Spartanisches Picknick-Bistro
0.5 Studio gestaltet Smoker-Restaurant in Prag

Der 7. Prager Stadtbezirk war bis in die Neunzigerjahre hinein ein Industriequartier; inzwischen – wenig überraschend – hat sich Holešovice zum Hipster-Viertel gewandelt. Damit sich diese Klientel auch standesgemäß verpflegen kann, öffnete ein Gastronomenpaar ein amerikanisch inspiriertes Smoker-Bistro. Das Design spannt einen Bogen zwischen dem Look eines spartanischen Pappteller-Imbisses und dem Luxus von richtig gutem, authentischem amerikanischen Essen.
Prags neues Hipster-Quartier Holešovice spielt mit seiner Industrievergangenheit: Hier liegen inzwischen teure Loftwohnungen neben Kreativlabors und Mode-Start-Ups, internationale Restaurants neben einem Zentrum für zeitgenössische Kunst und den Zentralen international agierender Unternehmen. Nur noch wenige leerstehende Fabrikgebäude oder riesige Baulücken erinnern an das, was dort vorher den Alltag bestimmte: Holešovice, erst vor rund 130 Jahren eingemeindet, war bis vor einigen Jahren eine Industrievorstadt. Hier lagen der Schlachthof und das Elektrizitätswerk und viele metallverarbeitende Betriebe. Seit 1990 wandelt sich das Quartier, viele Büroflächen sind entstanden. Und Ende 2019 eröffnete das Prager Gastronomenpaar Tomáš Oujezdský und Silvie Jackson das Self-Service-Bistro Big Smokers. Für die Gestaltung zeichnete 0.5 Studio verantwortlich, das von Pavel Nový und Vít Svoboda geführt wird. Für sie bestand die Aufgabe darin, die Atmosphäre eines typischen amerikanischen Restaurants irgendwo am Highway ins immer noch recht weitläufige Holešovice zu bringen und zwar ohne unnötiges Pathos und künstlich wirkende Dekorationselemente.
Amerika an der Moldau
Um an der Moldau ein Amerika-Gefühl zu erreichen, wird das Prinzip der Selbstbedienung regelrecht inszeniert. Denn, so muss man wissen findet sich Self-Servicein Tschechien traditionell eher selten und wenn, dann nur in Kantinen und billigen Buffet-Restaurants. Das Prinzip passt aus tschechischer Sicht nicht direkt zu hochwertigem und höherpreisigem Essen. Und so nennen die Architekten selbst ihr Restaurant gar eine Art „Picknick-Bistro“. Die Gäste bestellen und bezahlen am Tresen; sie bekommen dort auch sofort ihr Sandwich oder Pulled Pork mit eingelegtem Gemüse – und balancieren alles anschließend auf ihrem Tablett zum Tisch. Beim Weg dorthin bieten sich Einblicke in die geschäftige Küche und damit auf den gesamten Prozess: Jeder kann beobachten, wie aus rohen Produkten fertige Gerichte werden. Herzstück der Inszenierung ist der große Smoker. Im schwarzen Metallschrank werden Fleisch und Gemüse bei niedrigen Temperaturen geräuchert – natürlich über Holz, das aufgestapelt im Durchgang zwischen Thekenbereich und den beiden hinteren Gastbereichen für Authentizität sorgen soll.
Schelmische Gestaltung
Die Möbel wurden ebenfalls von 0.5 Studio entworfen: die Stehtische, die Imbissgarnituren aus Holz und von amerikanischen Vorbildern inspirierte Picknicktische aus gebogenem Stahlrohr. Zwei Gemälde des russisch-tschechischen Künstlers Alexey Klyuykov sind neben den Merchandising-Shirts und -Mützen des Restaurants sowie einer Lichterkette die einzigen Dekorationselemente; dank ihrer schieren Größe und ihrer plakativen Formensprache wirken sie fast wie Werbetafeln. Und so mischt sich bei der Gestaltung internationale Inspiration mit neuem tschechischem Selbstbewusstsein – analog zu allem, was hier auf den Teller kommt: Amerikanische Esskultur trifft auf herbe Bierspezialitäten aus kleinen tschechischen Brauereien. Dabei ist es den Architekten mit einer Portion böhmischem Schelmentum gelungen, das Prinzip noch weiter zu treiben: Die harten, vielleicht etwas kahl wirkenden Oberflächen in verschiedenen Grüntönen und einem dunklen Rot kontrastieren nicht nur das oft so plüschige Interieur traditioneller Prager Cafés. Am Ende wirkt das Big Smokers wie eine Art amerikanisches Ufo, das Holešovice auch mit seiner industriellen Vergangenheit versöhnt. Denn die Kargheit des Raums erinnert schlussendlich doch wieder ein bisschen an den Charme einer Fabrikkantine.
FOTOGRAFIE Jan Zima
Jan Zima
Entwurf | 0.5 Studio |
Bauherr | Tomáš Oujezdský und Silvie Jackson |
Standort | Dělnická 643/40, 170 00 Prag, Tschechien |
Fertigstellung | 11/2019 |
Art | Umbau |
Fläche | 270 qm |
Innenausbau und Möbel
Böden | Synthetische Bodenfarbe |
Wände | Synthetische Farbe |
Küchenmöbel | Einzelanfertigung, Design von 0,5 Studio |
Bistromöbel | Einzelanfertigung, Design von 0,5 Studio |
Gemälde | Alexey Klyuykov |
Staff-Uniforms und Merchandising-Artikel | Oneday |
Graphikdesign | Timur Akhmetov |
Mehr Projekte
Basler Bankgeheimnis
Herzog & de Meuron erfinden das Grand Hotel Les Trois Rois neu

Urbaner Abschlag
Industriell geprägter Indoor-Golfplatz Muni in Montreal von Ivy Studio

Geschichtsträchtige Oase
Parkhotel Mondschein mit Bar und Restaurant Luna in Bozen von Biquadra

„Material mit Identität behält immer seinen Wert“
Restaurant Kramer in Berlin-Neukölln von Thilo Reich

Aalto forever
Fyra gestaltet den Besucherbereich der Finlandia-Halle von Alvar Aalto in Helsinki neu

Handwerk statt Hektik
Das Designstudio loeserbettels gestaltet die Nomad Bakery in Chemnitz

Genuss unter Freunden
Restaurant Ninyas in Mexiko-Stadt von Ignacio Urquiza Arquitectos

Ein Eiscafé wie ein Dessert
Das Affogato von kaviar:collaborative in Mumbai

Feuer und Fermentation
Koreanisches Restaurant Odem in Singapur von Nice Projects

Alternative zum Büro
Kafeterija in Belgrad von KIDZ

Wohnliche Aussichtstürme
Elva Hotel in Norwegen von Mange Bekker Arkitektur

Gestaltung in Gewürztönen
Restaurant-Interior für das Hamburger Authentikka von Studio Lineatur

Meer auf dem Teller
Restaurant Hav & Mar von Atelier Zébulon Perron in New York City

Digestif in der Raumkapsel
Restaurant Kinkally mit Kellerbar von Da Bureau in London

Geschmackvolle Pausenräume
Kantinen und Cafeterien mit Aufenthaltsqualität

Zwischen Himmel und Fjord
Schwimmendes Restaurant Iris in Norwegen von Norm Architects

Rot und roh
Rum-Bar Campana del Rey in München von Buero Wagner

Harte Schale, weicher Kern
Keyu Café von Fabian Freytag am Berliner Tacheles

Gestaltung mit Rhythmus
Bursa Bar in Kiew mit japanischen Stilreferenzen von Nastia Mirzoyan

Mit Stil und Textil
COCC. hat das traditionsreiche Seegerhaus in St. Gallen restauriert

Zwischen Erbe und Erneuerung
JKMM Architects und Fyra haben Alvar Aaltos Haus der Kultur in Helsinki umgebaut

Sommerfrische reloaded
Das Eierhäuschen in Berlin wird zum Spreepark Art Space

Tanzen mit OMA
Nachtclub Klymax auf Bali in Kooperation mit DJ Harvey

Bitte lächeln
Einladendes Café in Athen von Karn Studio

Bar eines Handlungsreisenden
Neuinterpretation eines Bruin Cafés in Amsterdam von Studio Modijefsky

Urbanes Wohnzimmer
Teehaus Basao Panji in Xiamen von Building Narrative

Bunter Knallbonbon
Experimentelle Eisdiele in Nürnberg von MEKADO

Zurück in die Zukunft
Umbau und Erweiterung des Traditionshotels Zum Hirschen in Salzburg

Raum für Gäste und Gewächse
Hotel-Restaurant Steirereck am Pogusch von PPAG architects

Die glorreichen Siebziger
Trattoria del Ciumbia von Dimorestudio in Mailand
