Summit #9: Materialien und Oberflächen
Die Möglichkeiten alter und neuer Materialien auf dem Summit #9
In diesem Herbst war der Big Apple Schauplatz des Heinze Architekten Summits. Die Stadt mit ihrer 150 Jahre alten Architekturgeschichte ist wie gemacht, um über alte und neue Materialien nachzudenken und über Hightech und Recycling zu debattieren. Führungen zu Thomas Heatherwicks The Vessel, Zaha Hadids Wohnhaus 520 West 28th Street oder die Hunters Point Library von Steven Holl in Queens mit ihren geschwungenen Panoramafenstern gaben ebenfalls jede Menge Inspirationen.
Wie New Yorker Architekten arbeiten, zeigte ein Besuch bei BIG – Bjarke Ingels Group in Brooklyn. Neben einer beeindruckenden Materialsammlung faszinierten die Summit-Teilnehmer der allgegenwärtige Einsatz von 3D-Druck, der bei den Architekten nicht nur für die Anfertigung von Modellen, sondern für ganze Fassadenelemente zum Einsatz kommt. Auch bei Snøhetta in Manhattan gewannen sie einen Eindruck in die Arbeitsweise des Büros und lernten aktuelle Projekte kennen. Die Bedeutung von Materialien und Oberflächen in der Architektur diskutierten die teilnehmenden Architekten in vier Arbeitsgruppen mit verschiedenen Arbeitsschwerpunkten, die sich vorab im gemeinsamen Brainstorming herauskristallisiert hatten.
Thema: Space Mining: Raum als Material/Urban Mining
Jette Cathrin Hopp, Snøhetta
Lars Engelke, OBJECT CARPET
Jan Fischer, AllesWirdGut Architektur ZT
Ingbert Schilz, Jim Clemes Associates
Matthias Schoppe, Aurubis
Die Wiedernutzbarmachung von Materialien ist historisch aus verschiedenen Kontexten bekannt, beispielsweise von den Trümmerfrauen nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Arbeitsgruppe erweiterte den Begriff jedoch im Kontext von Stadt dahingehend, wie Räume um- und mehrfach genutzt werden. In Zeiten zunehmender Urbanisierung ist der Platz in Städten knapp und teuer, sodass unterschiedliche Nutzungsarten Potenziale ausschöpfen könnten, beispielsweise wenn die Kantine eines Unternehmens abends zur Volkshochschule wird. Solche Lösungen sollten bereits bei der Planung mitgedacht werden. Nach dem Motto „Jede Nische wird genutzt“ wird auch das Nutzungspotenzial von Resträumen erkannt, die neue soziale Interaktion schaffen. Potenzielle Nutzergruppen könnten Anwohner oder auch digitale Nomade sein, die diese zum Arbeiten verwenden. Indem Städte von Investoren verlangen, einen sozialen Mehrwert zu schaffen, könnten vertikale Flächen begrünt werden, wovon auch die Bevölkerung profitiert. Potenziale sehen die Architekten auch bei Parkflächen für Autos, wenn diese in Zukunft weniger nachgefragt werden. Dort könnten Grünflächen und Parks entstehen. Leere Tiefgaragen könnten als Pilzfarmen oder Lagerräume dienen.
Bereits weit verbreitet sind Dächer als Gärten oder urbane Farmen. Neue Nutzungen von Industriedenkmälern oder das Recycling ihrer Materialien birgt ebenfalls Potenziale. Müll gleich Wertstoff gleich Nutzung lautet die Formel und kann zu interessanten Ergebnissen führen, auch dann, wenn Architekten baufremde Materialien in ihre Projekte einbeziehen und auf diese Weise etwa textile Fassaden schaffen. Das erfordert allerdings Flexibilität und Experimentierfreude bei Planern und ihren Projektpartnern. Der Begriff Space Mining lässt sich aber auch auf Energy Mining ausdehnen. Ungenutzte Energieflüsse digital zugänglich zu machen und darüber auch zu erschließen, beeinflusst das Verbraucherverhalten und ist ein wichtiges Ziel für die Zukunft.
Thema: Verfremdung
Eva Felix, Felix+Jonas Architekten
Titus Bernhard, Titus Bernhard Architekten
Tom Geister, sauerbruch hutton
Harald Niemann, OBJECT CARPET
Frank Weigelt, Systea Pohl
Eigenschaften wie weich, stabil oder begrenzend werden üblicherweise mit bestimmten Materialien verbunden. Diese Perspektive zu verändern und Materialien neu zu kontextualisieren, kann zu interessanten Resultaten führen. Ein Beispiel ist das Kunstzentrum The Shed von Diller Scofidio + Renfro, wo der Außenraum durch große Glasfassaden zum Innenraum wird. Die Fassade kann auf diese Weise neu verstanden werden als Begrenzung, die an ein Luftkissen erinnert.
Bei ihrem 2007 fertiggestellten Wohnhaus 40 Bond verfremdeten Herzog & de Meuron die Fassade, indem sie Graffiti, das normalerweise als unwillkommener Schandfleck wahrgenommen wird, ornamental materialisierten und dieses nun ähnlich einem Zaun als Grenze zwischen innen und außen dient. Es setzt sich auch auf dem Boden mit aus Beton ausgeschnittenen 3D-Graffitis fort. Bei anderen Beispielen wie dem Viñoly-Tower wird der Maßstab durch eine Geschosshöhe von fünf Metern verfremdet. Durch diesen Kunstgriff wirkt eines der höchsten Gebäude der Welt trotz seiner 400 Meter Höhe bei einer Grundfläche von 29 mal 29 Metern kleiner als man vermuten sollte und „erschlägt“ den Betrachter nicht. Bei der Hunters Point Library von Steven Holl wird die Fassade durch ihre Holzschalung aufgewertet und verbirgt durch ihre metallische Beschichtung, dass sie eigentlich aus Beton besteht. Eine ebenfalls interessante, irreführende Fassade besitzt das Nordstrom-Gebäude.
Adrian Smith + Gordon Gill Architecture übertrugen die weiche, textile Vorhangstruktur auf das harte Material Glas, sodass sie wie eingefroren wirkt, und schaffen damit eine gestalterische diametrale Materialität, eine eigene Ästhetik, die die Wahrnehmungsfähigkeit fordert. Eigentlich soll ein Vorhang etwas verdecken, doch als Fas-sade eingesetzt, wirkt das Gebäude plötzlich wieder transparent.
Thema: 3D-Produktion
Ruth Berktold, Yes Architecture
Jan Knikker, MVRDV
Andreas Reinhardt, Systea Pohl
Christof Thaler, Marazzi
Carsten Wiewiorra, wiewiorra hopp schwark architekten
Ob bei der Herstellung von Ersatzteilen und Schrauben oder im Produktdesign – 3D-Druck bekommt in der Produktion eine immer wichtigere Bedeutung. Nicht nur Prototypen, auch fertige Produkte verlassen den 3D-Drucker und sogar Fassadenelemente, wie das New Yorker Büro von BIG – Bjarke Ingels Group in Brooklyn zeigt. Die 3D-Modelle aus der Druckerstaffel sind Teil des Entwurfsprozesses und ersetzen die Modellbauer. Durch die Fassadengestaltung mithilfe von 3D-Druck ergeben sich neue Gestaltungsmöglichkeiten, die mit neuen technologischen Verfahren an alte ästhetische Muster anknüpfen können. So ist es dank der Technologie wieder möglich, bezahlbare Ornamente zu produzieren. Was in früheren Zeiten nur durch aufwendige Handarbeit realisierbar war, schien lange zu kostenintensiv und könnte durch die Fortschritte 3D-Druck wieder bezahlbar werden. Plante Frank O. Gehry die aufwendige Fassade des Beekman Tower noch aus Aluminium, gibt es nun dank 3D-Druck die Möglichkeit, solche Fassaden aus Beton herzustellen.
Bereits heute werden viele Elemente für den Innenbereich in 3D gedruckt. Der Vorteil von Anwendungen im Innenraum ist, dass das Wetter nicht als kritisches Element hinzukommt. So lassen sich innen Dinge ausprobieren, die dann aber auch für Außenfassaden interessant sein könnten. In Zukunft wird der 3D-Druck auch bei der Fertigung eine wichtige Rolle spielen. Unternehmen wie Fischer-Dübel arbeiten an einer Technologie, mit der Dübel auf der Baustelle ausgedruckt werden. Dieses Szenario ist auch auf andere Bauteile übertragbar. Vor allem in abgelegenen Orten wie Island kann das Bauprojekte beschleunigen, weil sich die langen Lieferzeiten für Ersatzteile verkürzen. Doch auch die Materialien, mit denen in Zukunft gedruckt wird, lassen Raum für Innovationen. So wurde im Auftrag der UN ein Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe aus Kokosnussresten eine Wand gedruckt werden kann. Auch recycelte Reifen oder Plastikmüll eigenen sich als Grundlage für 3D-Drucke. Mithilfe von 3D-Druck lassen sich aber auch unterschiedliche Haptiken imitieren und zum Beispiel Beton pro-duzieren, der wie Aluminium aussieht und sogar als stützende Konstruktion dienen kann.
Thema: Oberflächen
Susanne Brandherm, brandherm + krumrey interior architecture
Marcus Büscher, Aurubis
Daniel Kas, RKW Architektur + Rhode Kellermann Wawrowsky
Maximilian Laackman, Marazzi
Detlef Steigert, OBJECT CARPET
Für ihre Präsentation zum Thema „Oberfläche, Haptik, Poetik – New York, Stadt der Kontraste“ sammelte die Gruppe Bilder, die für New York City stehen und ordnete sie dann nach Begriffen. In der Architektur der Stadt fanden sie perfekt anmutende Glas-paläste, aber auch Unvollkommenheit in Form von Patina oder in Auflösung begriffener Materialien. Warme Hoteleinrichtungen im Used Look sind in der kontroversen Metropole ebenso möglich wie steriler Hochglanz. Der abgeblätterte Lack eines Tisches lässt die Stadt lebendig wirken. Monumentalen Bauten, die wie für die Ewigkeit gebaut wirken, stehen für den Moment gefertigte Kinderbilder oder Graffiti gegenüber. Durch die extreme Vergrößerung von Materialien entstehen neue Muster und Oberflächen, die auch auf den Innenraum übertragen werden können. Wiederum kann die Übersteigerung von Maßstäben eine ganz andere Materialwirkung entstehen lassen.
Wie sich der Kontrast von Licht und Schatten auf einer Oberfläche einschreibt und die Perforation bestimmt, zeigen ebenfalls architektonische Detailaufnahmen. So brechen auf dem Bürgersteig vor dem Mercer Hotel einzelne Lichtkugeln das Licht, was zeigt, wie Lichteffekte den Eindruck von Oberflächen verändern können. Gegensätze finden sich auch dann, wenn so unterschiedliche Materialien wie Beton und Holz aufeinandertreff en oder wenn Wolle mit einer geradlinigen Reihung mit textiler Haptik überrascht. Das Rein- und Rauszoomen in bestimmte Materialien schafft ein Spiel der Formen und gibt Anregungen für innovative Muster oder Oberflächen. Manchmal können aber auch alltägliche Beobachtungen wie zufällig aufgestapelte Stahlrahmen am Straßenrand Inspirationen liefern für Farbkombinationen und Strukturen. Die Heinze Summits versammeln führende Architekten und Innenarchitekten sowie richtungsweisende und visionäre Industriepartner zu mehrtägigen Intensiv-Workshops.
FOTOGRAFIE Klaus Füner
Klaus Füner
Aurubis
www.aurubis.comMarazzi
www.marazzigroup.comObject Carpet
www.object-carpet.comSystea
systea.systemsHeinze-Summits
Die Heinze-Summits versammeln führende Architekten und Innen- architekten sowie richtungsweisende und visionäre Industriepartner zu mehrtägigen Intensiv-Workshops.
www.heinze.de