Vom Angstraum zum Lichtraum
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Die Nacht ist für die Stadt wie ein gutes Make-up: Weniger Schönes verschwindet in der Dunkelheit, und Vorzüge können besonders betont werden. Das machen sich gerade die alten europäischen Diven wie Paris, Rom oder Wien erfolgreich zunutze. Letztere hat für ihren nächtlichen Auftritt sogar einen Masterplan Licht entwickelt, der die Beleuchtung des gesamten Stadtraums bis ins Jahr 2018 umfasst. Ein Teil von Wien, der schon jetzt deutlich davon profitiert, ist der Donaukanal.
Der siebzehn Kilometer lange Kanal im Zentrum Wiens ist eigentlich ein Nebenarm der Donau – früher auch „Wiener Arm“ genannt – und wurde vor einigen Jahren von der Stadtplanung als besonderer Ort der urbanen Naherholung ausgewiesen. Zur dringend notwendigen Verbesserung seiner technischen Infrastruktur schlossen sich verschiedene Abteilungen der Wiener Verwaltung, unter anderem die Magisterabteilung MA 33 Wien Leuchtet, mit dem Lichtplanungsbüro podpod design zusammen.
Zwei Wiener erhellen ihre Stadt
Die beiden Lichtdesigner von podpod design, Iris und Michael Podgorschek, sind nicht nur Geschwister, sondern vor allem waschechte Wiener. Beide studierten an der Wiener Hochschule für Angewandte Kunst Industriedesign und besuchten die Meisterklassen bei so namenhaften Professoren wie Alessandro Mendini, Richard Sapper, Herrmann Czech und Paolo Pivi. 1994 gründeten sie schließlich podpod design und legten ihren Schwerpunkt auf die Gestaltung von Licht. Ihr gemeinsam mit der Stadt Wien im Rahmen des Masterplans Licht erarbeitetes Beleuchtungskonzept gewinnt nun – keine fünf Jahre nach Projektbeginn – mehr und mehr an Gestalt.
Vom Angst- zum Lichtraum
Der Donaukanal hat viele Gesichter. Er grenzt an die historische Innenstadt und verläuft ebenso entlang repräsentativer Jugendstilgebäude Otto Wagners als auch dem kürzlich erbauten Uniqua-Tower oder dem neuen Hotel- und Einkaufskomplex von Jean Nouvel. Er bietet Raum für ruhige Spaziergänge und ausschweifendes Nachtleben. Vor der Umgestaltung zählten die Uferwege nachts jedoch aufgrund ihrer schlechten Beleuchtung zu den so genannten urbanen „Angsträumen“, die vor allem Frauen und ältere Menschen eher mieden. Ein Ziel der Gestalter war folglich, am Wasser Lichträume entstehen zu lassen, die nächtlichen Besuchern Sicherheit und Wohlbefinden vermitteln. Leitfaden der Wegbeleuchtung ist die durchgehende Erhellung der den Uferweg begrenzenden Steinmauer. Zu diesem Zweck montierte man an den Mauerpfeilern Halogen-Strahler, die den Gehweg gleichmäßig ausleuchten ohne zu blenden.
Um keine dunklen Ecken entstehen zu lassen, montierte man zusätzliche Lichtmasten in den breiteren Abschnitten der Promenade. Für das menschliche Sicherheitsgefühl spielt jedoch nicht nur die Menge, sondern auch die Farbe des Lichts eine tragende Rolle. Aus diesem Grund hat man sich für den Einsatz weißen Lichts entschieden, das im Gegensatz zu gelbem Natriumlicht die natürliche Wahrnehmung der Umgebungsfarben ermöglicht.
Alte Brücken in farbigem Licht
Spricht man von Brücken, müssen sich wohl alle Städte an Venedig messen lassen. Wien braucht diesen Vergleich nicht zu scheuen, denn es hat sogar viermal so viele wie die Lagunenstadt. Kein Wunder also, dass die Brückenbeleuchtung eine so herausragende Rolle im Lichtkonzept von podpod design spielt. Viele der Überbrückungen des Donaukanals stammen aus den fünfziger und sechziger Jahren und präsentieren sich tagsüber eher sachlich schlicht. So auch die Schwedenbrücke: Sie wurde 1955 als erste Spannbetonbrücke Wiens erbaut und befindet sich an der historisch bedeutenden Stelle der allerersten Überführung des Donaukanals. In Erinnerung an den so genannten „Roten Turm“, zu dem sie damals führte, werden die Seitenflächen nun mit dunkelrotem Licht angestrahlt. Diese intensive Farbgebung verhilft ihr nachts zu einer spektakulären Wirkung und macht sie zu einem neuen Orientierungspunkt entlang des Kanals.
Als schöner Kontrast dazu wirkt die hellblaue Ausleuchtung der ebenfalls aus den fünfziger Jahren stammenden Marienbrücke. Ihre Namensgeberin ist die von der ursprünglichen Brücke übernommene Marienstatue, die seit 1983 wieder auf ihrer Mitte thront. Christlicher Symbolik entsprechend, wird die Statue nun von allen Seiten in das Licht Marias getaucht. Die für das Blau verantwortlichen LED-Linearleuchten wurden kaum sichtbar in die Randbalkenkonstruktion eingepasst und verhelfen zu einer Energieeinsparung von bis zu 65% im Vergleich zur ehemaligen Beleuchtung.
Die goldgelbe Anstrahlung der in den sechziger Jahren erbauten Salztorbrücke hingegen soll die historische Bedeutung des Salzes in Erinnerung rufen. Auch hier wurden die speziell angefertigten LED-Leuchten unauffällig am Randbalken montiert und durch ihre präzise Ausrichtung verschwenderisches Streulicht vermieden.
Anders als die drei ersten Brücken besteht die Aspernbrücke, die seit 1951 den ersten mit dem zweiten Bezirk verbindet, aus einer Trägerkonstruktion mit aufliegender Betonfahrplatte. Hier hat man sich für eine zurückgenommene Farbwahl entschieden und setzt weißes Licht zur Betonung der historischen Metallbauweise ein. So entsteht ein spannendes Lichtmuster, das sich in seiner Spiegelung auf dem Donauwasser fortsetzt.
Zu guter Letzt wurden die 152 LED-Leuchten der Roßauer Brücke in Betrieb genommen: Sie lassen das Bauwerk vor der Roßauer Kaserne bei Einbruch der Dunkelheit nun in leuchtendemTürkisblau erstrahlen.
Viel Grund zur Vorfreude
Mit ihrem intelligenten Beleuchtungskonzept haben die Lichtgestalter von podpod design viel bewirkt. Am Donaukanal, wo man sich früher nach Sonnenuntergang unweigerlich an Jack the Ripper erinnert fühlte, ist die Orientierung inzwischen nachts einfacher als am Tag. Gleichzeitig wurde durch die Wahl der verwendeten Farben eine Referenz an die bewegte Vergangenheit der Stadt geschaffen. Der Energieverbrauch hat sich dennoch um ein vielfaches verringert – ebenso wie die „Lichtverschmutzung“. Betrachtet man diese Fortschritte, besteht begründete Vorfreude auf das Jahr 2018 – zumal auch für die Donauinsel und den Wienfluss weitere Lichtkonzepte in Planung sind. Eine Vorbildfunktion hat sich die österreichische Hauptstadt in der stetigen Verfolgung ihres Masterplans jedoch ohnehin schon verdient.
FOTOGRAFIE MA33/Gerhard Dully
MA33/Gerhard Dully
Links
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