Über den Lichtern Acapulcos
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Acapulco ist zweifelsfrei ein legendärer Ort. Besungen von Elvis Presley (Fun in Acapulco) und den Four Tops (Loco in Acapulco) ist die ehemals beschauliche Hafenstadt am Pazifik seit den 50er Jahren Inbegriff touristischer Sehnsüchte. An den langen Sandstränden reiht sich ein Hotel an das nächste und vor allem vergnügungshungrige Pauschalreisende kommen in unzähligen Bars und Nachtclubs auf ihre Kosten. Unweit dieses Trubels, in den waldigen Hügeln Guerreros, befindet sich jedoch ein Ort der Besinnung: die Capilla del Atardecer oder auch Sunset Chapel.
Wie ein steinerner Keil liegt die ungewöhnliche Grabkapelle zwischen hohen Bäumen und verstreuten Felsbrocken. Entworfen wurde sie von den Brüdern Esteban und Sebastián Suárez, die im Jahr 2005 ihr gemeinsames Architekturbüro Bunker Arquitectura in Mexico City gründeten. Der Auftraggeber hatte den beiden Architekten mit der Schwäche für unkonventionelle Herausforderungen genau drei Bedingungen gestellt: Die spetakuläre Aussicht des Standorts musste bewahrt werden, die Sonne sollte direkt hinter dem Altarkreuz untergehen, und die ersten Grabgewölbe hatten in unmittelbarer Umgebung des Gebäudes Platz zu finden.
Beginn und Abschied
Die Sunset Chapel ist nicht der erste Auftrag religiöser Art für Bunker Arquitectura. Schon 2007 entwarfen sie die Hochzeitskapelle Capilla La Estancia für die barocken Gärten des Dorfes Cuernavaca, eine Stunde südlich von Mexico City gelegen. Esteban und Sebastián Suárez verstehen die beiden sakralen Typologien als natürliche Gegensätze: Erstere steht für den Beginn eines neuen Lebens und letztere für den Abschied eines geliebten Menschens. Entsprechend wollten sie die Form und Materialität beider Bauten so konträr wie möglich halten. Während sie die vier Wände der Hochzeitskapelle aus Glaspaneelen zusammensetzten und sich das gesamte Gebäude wie ein semitransparenter Kubus harmonisch in die Parklandschaft einfügt, bedienten sich die Architekten bei der Begräbniskapelle einer weitaus expressiveren Formensprache. In massiver Betonbauweise gehalten, steht sie im Kontrast zu den umliegenden Bäumen.
Ein Findling mit Aussicht
Die erste Forderung des Auftraggebers, aus der Kapelle eine unverstellte Sicht auf die Bucht Acapulcos genießen zu können, stellte die Architekten vor ungeahnte Schwierigkeiten. Zum einen ist das gesamte Grundstück mit altem und vor allem hohem Baumbestand bewachsen, zum anderen verstellt ein besonders großer Felsbrocken die direkte Blickachse zum Sonnenuntergang. Da es aus ökologischen sowie ökonomischen Gründen außer Frage stand, den Felsen zu sprengen oder die ursprüngliche Vegetation zu zerstören, entschieden sie sich, die Kapelle ganze fünf Meter höher zu legen als ursprünglich geplant. Um den Eingriff in die natürliche Oase weiterhin so gering wie möglich zu halten, wurde die Fläche der Gebäudebasis um die Hälfte schmaler gehalten als die Bodenfläche der oberen Etage. So wirkt die 120 Quadratmeter große Sunset Chapel wie ein weiterer großer Findling in den felsenreichen Hügeln Guerreros.
Dem Sonnenuntergang entgegen
Hat der Besucher erst einmal die Stufen im Sockel der Kapelle erklommen, erreicht er den zum Pazifik ausgerichteten Andachtsraum. Wie vom Auftraggeber gewünscht, öffnet sich die Altarseite gen Sonnenuntergang und zweimal im Jahr, zur Tagundnachtgleiche, versinkt die Sonne genau hinter dem gläsernen Altarkreuz. Die Seitenwände bestehen aus Betonstreben, deren Zwischenräume dem massiven Baukörper eine relative Transparenz verleihen und ein kontrastreiches Licht- und Schattenspiel im Inneren hervorrufen.
Wirkt die Sunset Chapel bei Tag noch wie ein lichtdurchfluteter Felsen, wandelt sich der Eindruck bei Einbruch der Nacht. Nicht umsonst wird der verantwortliche Lichtdesigner Ricardo Noriega Serrano in seiner Heimat Mexiko auch zum „Poeten des Lichts“ erklärt. Getreu seiner These, architektonische Beleuchtung lasse uns „jeden Tag zweimal erleben“, erhält die Kapelle im Dunkeln ein neues Gesicht. Die gleichmäßige Ausleuchtung des Andachtsraums sowie die Anstrahlung der Fassade betonen die geometrische Form des Baukörpers und lassen ihn in seiner organischen Umgebung futuristisch wirken, beinahe wie ein zufällig auf der Lichtung gelandetes Raumschiff.
Im Land des Totenkults
Seit ihrer Fertigstellung im Februar diesen Jahres hat die Sunset Chapel schon viele Neugierige angezogen. Wahrscheinlich gehört sie sogar zu den sehenswertesten religiösen Bauten der letzten Jahre und ist somit in Mexiko am richtigen Ort. Denn im Gegensatz zu unserem mitteleuropäischen Kulturkreis, in dem das Gedenken an die Toten immer mehr nach profanen Kritierien gestaltet – oder vielmehr nicht gestaltet – wird, ist der Kult um den Tod in Mexiko immer noch sehr lebendig.
FOTOGRAFIE Esteban Suárez
Esteban Suárez
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