Spiegel der Welt
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Das leise Rattern des Projektors kündigt die Vorführung an. Das Gemurmel im Publikum verstummt, und dann geht es los: das Spektakel der bewegten Bilder. Die Faszination für den Film war bei der Eröffnung des Lichtspieltheaters Weltspiegel Cottbus 1911 eine andere als heute. Früher gesellschaftliches Ereignis, ist Kino heute eine individualisierte Hightech-Erfahrung in gesichtslosen Zweckbauten. Bei der Renovierung des historischen Innenstadtkinos ist eine atmosphärische und programmatische Alternative zu den rein funktionalen Multiplex-Blockbuster-Kinos entstanden.
Große Vorführräume mit Hightech-Ausrüstung in kantigen Mehrsaal-Bauten zwingen heute reihenweise individuelle Programmkinos in die Knie. Nachdem auch der Betrieb im Weltspiegel Cottbus praktisch zum Erliegen gekommen war, erwarb Ralf Zarnoch den unter Denkmalschutz stehenden Jugendstilbau und ließ ihn aufwändig sanieren. Innenarchitekt Alexander Fehre und das Planungsbüro Arcon haben den alten Kinosaal erhalten, zwei neue ergänzt und so ein zeitgemäßes, vielseitiges Kino geschaffen. Mit 3D- und Satellitentechnik ausgerüstet, ist ein Spiel zwischen Alt und Neu, traditionell und modern entstanden, das sich konsequent von der Gebäudeansicht bis ins Detail durchzieht.
Zwischen Realität und Illusion
Anders als bei vielen Erweiterungen denkmalgeschützter Häuser geht der Neubau nicht mit einer gläsernen Fuge auf Distanz zum Altbau, sondern sucht den direkten Schulterschluss. In Farbigkeit und Detailtiefe differenziert, hält sich die monochrom graue Putzfassade des Anbaus vornehm im Hintergrund und macht die Bühne frei für die konkav gekrümmte, strahlend weiße Jugendstilfassade. Hinter der rekonstruierten Schaufassade empfängt das querliegende Foyer die Besucher. Der Eintritt ins Kino ist der Austritt aus der Realität: Das Leitmotiv des Innenarchitekten ist bereits im Entree angedeutet. Drei gebündelte, messingfarbene Fotoleuchten an der Decke verweisen auf die frühen Anfänge des Kinos, während die Gestaltung der dem Eingang gegenüberliegenden Kassentheken eine moderne Sprache spricht. Die Formen- und Lichtspiele im Foyer irritieren und faszinieren zugleich. Die Lichtprojektion an der Decke erinnert an einen strahlend blauen Himmel, die Muster des Teppichs scheinen den Boden aufzuwölben und Lichtstreifen schlitzen Öffnungen in die Wand.
Funkelnde Sterne
Vorbei an den Kassen gelangen die Besucher in das Herzstück des Hauses: den 519 Personen fassenden, historischen Saal. Die hohe, leicht gewölbte Kassettendecke verleiht dem Raum einen festlichen Charakter. Nachdem die Decke in früheren Sanierungsarbeiten weiß überstrichen wurde, erstrahlt sie nach aufwändiger Restaurierung in ihrem ursprünglichen Glanz. In den rechteckigen, kupferfarbenen Feldern sind je neun Kassetten in einem Goldbronze-Ton enthalten. Die vereinzelt eingelassenen Leuchtbirnen funkeln wie Sterne. Leuchtstoffröhren am Übergang zwischen Decke und Wand betonen zusätzlich die Rundung. Für den Zuschauer unsichtbar, ist die Sound-Anlage unter Stoffbespannungen versteckt.
Unter dem Sternenhimmel erstreckt sich ein ebener Parkettfußboden aus Eichenholz, auf dem ein mobiles Podestsystem die gerade angeordneten Sitzreihen stufenweise anhebt. Für Veranstaltungen kann das Podest zusammengefahren und die Kinosessel unter der Bühne verstaut werden. Das Bühnenportal und der Rang stammen aus einem Umbau der UFA in den 50er Jahren und heben sich in weiß von der übrigen Farbgebung ab. Parkettebene und Rang sind durch das restaurierte Jugendstiltreppenhaus verbunden.
Kino im Fotoapparat
Wird der historische Saal für einen Ball, ein Konzert oder eine Gala genutzt, kann der Kinobetrieb im Neubau fortgeführt werden. Durch den separaten Eingang gelangen die Besucher über das dreieckige Treppenhaus in die Filmbar. In dem dunkel gehaltenen Raum fällt die dynamisch geschwungene LED-Lichtlinie an der Decke auf. In Kurven und Biegungen windet sie sich von einer gefalteten Spiegelwand um den L-förmigen Tresen zu einer runden Wandprojektion.
In den beiden Obergeschossen befinden sich zwei neue Kinosäle mit jeweils 83 Plätzen. In der Gestaltung modern ausgeführt, verweisen sie auf historische Entwicklungen in der Filmgeschichte. Der Saal Kinematograph im ersten Obergeschoss bezieht sich auf die ersten Foto- und Filmkameras. Aus der gefalteten Rückwand schiebt sich der Projektionsraum wie das Objektiv alter Kameraapparate in den Vorführraum hinein. Auf der Glasscheibe zwischen Publikums- und Technikraum ist eine Blendengrafik aufgedruckt, die Assoziationen einer Vorführung in der Kamera wecken. Die gebogene Sitzanordnung vermittelt eine private Atmosphäre.
Licht im Dunkeln
Über dem Kinematograph befindet sich der dritte Saal des Weltspiegel. So schlicht der Name, so pur ist das Interior der Black Box. Die Wände und Decke des komplett in Schwarz gehaltenen Raums sind dreidimensional gefaltet und verleihen dem Raum eine dramatische Wirkung. Gerade LED-Lichtlinien folgen den Faltungen und unterstreichen die Dynamik. Der Projektionsraum steht wie beim Kinematograph mit im Saal, ist jedoch mit hexagonalen Spiegelflächen verkleidet und verschwindet in Lichtreflexionen und dem Dunkel der Black Box. Die Sitzreihen knicken nach außen leicht ein, wodurch die Plätze konzentriert auf die Leinwand ausgerichtet sind.
Das leise Rattern des Projektors ist nicht mehr zu hören, aber dennoch vermittelt das Weltspiegel in Cottbus einen Eindruck vergangener Zeiten. Zum Ausklingen des Kinoabends lädt auf dem Neubau eine Dachterrasse ein, das Gesehene Revue passieren zu lassen und dabei über die Dächer Cottbus´ zu blicken.
FOTOGRAFIE Zooey Braun
Zooey Braun
Links
Projekt
www.weltspiegel-cottbus.deInnenarchitekt
www.alexanderfehre.deProjektarchitekten
www.arcon-cottbus.deMehr Projekte
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