Do It Yourself-Design: Antitrend-Trend
Geschichte des Selbermachens: Das Berliner Bröhan-Museum zeigt die Evolution eines Massenphänomens.

Weit gefehlt, wer bei Do It Yourself nur an schräge Werbekampagnen von Baumärkten denkt, an Hobbybastler oder strickende Mütter. DIY: Dahinter verbirgt sich eine eigene Designdisziplin – mit Historie und namhaften Vertretern. Das Berliner Bröhan-Museum widmet sich mit der Ausstellung Do It Yourself-Design einer Bewegung, die sich seit über hundert Jahren von einer Randerscheinung zum wahren Massenphänomen entwickelt.
Sucht man nach den Ursprüngen von Do It Yourself, landet man tiefer in der Vergangenheit als erwartet. Bereits in der industriekritischen Arts and Crafts-Bewegung in England und dem von ihr beeinflussten Jugendstil kommen Bestrebungen auf, Dinge wieder eigenhändig zu erzeugen. Denn mit der Industrialisierung, die um 1900 immer größere Teile des Lebens beeinflusst, entfernt sich die Produktwelt vom Menschen und seinem Bedürfnis nach Individualität.
Möbel in Einzelteilen
Do It Yourself heißt, knapp gesagt, selbst zusammenbauen. Diese Kernidee verdeutlichen die Kuratoren Tobias Hoffmann und Katleen Arthen, die die Ausstellung in Zusammenarbeit mit Sebastian Hackenschmidt vom MAK Wien gestaltet haben, direkt am Eingang. Was zu Beginn immerhin so aussieht, als sei es selbst montiert – schlichte Einzelteile, Steckverbindungen, sichtbare Schrauben wie bei Richard Riemerschmids Armlehnstuhl 4369 von 1900 –, entwickelt sich bald darauf tatsächlich zum Bausatz. Eines der ersten Möbel, die flach verpackt geliefert und dann vom Endkunden montiert werden sollen, ist ein Tisch von 1905, ebenso von Riemerschmid. Mit seinem Maschinenmöbelprogramm wird der Münchner Künstler und Gestalter einer der Vordenker für das, was Ikea viel später zum erfolgreichen Geschäftsmodell macht.
Not macht erfinderisch
Als nächste Etappe gelten die Kriegs- und Zwischenkriegsjahre: Mittel sind knapp, der Bedarf an zweckmäßiger Möblierung hoch. Eine Krise wird zum Motor des Do It Yourself-Gedanken, verhilft ihm allerdings kaum zum Erfolg. Zu sehr noch sind die Bauanleitungen an der Fertigkeit von Tischlern, nicht aber an Laien orientiert. Mit Gerrit Rietveld stellt die Ausstellung einen der ersten Gestalter vor, denen die Reduktion aufs Simpelste gelungen ist. Mit seinen Kratmeubels (Kistenmöbel) von 1934 präsentiert er Baupläne, die sich mithilfe sägerauer Holzbretter realisieren lassen – auf Wunsch erhältlich als fertiger Bausatz sowie in farbig lackierter Ausführung. Nur mit den ästhetischen Vorstellungen der Gesellschaft lässt sich sein Ansatz damals schwer vereinen. In die Geschichte geht Rietveld vor allem mit seinen avantgardistischen Entwürfen ein, die er als Mitglied der De Stijl-Bewegung hervorbringt – allen voran der Rot-Blaue Stuhl.
Selbst ist der Mann
Seinen Durchbruch scheint DIY schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg zu erfahren, als infolge von Material- und Fachkräftemangel alternative Einrichtungslösungen gefragt sind. Es erscheinen etliche Publikationen, die den Selbstbau von Möbeln anleiten. Einige davon – wie die Titel Selbst ist der Mann, Popular Handicrafts oder Do-it-yourself – sind in der Ausstellung zu sehen.
DIY als Konsumkritik
Was jedoch eben noch Mittel in der Not ist, wird bald darauf Ausdrucksform der Kritik an der aufblühenden Konsumwelt. So erscheinen Ende der sechziger Jahre Publikationen, die zur umweltbewussten Produktion und Lebensweise anregen. Im Jahr 1974 stellt der Amerikaner Ken Isaacs mit How to Build Your Own Living Structures seine Idee vom Wohnen in auf Nötigste reduzierten Strukturen vor – einen Nachbau zeigt das Bröhan-Museum.
Auch in Europa richtet man sich gegen die Kommerzialisierung des Designs. Mit Proposta per un’autoprogettazione präsentiert der italienische Gestalter Enzo Mari 1974 in der Galleria Milano seine Vorstellung vom antikapitalistischen Möbel. Wieder dienen einfache Bretter und Leisten aus dem Sägewerk als Ausgangsmaterial. Anleitungen sind in einem Heft zusammengefasst. Spannend ist hier der Bezug zu einem aktuellen Berliner Projekt, das ebenjene Baupläne nutzt, um Geflüchteten in der Hauptstadt eine Perspektive zu geben. Im Rahmen von Praktika werden bei Cucula in einer Kreuzberger Werkstatt Enzo Maris Möbelentwürfe produziert. Der Verkaufserlös dient der finanziellen Unterstützung und Ausbildung der Neuankömmlinge und damit ihrer Integration.
DIY als Antidesign
Berlin in den Achtzigern: Am Lehrstuhl von Nick Roericht an der Hochschule der Küste (HdK, heute UdK) initiiert HdK-Assistent Andreas Brandolini gemeinsam mit Joachim Stanitzek und Jasper Morrison das Projekt Kaufhaus des Ostens. Aus vorgefertigten industriellen Werkstücken, die die Studenten in Baumärkten finden, kreieren sie in kürzester Zeit wunderbar unperfekte Objekte – und werden damit Teil einer alternativen Designbewegung: dem Neuen Deutschen Design. Bis heute lassen sich Designer von ihrem Ansatz des Antidesigns inspirieren, versuchen mitunter aber, den Konsumenten am Endergebnis zu beteiligen. So liefert etwa das niederländische Designkollektiv Droog seinen Do Hit Chair (Marijn van der Poll, 2000), einen polierten Edelstahlwürfel, inklusive Vorschlaghammer und lädt zum kräftigen Draufhauen ein – solange, bis die gewünschte Sitzform erreicht ist. Auf der anderen Seite fordern Produkt-Hacker wie Andreas Bhend und Samuel Bernier dazu auf, Ikea-Produkte gänzlich neu zu interpretieren: Man nehme zwei Frosta-Hocker, ein paar Schrauben und Steckverbindungen – mithilfe eines online verfügbaren Manuals lässt sich daraus ein Laufrad für Kinder zusammenbauen.
Worldwide Do It Yourself
Auch wenn es immer mehr Publikationen zum Thema gibt: Generell gilt das Internet als Tor zum modernen Do It Yourself. Wer nach Anregungen für Selbstbauprojekte jeglicher Art sucht, wird hier fündig. Nicht zuletzt infolge der Wirtschaftskrise, die im Jahr 2007 beginnt, steigt das Interesse an Alternativen zum wachstumsorientierten Konsum. 2010 präsentiert der Berliner Architekt Van Bo Le-Mentzel seine Hartz IV-Möbelserie. Neben einem Buch gibt es die Bauanleitungen für seine billig und einfach herstellbaren Möbel natürlich auch im kostenlosen Download. Darüber hinaus fordert Le-Mentzel ausdrücklich zum Weiterentwickeln auf und bittet um Einsendung der entstandenen Kreationen.
Selbermachen ist Luxus
Letztlich bedeutet uns das Selbermachen aber weit mehr, und auch das zeigt das Bröhan-Museum in der Ausstellung: Do It Yourself ist Lifestyle, Zeitvertreib und es ist Luxus. Wer heute selbst baut, braucht nicht nur eine handwerkliche Ader. Der braucht überhaupt erst einmal Zeit. Was wiederum Ausdruck des Wohlstands wird. Oder: Man stelle sich ein Haus vor, bestückt mit Designerstücken, dazwischen ein Enzo Mari aus der Berliner Cucula-Werkstatt – ein Paradox! Auch wenn etwas, das mit den eigenen Händen erzeugt wird, meist sehr geschätzt wird – der Bemerkung, etwas sehe aus wie selbstgebaut, haftet zugleich auch etwas abwertendes an. Hier aber wird das Produkt zum Zeugnis einer guten Tat und genauso zum Mahnmal einer furchtbaren humanitären Krise. Design wird politisch.
Neue Wege der Fertigung
Den stärksten Auftrieb erfährt die DIY-Bewegung heute durch neue Fertigungstechnologien. Seit die ersten Baupläne online verfügbar sind, hat sich einiges getan: YouTube, Blogs, Creative Commons. Zunächst die Schnittmuster zum CNC-Fräsen, mittlerweile druckt man sich Steckverbindungen mit dem 3D-Drucker. Das Ergebnis beim sogenannten Open Design liegt in der Hand des Nutzers. Eine Trennung zwischen Designer, Hersteller und Verbraucher gibt es nicht mehr. Die Vorteile: Auflösung von Vertriebsketten, kurze Transportwege, geringe Lagerkosten, größtmögliche Beteiligung. Die Ausstellung zeigt unter anderem die Möbelserie Inside Out, einen Entwurf von Kuniko Maeda und Mario Minale von 2012, bei dem die 3D-gedruckten Verbindungselemente nicht nur zusammenhalten, sondern auch zum schmückenden Accessoire werden. Im Netz wird anschließend geteilt und kommentiert. Etwa auf Onlineplattformen wie Open Structures, einer Datenbank für modulare Konstruktionssysteme, 2007 initiiert vom Brüsseler Designer Thomas Lommée. Fab Labs in allen größeren Städten schaffen zudem die Infrastruktur und bieten die Hardware, um eigene Ideen umsetzen zu können.
Wahrlich zum Leben erwacht das Bröhan-Museum schließlich an jedem zweiten Sonntag, wenn der Berliner Designer Johannes Kunz zum Maker Sunday in seine Mobile Werkstatt einlädt. Sein Appell gilt dem bewussten Umgang mit Ressourcen – Dinge an Bedürfnisse anpassen, statt sie immerzu gegen Neues zu ersetzen. Do It Yourself wird so auch zum Ausweg aus einem Teufelskreis, in dem wir uns (besonders) in der westlichen Welt befinden: indem wir unseren Geschmack den sich ständig erneuernden Trends unterwerfen und unsere Vernunft an der Warenhauskasse (wahlweise Onlineshop) abgeben. Raum zum Selbermachen bietet daneben auch Jerszy Seymours Amateur Workshop #6, dem mittlerweile sechsten Teil einer Installationsreihe. Museum zum Anfassen – besser kann eine Ausstellung zu dem Thema nicht enden.
Do It Yourself-Design ist noch bis zum 29. Januar 2017 im Bröhan-Museum in Berlin-Charlottenburg zu sehen.
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