Ziegelskulptur mit Kreuz: Kapelle in Cordoba
Bühne für ein Kruzifix: skulpturaler Bau aus recyceltem Backstein von Nicolás Campodonico
Wenn Architektur nicht viel muss, bleiben ungewohnte Freiheiten. Der junge Architekt Nicolás Campodonico hat im argentinischen Cordoba eine Kapelle aus Backstein gebaut, die als stolze Skulptur in einer verlassenen Landschaft steht. Dabei erweist sich die Capilla San Bernardo Stunde für Stunde als Bühne, Hauptdarsteller sind zwei Schatten und viel Licht.
Vom Hof aus ist es ein verschlossener Baukörper und der kleine, gebogene Schlitz, der die Fassade an der unteren Seite nur um einen Spalt öffnet, weckt irgendwie Neugierde, wirkt fast etwas keck. Manchmal leuchtet es dahinter warm – immer dann, wenn auf der gegenüberliegenden Seite das Sonnenlicht hineinfällt.
Entworfen hat diese ungewöhnliche Kapelle mit ihrem trapezförmigen Grundriss, der sich zur weiten Landschaft trichterförmig öffnet, der junge, argentinische Architekt Nicolás Campodonico. Fünf Jahre dauerte es vom Entwurf bis zum fertigen Gebäude, ganze drei Jahre betrug allein die Bauzeit. Die Kapelle San Bernardo entstand mitten im Flachland östlich vor Cordoba – eine Einöde, in der es weder Strom noch fließend Wasser gibt. Einzige Nachbarn sind ein paar Baumgruppen, die in der Mittagshitze etwas Schatten spenden. Was man heute nicht mehr sieht: Als Baumaterial wurden die Ziegelsteine eines hundert Jahre alten, zum Teil verfallenen Bauernhauses wiederverwendet. Das Resultat ist beeindruckend. Eine Bühne, die sich zum Himmel öffnet, so dass das Schauspiel als Schatten auf die Backsteinwände und den gemauerten Boden fällt.
Einmal am Tag projizieren die Sonnenstrahlen ein Kreuz auf die Wände, die im Inneren der Kapelle auf der Stirnseite einen Halbkreis formen. Es sind die sich kreuzenden Schatten eines liegenden und eines stehenden Balkens, die Campodonico vor der großen Öffnung zu diesem Zweck platziert hat. Das Schattenspiel dient dabei als Metapher, denn es beschreibt mit simplen wie abstrakten Mitteln den Leidensweg von Jesus Christus, der sich in der Capilla San Bernardo jeden Tag aus Neue wiederholt – mit dem Kruzifix als immer wiederkehrendem Motiv. Die beiden Balken wandern im Verlauf eines jeden Tages zunächst als einzelne Schatten über die gemauerten Wände. Jesus habe kein Kreuz, sondern nur den Querbalken auf seinem Weg nach Golgata getragen, erklärt dazu Nicolás Campodonico. Jeden Abend bei entsprechendem Sonnenstand verbinden sich die beiden Schatten zum Kreuz und vollenden damit die Passion. Das christliche Symbol verwandelt der Architekt in ein Ritual.
Die Architektur ist so gesehen nicht mehr als der nötige Hintergrund: die Bühne. Dazu hat Campodonico einen zeitgemäßen, aber archaischen Raum geschaffen, der kaum einhundert Quadratmeter misst. Der trichterförmige Eingang verjüngt sich nach innen und lockt den Besucher in die kleine Kapelle, während die Apsis durch eine gegenüberliegende, ebenfalls geschwungene Wand verstärkt wird. Für die entsprechende Atmosphäre sorgen die mühevoll recycelten, einhundert Jahre alten Ziegel – Sichtbeton hätte eine andere Wirkung erzeugt. Letzterer lässt sich auch kaum wiederverwenden, Backstein schon.
FOTOGRAFIE Nicolás Campodonico
Nicolás Campodonico