Ein Blick in die Kristallkugel
Es begann mit der Interpretation des klassischen Kronleuchters und entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem visionären Projekt, das generell von Kristallen inspirierte Objekte propagiert. Nun, im zehnten Jubiläumsjahr von Crystal Palace, nutzt Swarovski seine kristallinen Steine, um im Design Museum in London in die Zukunft der Erinnerung im digitalen Zeitalter zu sehen.
Was spricht gegen die Kommunikation mit einem Kronleuchter? Was gegen das Vergeben einer eigenen Telefonnummer an ein derartiges Objekt? Überhaupt nichts, meinte Ron Arad, als er 2004 Nadja Swarovski das Konzept zu seinem Kristalllüster Lolita vorstellte.
Durch den in London lebenden israelischen Designer sollte der Kronleuchter förmlich zu einem poetischen Instrument werden, um das zu machen, was wir seit der Jahrtausendwende ständig tun: Textnachrichten mit dem Mobiltelefon verschicken. Mit dem jungen Mechatroniker Moritz Waldemeyer hatte er auch schon den richtigen Mitstreiter für die Verwirklichung des Projektes gefunden. So realisierten sie gemeinsam für die dritte Kollektion des von Nadja Swarovski initiierten Projektes Crystal Palace eine eineinhalb Meter lange, spiralförmige Leuchte, die sie mit der neuartigen Technologie bestückten. Als Lolita dann zum ersten Mal während der Mailänder Möbelmesse vor acht Jahren präsentiert wurde, entpuppte sie sich als Hauptattraktion der Kristallausstellung. Mit Begeisterung schrieben die Besucher Botschaften an Lolitas Nummer, die dann über 1.050 dieser Kurznachrichten mittels computergesteuerter LEDs als Lauftext in ihre kristalline Oberfläche integrierte und visualisierte.
SMS, Email oder Tweet
Seit damals ist Lolita um die ganze Welt gereist; ihr gegenwärtiges Zuhause ist London. Ab dem 5. September wird sie in der Ausstellung Digital Crystal: Swarovski at the Design Museum in der britischen Hauptstadt zu sehen sein. Dabei ist Lolita jedoch nicht mehr ganz die, die sie vor acht Jahren war. Ron Arad hat die Gelegenheit des technischen Fortschritts genutzt, um seinen Entwurf zu aktualisieren. Heute kann der Lüster nicht nur Textnachrichten via SMS empfangen, sondern auch via Email oder Tweet – Kommunikationswege, die heute eben auch mit dem Mobiltelefon möglich sind.
Analog und Digital
Genau das ist auch das Thema der aktuellen Ausstellung: die Schnelllebigkeit. „Mit dem Untergang des analogen Zeitalters verändert sich unsere Beziehung und Verbindung zu persönlichen Erinnerungsstücken, Fotografien, Tagebüchern, Briefen, Zeit und Sammlerartikeln“, sagt der Direktor des Museums, Deyan Sudjic. Digital Crystal untersucht die Bedeutung von Erinnerung im digitalen Zeitalter. Mit den 14 Ausstellungsstücken soll die Zukunft und unsere Beziehung zur Welt im Wandel hinterfragt werden – einer Welt, in der es manchmal recht einfach erscheint, die Verbindung zur Realität zu verlieren. Erinnerungsstücke wie Fotografien werden nicht mehr in ein Album geklebt, sondern online gespeichert; andere persönlichen Objekte scheinen ganz zu verschwinden – ein Gefühl, das besonders bei der Generation der heute über Dreißigjährigen entsteht, die noch beides kennt: den analogen und den digitalen Alltag.
Alt und Neu
Neben zukunftsweisenden Projekten wie Ron Arads Lolita, die für Crystal Palace in den letzten Jahren entstanden sind, werden aktuelle, an eine neue Generation von Designern vergebene Auftragsarbeiten in der Ausstellung gezeigt. rAndom International zum Beispiel präsentieren die Installation Sunlight Video. Sie besteht aus einem Kristallobjektiv, durch das Licht geleitet wird, um kurzlebige Bilder abzubilden, die wiederum an eine analoge Projektion erinnern. Einen ähnlichen Ansatz hat auch Troika: Das Designkollektiv nahm die klassische Fotografie als Ausgangspunkt ihrer Arbeit Hard Coded Memory und projiziert ein Foto durch Kristallobjektive, um eine unscharfe Interpretation der Originalaufnahme als eine Art verblasste Erinnerung zu produzieren. Maarten Baas hingegen zelebriert mit seinem Entwurf etwas, das nicht digitalisiert werden kann: der menschliche Gedanke. In typischer Baas-Manier hat er ein „verkohltes“ Haus mit Schornstein entworfen, aus dem eine kristalline Gedankenwolke hervortritt, die einen digitalen Abdruck des menschlichen Geistes darstellen soll.
Vielleicht mag der erste Eindruck der Ausstellung manchen Besucher ein wenig melancholisch stimmen, bei näherer Betrachtung jedoch zeigen die Objekte auf unterschiedliche Weise, wie wir mit etwas Poesie dem digitalen Zeitalter begegnen können – ganz ohne Verlustängste.
Digital Crystal: Swarovski at the Design Museum
5. September 2012 bis 13. Januar 2013
Design Museum London, Shad Thames
FOTOGRAFIE David Levene
David Levene
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