Stilkosmos in Crosby-Blau
New Yorker Designavantgarde in Moskau

Die Entwürfe von Crosby Studios aus New York sind avantgardistisch und nonkonformistisch. In Moskau hat ein neuer Showroom des Labels eröffnet, der Kunst, Handwerk, Kulinarik, Architektur und Design zu einem konsequenten Kosmos zusammenbringt. Bei einer royalblauen Kaffeepause auf den handgefertigten Möbeln können Besucher am Designprozess partizipieren und die Kollektion mit anderen teilen: Zum neuen Konzept gehört auch eine virtuelle Zweigstelle.
Der Gründer von Crosby Studios Harry Nuriev destilliert den Zeitgeist, um daraus seine hyperaktuelle Welt zu konstruieren. Das Ergebnis lässt sich kaum in einen Stilkontext einordnen, weil es an Verbündeten fehlt. Erkennen lassen sich Referenzen zum Nineties-Rave-Style, zu Glam, Kitsch und Digital Art. Was alle Nuriev-Entwürfe eint, ist eine Farbe: Das Crosby-Blau ist etwas heller als das von Yves Klein und damit so nah an der Kategorie Neon, wie es ein Blau eben sein kann. Das gefällt denjenigen, die sich für die Schönheit einer ästhetischen Protestkultur begeistern können und ein Herz für bunten Flokati oder Möbel im Photoshop-Schachbrettmuster haben. Zum Fanclub gehören beispielsweise auch die Modeunternehmen Balenciaga und Nike, die Harry Nuriev schon mit Shop-Interiors und Capsule-Kollektionen beauftragten. Die New York Times nannte den Designavantgardisten einmal den „Mann, der Räume für das Internet-Zeitalter entwirft.“
Workspace mit Publikum
Jetzt hat Harry Nuriev sein Universum in einen Raum gesperrt, der zumindest in Stilfragen nur ihm gehört und doch alle einlädt. Der Showroom mitten in Moskau ist sein neuester Coup. Er bietet Gelegenheit für eine Kaffeepause, stellt die neue Crosby-Kollektion vor und nimmt in den hinteren Räumen das russische Design-Headquarter auf. „Wir wollen die aufstrebenden Designer und Architekten auf uns aufmerksam machen – und wollen, dass sie die Crosby Studios als Ressource und Ideenquelle nutzen. Besucher können das Designteam sogar im Einsatz sehen, während sie hinter einer Glaswand sitzen – fast so, als ob sie in ein Restaurant mit offener Küche gehen und dem Koch bei der Zubereitung des Essens zusehen“, sagt Nuriev. Auf 220 Quadratmetern tauchen Gäste in seine blau-graue Phantasiewelt ein. „Jeder, der durch die Tür tritt, soll seine eigene Welt in unserer finden oder sich vielleicht sogar eine neue vorstellen.“
Ein Pool aus Polstern
Zentrum des Showroms ist ein runder Betonpool, der entlang des Beckenrandes statt Wasser ein Sofa-Rondell aufnimmt. Zwei Treppen führen in die knallblaue Landschaft aus plüschigen Sitzmöbeln hinab. Auf ihnen liegen winkende Hände-Kissen, davor stehen mit Stoff bezogene Stühle und Tischchen aus der aktuellen Kollektion. Irgendwo dazwischen sitzt der lebensgroße Neon Green Fur Little Man, ein Kuschelobjekt mit menschlicher Silhouette und Fellbezug. Das ganze Setting ist ein Testlabor für die Besucher, die sich fernab der Durchgangsfläche begegnen und alles ausprobieren können. Gleichzeitig werden an den Tischen auch die kulinarischen Entwürfe aus Nurievs Feder serviert: kobaltblaue Patisserie und aquamarinblaue Brote, Schokolade und mit blauem Glitzer versetzter Sekt. Das Menü ist aber weniger synthetisch, als es aussieht: Zum Einfärben der Lebensmittel nimmt Nuriev natürliche Zutaten wie Kohlenstaub oder das Mehl der Schmetterlingserbse.
Shopping mit dem Avatar
Der Showroom ist nicht der erste Präsentationsort für die im Januar vorgestellte Crosby Studios Home Collection. Zuerst zeigte Nuriev sie in einem Apartment, das auch während des Lockdowns für alle überall und zu jeder Zeit zugänglich war: Es war rein virtuell. Die digitale Dependance entstand, als Nuriev bei der Planung des neuen Moskauer Showrooms in den USA festsaß. „Ich war immer davon überzeugt, dass das Zuhause eine Erweiterung unseres persönlichen Stils ist, und jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, in unsere Wohnräume zu investieren“, erklärt Nuriev. Statt eines zweidimensionalen Webshops zeigt er ein interaktives Apartment, in dem sich die Kollektion beim Herumlaufen mit dem Avatar entdecken lässt. Klickt der Besucher auf ein Objekt, kann es als 3-D-Modell in eine AR-Ansicht geladen und in die reale Umgebung eingesetzt werden. Damit kann direkt getestet werden, wie ein Entwurf aus der Home Collection im individuellen Wohnumfeld aussehen würde.
FOTOGRAFIE Mikhail Loskutov
Mikhail Loskutov
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