Die Höhlenhäuser von Hormus
Eine Touristensiedlung im Persischen Golf von ZAV Architects
Auf einer kleinen, in Vergessenheit geratenen Insel vor der iranischen Küste erheben sich neuerdings sanfte Kuppeln vor bizarrer Landschaft. Sie sind das regenbogenfarbene Ergebnis einer Initiative, die mit Unterstützung der Architektur den Tourismus fördern und illegale Handelsgeschäfte verhindern will.
Die iranische Insel Hormus ist ein karges, fast rundes Felsmassiv im Persischen Golf. Von einer Küste zur anderen sind es gerade einmal sieben Kilometer – wobei die einzige Stadt und ihr Hafen an der dem Festland zugewandten Seite liegen. Alles muss hierher transportiert werden, vom Trinkwasser über die Lebensmittelvorräte bis zum Baumaterial. Widrige Umstände, die Hormus mit zwei Vorteilen ausgleicht: seiner strategischen Lage und seiner fantastischen Landschaft.
Weil die Vereinigten Arabischen Emirate auf der gegenüberliegenden Seite der Meeresbucht lokalisiert sind, wurde auf Hormus der Transport von Erdöl lange aus dem Nahen Osten organisiert, was den Hafen zu einem der wichtigsten Handelsschauplätze der Welt machte. Als sich andere Umschlagplätze etablierten, verloren Hafen und Insel an Relevanz. Davon hat zumindest die Natur profitiert, der die aktuelle Ruhe gut steht. Riesige Salzformationen bilden surreale Landschaften und regenbogenfarbiges Sedimentgestein sorgt für eisenrote Strände und schwefelgelbe Felsschluchten. Nur: Die bewegte Geschichte hat auf Hormus strukturelle Probleme hinterlassen. Statt wirtschaftlich von den touristischen Vorteilen der Insel zu profitieren, nutzen einige Einwohner die gute geografische Lage in Anlehnung an die alten Zeiten für illegale Handelsaktivitäten.
Die Architektur als Image-Wandler
Eine halböffentliche Initiative will das Gesicht der Insel verändern, indem sie über eine neue Ferienanlage und deren Architektur ein neues Bewusstsein und eine neue Zukunft schafft. Dabei sollte das Architekturbüro ZAV aus Teheran helfen. „In einem Land, in dem der Staat sich an allen seinen Grenzen politischen Auseinandersetzungen stellen muss, wird jedes Architekturprojekt zu einem Vorschlag für Verwaltungs- und Regierungsalternativen. Es stellt grundlegende Fragen: Wo liegen die Grenze der Architektur und wie kann sie eine politische Alternative für das Gemeinschaftsleben vorschlagen? Wie kann sie sozial wirken?“, erläutern die Planer von ZAV. Um von diesen Fragen ausgehend eine Strategie für Hormus zu entwickeln, wurden Landbesitzer vom Festlandhafen der Stadt Bandar Abbas eingeladen, die jährlich ein Land Art-Festival auf Hormus veranstalten. Dazu Investoren aus Teheran – und natürlich die lokale Bevölkerung. Gemeinsam entwickelten sie die Idee einer Feriensiedlung, die den Bewohnern eine wirtschaftliche Alternative zum Schmuggel bietet.
Als Haus interpretierte Landschaft
„Architektur hat das Potenzial, ein Mediator zu sein, der die Interessen verschiedener Gruppen – vom Staat über Investoren bis hin zu verschiedenen Interessengemeinschaften – zusammenführt“, erläutern ZAV Architects. Auf Hormus hieß das, wirtschaftlich zu bauen und auf lokale Ressourcen zu setzen sowie die handwerklichen Fertigkeiten der lokalen Bevölkerung zu schulen. Außerdem wurde das Projekt so entworfen, dass es dynamisch erweitert werden und sich auf Dauer als zukunftssicher erweisen kann. Nicht zuletzt ist die neue Feriensiedlung ein identitätsstiftendes Attribut der Insel. Schon von Weitem erkennt der Besucher die kleinen bunten Wohnhügel, die wie eine abstrakte Interpretation der felsigen Landschaft wirken.
Bauen mit begrenzten Ressourcen
Die an ein natürliches Dorf erinnernde Tourismusanlage wurde einige Kilometer von der Hauptstadt und dem Hafen entfernt angelegt. Die Siedlungsstruktur setzt sich aus einem Verbund unterschiedlich großer Kuppelbauten zusammen. Solche domartigen Strukturen sind typisch für die Region. Auf Hormus bedienten sich die Handwerker bei der Errichtung allerdings einer simplen Technik, die der iranische Architekt Nader Khalili einst als Selbstbausystem für Projekte in weniger entwickelten Regionen entworfen hat. Dabei werden Sandsäcke mit Erde vom Bauplatz befüllt und mit Stacheldraht fixiert zu Gewölbestrukturen aufgeschichtet, die dann mit Stampflehm verputzt werden. Dadurch können lokale Materialien als Ressourcen verwendet werden – ein Ansatz, der für die ansonsten vom Festland abhängige Insel eine kleine Revolution ist. Gleichzeitig stellt das Ergebnis ein homogenes Gesamtkunstwerk aus künstlicher und natürlicher Landschaft dar, in der Geometrien und Farben eklektisch aufeinandertreffen.
Eine Insel für alle
Wie in ein Farbbad getaucht erheben sich die Dom-Formationen aus der Erde, als wären sie aus der Insel herausgewachsen – und in ihrem Innern öffnen sich bunte Bäuche als behagliche Wohnhöhlen, Shops und Restaurants. Das Farbschema setzt auf Blockfarben. Die Fassaden, Zuwege und Treppen der knapp zwei Dutzend Häuser und Raumverbünde sind in Gelb, Rot, Blau und Grün gestrichen und bis ins Innere stringent. Nicht nur die Wände und Böden wurden farblich angepasst, sondern auch die Möbel und Wohnaccessoires. Exklusiv ist die Unterkunft aber bewusst nicht. Das Projekt versteht sich mit seinem demokratischen Ansatz als Alternative zu luxuriösen Resorts. Der gilt für die Gäste, aber auch für die Bewohner: Am Ende soll vor allem die lokale Gemeinschaft vom neuen Ferieninsel-Image profitieren.
FOTOGRAFIE Tahmineh Monzavi, Soroush Majidi, Payman Barkhordari
Tahmineh Monzavi, Soroush Majidi, Payman Barkhordari
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