baukörper, deren Außenwände mit glatten Metallplatten verkleidet sind und so für diffuse Reflexionen ihrer Umgebung sorgen.

Gang der Kontemplation
Die eine Seite des Gangs ist verglast, die andere wird durch eine weiße Wand begrenzt. Dahinter schließt eine große Terrasse an. Indem der Gang eine leichte Biegung vollzieht, können die Blicke nicht direkt von einem Gebäudeteil zum anderen wandern. Dadurch wird ein Moment der Kontemplation eingebunden: genau wie in japanischen Gärten, wo die Wege nie direkt auf einen Pavillon zuführen, sondern durch Umwege und damit erzwungene Perspektivwechsel zur Einkehr animieren.

Warme Farben
Im Erdgeschoss des größeren, zur Straße ausgerichteten Baukörpers sind Wohnzimmer, Esszimmer und Küche zu einer Einheit verbunden. Eine Kappendecke in einem warmen Terrakotta-Ton zieht die Blicke auf sich. Sie sorgt für eine wohltuende Farbwirkung, die mit den Wandpaneelen aus Birke und Eiche im Wohnbereich korrespondiert. Die Küchenzeile setzt mit einem dunklen Grünton das farbliche Naturthema fort. Der freistehende Küchenblock ist mit Platten aus Aluminium verkleidet, die von Hand angeraut wurden und so einen matten Schimmer in den Raum werfen. Direkt an den Küchenblock schließt ein schlichter Wallnusstisch von Lex Furniture an, der von sechs Exemplaren des Wishbone Chairs umrundet wird – jenem Klassiker, den Hans Wegner 1949 für Carl Hansen & Søn entwarf.

Offenheit und Licht
In der Mitte des Erdgeschosses führt eine schmale Treppe hinauf ins Obergeschoss, wo das Schlafzimmer der Eltern, Bad und WC sowie ein Arbeitszimmer untergebracht sind. Diese Rückseite des Homeoffice schiebt sich wie ein Balkon über eine Aussparung im Boden hinweg. Der Leerraum versorgt nicht nur die Treppe, sondern auch den darunter liegenden Wohnbereich mit zusätzlichem Tageslicht, das durch Oberlichter an den West- und Ostwänden ins Innere des Hauses dringt. So wird die Morgen- und Abendsonne eingefangen, während gleichzeitig der Sichtschutz gegenüber den Nachbar*innen gewahrt bleibt.

Momente der Intimität
Im kleineren Baukörper sind zwei weitere Schlafzimmer platziert. Ein zusätzliches Wohnzimmer wurde ebenso eingerichtet, das einen direkten Zugang zur Terrasse hat, die bis zum Essbereich des Haupthauses reicht. Auch ein separater Teil des Gartens ist von hier aus zugänglich. Kommen die Kinder oder Gäste zu Besuch, können sie sich jederzeit zurückziehen und sind dennoch Teil der Gemeinschaft. Die gleiche Ambivalenz gilt für den Eingangsbereich des Hauses. Werden die Vordertüren zur Seite geklappt, verlängert sich der Innenraum bis auf die Straße hinaus. Die Architektur geht über in die Landschaft. Sie wächst über sich hinaus, vermag aber jederzeit wieder zu schrumpfen. Oder wie es Millie Anderson treffend auf den Punkt bringt: „Es ist ein Haus, das privat sein kann, aber nicht privat sein muss.“

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Projektinfos
Projekt AB House
Typologie Wohnhaus
Ort Barwon Heads, Victoria, Australien
Architektur Office MI-JI
Landschaftsplaner Bush Landscape Architecture & Art
Fertigstellung 2022
Größe Grundstück 534 Quadratmeter
Wohnfläche innen 187 Quadratmeter
Wohnfläche außen 74 Quadratmeter
Links

Entwurf

MI-JI Architects

www.mi-ji.com.au

Mehr Projekte

Lautner, but make it Cape Town

In den Fels gebaute Villa Lion’s Ark an der Küste Südafrikas

In den Fels gebaute Villa Lion’s Ark an der Küste Südafrikas

Ein Zuhause aus Licht und Pflanzen

Umbau einer Sechzigerjahre-Wohnung in Mailand von SOLUM

Umbau einer Sechzigerjahre-Wohnung in Mailand von SOLUM

Wohnen in Blockfarben

Umbau einer Scheune bei Barcelona von h3o Architects

Umbau einer Scheune bei Barcelona von h3o Architects

Olympisches Raumspiel

Reihenhaus-Renovierung im Olympischen Dorf München von birdwatching architects

Reihenhaus-Renovierung im Olympischen Dorf München von birdwatching architects

Ganz der Kunst gewidmet

Atelier für eine Malerin in Germantown von Ballman Khapalova

Atelier für eine Malerin in Germantown von Ballman Khapalova

Heiter bis holzig

Zweigeschossiges Wohnhaus mit Farbakzenten im Hudson Valley von nARCHITECTS

Zweigeschossiges Wohnhaus mit Farbakzenten im Hudson Valley von nARCHITECTS

Kreative Transformationen

Nachhaltiges Bauen mit regionalen Ressourcen und innovativen Produkten von JUNG

Nachhaltiges Bauen mit regionalen Ressourcen und innovativen Produkten von JUNG

Von der Enge zur Offenheit

Filmreifer Wohnungsumbau in Madrid von GON Architects

Filmreifer Wohnungsumbau in Madrid von GON Architects

Leben im Schweinestall

Historisches Stallgebäude wird modernes Familienheim

Historisches Stallgebäude wird modernes Familienheim

Surferträume im Reihenhaus

Umbau eines Sechzigerjahre-Wohnhauses in Norwegen von Smau Arkitektur

Umbau eines Sechzigerjahre-Wohnhauses in Norwegen von Smau Arkitektur

Wabi-Sabi am Hochkönig

Boutiquehotel stieg’nhaus im Salzburger Land von Carolyn Herzog

Boutiquehotel stieg’nhaus im Salzburger Land von Carolyn Herzog

Faltbarer Transformer

Ein ländliches Wochenendhaus in Argentinien von Valentín Brügger

Ein ländliches Wochenendhaus in Argentinien von Valentín Brügger

Funktionale Fassaden

Verschattung im Bestand und Neubau

Verschattung im Bestand und Neubau

Wohnhaus in Kurvenlage

Neubau mit rundem Garten in Südkorea von Sukchulmok

Neubau mit rundem Garten in Südkorea von Sukchulmok

Palazzo mit Patina

Umbau eines apulischen Anwesens durch das Architekturbüro Valari

Umbau eines apulischen Anwesens durch das Architekturbüro Valari

Alte Scheune, neues Leben

Historisches Gebäude in Tübingen wird zu modernem Wohnraum

Historisches Gebäude in Tübingen wird zu modernem Wohnraum

Gebaut für Wind und Wetter

Ferienhaus im schwedischen Hee von Studio Ellsinger

Ferienhaus im schwedischen Hee von Studio Ellsinger

Ein Dorfhaus als Landsitz

Wohnumbau von Ricardo Azevedo in Portugal

Wohnumbau von Ricardo Azevedo in Portugal

Ein offenes Haus

Feministischer Wohnblock Illa Glòries von Cierto Estudio in Barcelona

Feministischer Wohnblock Illa Glòries von Cierto Estudio in Barcelona

Harte Schale, weicher Kern

Unkonventionelles Einfamilienhaus in Mexiko von Espacio 18 Arquitectura

Unkonventionelles Einfamilienhaus in Mexiko von Espacio 18 Arquitectura

Zwischen Bestand und Zukunft

Umbau einer Kölner Doppelhaushälfte durch das Architekturbüro Catalanoquiel

Umbau einer Kölner Doppelhaushälfte durch das Architekturbüro Catalanoquiel

Offen für Neues

Nachhaltige Renovierung einer flämischen Fermette durch Hé! Architectuur

Nachhaltige Renovierung einer flämischen Fermette durch Hé! Architectuur

Baden unter Palmen

Studio Hatzenbichler gestaltet ein Wiener Loft mit Beton und Grünpflanzen

Studio Hatzenbichler gestaltet ein Wiener Loft mit Beton und Grünpflanzen

Maßgeschneidertes Refugium

Georg Kayser Studio verbindet in Barcelona Altbau-Charme mit modernem Design

Georg Kayser Studio verbindet in Barcelona Altbau-Charme mit modernem Design

Rückzugsort im Biosphärenreservat

MAFEU Architektur entwirft ein zukunftsfähiges Reetdachhaus im Spreewald

MAFEU Architektur entwirft ein zukunftsfähiges Reetdachhaus im Spreewald

Im Dialog mit Le Corbusier

Umbau eines Apartments im Pariser Molitor-Gebäude von RREEL

Umbau eines Apartments im Pariser Molitor-Gebäude von RREEL

Warschauer Retrofuturimus

Apartment mit markantem Raumteiler von Mistovia Studio

Apartment mit markantem Raumteiler von Mistovia Studio

Trennung ohne Verluste

Ferienhaus im Miniformat auf Usedom von Keßler Plescher Architekten

Ferienhaus im Miniformat auf Usedom von Keßler Plescher Architekten

Architektur auf der Höhe

Wohnhaus-Duo von Worrell Yeung im hügeligen New York

Wohnhaus-Duo von Worrell Yeung im hügeligen New York

Architektur im Freien

Pool und Pergola von Marcel Architecten und Max Luciano Geldof in Belgien

Pool und Pergola von Marcel Architecten und Max Luciano Geldof in Belgien