Zwischen Heilen und Glauben: Dialysezentrum Bangalore
Himmlisches Gefühl: Der Neubau des Architekturbüros Cadence steht unmittelbar neben einem farbenfrohen Tempelbau.

Tempel werden in der indischen Gesellschaft auch heute noch als Heiligtümer betrachtet. In unmittelbarer Nachbarschaft zu einer solchen Kultstätte einen Neubau zu errichten, ist daher eine heikle und von den Anwohnern kritisch beäugte Angelegenheit: Sie sehen sich als Wächter des kulturellen und religiösen Erbes. Dieser Herausforderung musste sich das Architekturbüro Cadence aus Bangalore stellen, als es ein Dialysezentrum neben einem historischen Tempel plante. Der architektonischen Geste, die selbstbewusst und zurückhaltend zugleich ist, gelingt ein perfektes Neben- und Miteinander.
Die Grundfläche ist mit etwas mehr als 200 Quadratmetern eher klein für ein medizinisches Versorgungszentrum dieser Art. Immerhin sollten 30 Betten an dem Standort inmitten des Zentrums der südindischen Metropole Bangalore untergebracht werden. Und dann ist da noch die direkte Nachbarschaft: ein skulpturaler und farbenfroher Tempelbau. Dieser wird seit Jahrhunderten von den Anwohnern verehrt und gepflegt – und spielt eine tragende Rolle in dem von religiösem Glauben geprägten Alltag. Die Architekten von Cadence reagierten auf den komplexen Kontext mit einem klugen Eingriff: Als weiße Leinwand positioniert sich ihr Neubau neben der religiösen Kultstätte und sorgt dadurch zumindest für einen farblich-neutralen Hintergrund.
Spirituelle Atmosphäre
Die 900 Quadratmeter Nutzfläche verstecken sich geschickt hinter der Hülle aus weißem Putz: Das Erdgeschoss ist zurückgesetzt und bildet einen halböffentlichen Bereich mit Café und Wartezimmer. Darüber stapelten die Architekten vier Etagen, die insgesamt 30 Betten in offenen Behandlungsräumen aufnehmen. Das Gebäudeinnere ist von seiner unmittelbaren Umgebung nahezu vollständig visuell abgeschlossen. Das Tageslicht gelangt nur über in den Faltungen der Fassade versteckte Fensteröffnungen in das Haus und sorgt als indirekte Lichtquelle für eine spirituelle Atmosphäre in den weiß gehaltenen Räumen. Die geschlossene Außenhülle funktioniert als Schutzschicht nach außen wie nach innen: Die Behandlungsräume wirken durch sie intim und sind vor Einblicken geschützt. Gleichzeitig werden die Besucher des Tempels und der umliegenden Häuser nicht mit Szenarien aus dem Krankenhaus konfrontiert. Zusätzlich stellt die Idee einer filternden Membran für die Architekten „eine subtile Referenz auf das Dialyseverfahren“ dar.
Die Fassade besteht aus geschichteten Ziegeln: einem traditionellen indischen Baumaterial, das aufgrund seiner Materialeigenschaften für ein gutes Raumklima in der subtropischen Region sorgt. Verkleidet ist die Mauerwerkskonstruktion mit Dämmmaterial und weißem Putz. Die helle und homogene Oberfläche sorgt für den skulpturalen Abschluss des Hauses und seine sinnliche, fast schon textile Qualität. „Das Gebäude hat etwas von Hand Gemachtes“, erklären die Architekten ihre Entwurfsidee. „Wir wollten ein himmlisches Gefühl schaffen und das Gebäude, das nach Westen ausgerichtet ist, gegen die hellen Sonnenstrahlen schützen.“ Gelungen ist den Planern beides: Das Spirituelle zieht sich durch das gesamte Gebäude. Von seiner äußeren Gestalt bis hin zu der gedimmten Lichtstimmung im Inneren des Krankenhauses: Architektur und Medizin in einer himmlischen Symbiose.
FOTOGRAFIE Sergio Ghetti + Cadence
Sergio Ghetti + Cadence
DEAR Magazin Nr. 2/2017
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