Einfachheit im Vielfachen
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Ein Jubiläum jagt das andere: Während das Bauhaus letztes Jahr sein neunzigjähriges Bestehen feierte, wird dieses Jahr gleich ein dreihundertster Geburtstag begangen, nämlich der des europäischen Porzellans. In der KPM-Welt in Berlin ist bis Mai dieses Jahres eine Ausstellung zu sehen, die beide Jubiläen kongenial vereint: Unter dem, einem Gropius-Zitat entliehenen Ausstellungstitel „Einfachheit im Vielfachen“ zeigt die Schau Berliner Porzellan unter Einfluss von Bauhaus und Burg Giebichenstein.
Zugegeben, die Ausstellung ist klein – insgesamt die vierte Sonderausstellung in der KPM-Welt –, sie bietet jedoch einige interessante Stücke. Sie werden in Vitrinen präsentiert, die entlang des großen Saals der ständigen Ausstellung aufgestellt sind. Auch wenn das Ausstellungsdesign zurückhaltend, fast einfach gestaltet ist, lernen kann der Porzellanliebhaber hier so einiges. Vor allem über die Zeit um 1930, als die traditionsreiche Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin (KPM) zu einem Vorreiter des neuen Designs wurde. Neben Porzellanen werden in der Ausstellung auch Fotografien in innovativer Bildsprache von Hans Finsler präsentiert. Der Fotograf, der als Vorreiter der Sachfotografie gilt, wurde von der KPM mit Werbeaufnahmen beauftragt. Woher kam es nun, dass sich die Manufaktur Ende der zwanziger Jahre einer modernen Bild- und Formensprache zuwandte?
Streng, sachlich, klar: Bauhaus und Burg Giebichenstein
Als 1925 das Weimarer Bauhaus seine Pforten schloss, bedeutete dies auch das Ende der dortigen Keramikwerkstatt. Paul Thiersch, Leiter der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle, engagierte daraufhin die Bauhäusler Gerhard Marcks und Marguerite Friedlaender. Marcks – einer der ersten Meister am Bauhaus überhaupt – übernahm fortan die Bildhauerklasse auf der Burg. Friedlaender baute die Keramikwerkstatt auf und zeichnete ab 1929 für die Porzellanklasse verantwortlich. Hier wurde nun im Auftrag der KPM experimentiert: Nachdem ein Brennofen für Hartporzellan installiert war, entstand ein Versuchslaboratorium zur Entwicklung von Prototypen für die serielle Produktion und die Herstellung von funktionalen Gebrauchsporzellanen. Ins Leben gerufen hatte diese künstlerisch außerordentlich fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Burg und KPM Günther Freiherr von Pechmann, seit 1929 Direktor der Berliner Manufaktur und seines Zeichens auch Vorstandsmitglied des Deutschen Werkbunds. Er zeichnete sich aus durch ein gutes Gespür für eine neue Formgebung in der Porzellankunst.
Porzellan für die neue Wohnung
Unter dem Motto „Porzellan für die neue Wohnung“ stand nun eine zweckgerichtete Formgestaltung in Einklang mit materialgerechter handwerklicher Verarbeitung auf dem Programm der KPM – passend zu zeitgleichen Einrichtungs- und Architekturtendenzen à la Mies van der Rohe und Walter Gropius. Neben Marguerite Friedlaender spielte dabei eine andere Frau eine entscheidende Rolle: Trude Petri. Beide Künstlerinnen arbeiten zuweilen auch Hand in Hand, beispielsweise beim Teeservice „Halle’sche Form mit Goldringdekor“, das 1931 entstand. Während Friedlaender die Form konzipierte, kümmerte sich Petri um das wunderbar feine Goldringdekor. Petri schuf auch einen anderen Klassiker für die KPM, das Tafelservice „Urbino“, das sich durch seine schmucklose Materialästhetik auszeichnet.
Mit der zweckgerichteten Formgebung ging die Aufwertung technischer Porzellane einher, bis dahin ein Kerngeschäft der KPM. Deshalb wurden Bestandteile der technischen Porzellane ganz bewusst in Neuentwicklungen eingebunden, so beispielsweise das Mokkaservice „Halle’sche Form“ von Marguerite Friedlaender aus dem Jahr 1929. Es integriert ein Tablett – eleganterweise vom Unternehmen als Plateau bezeichnet –, das dem ehemaligen Labor-Sortiment der KPM entstammt und dem formschönen Service eine technische Anmutung verleiht. Zeitgleich mit dem Mokkaservice hat KPM zum Bauhaus-Jubiläum übrigens auch die von Friedlaender entworfenen Vasen namens „Halle" wieder auf den Markt gebracht.
In die Zukunft geschaut
Gleich neben Schau-Werkstatt und -Tafel in der KPM-Welt erwartet den Besucher ein weiterer, nicht minder interessanter Teil der Ausstellung: ein Kooperationsprojekt zwischen der KPM und der Burg Giebichenstein Hochschule für Kunst und Design Halle. Zwölf Studenten der Fachrichtung Keramik- und Glasdesign haben zusammen mit Hubert Kittel, Professor für Produktdesign, neue Produktideen rund um das Thema kleine Köstlichkeiten, Snacks und Kostproben außerhalb der klassischen Tafelsituation entwickelt. Es steht unter dem Motto „In between – Small dishes“.
Vorbild zum Thema war der 1930 von Gerhard Marcks entworfene „Rohkostschalensatz“ sowie das „Konfektservice“, die sich beide durch ihre vielfach verwendbaren Formen auszeichnen. Die Produktideen der Studenten wurden dann in den Werkstätten der KPM als Prototypen in Porzellan umgesetzt. So entstand beispielsweise das Set „Uisge beatha“ von Anne Rößler, das mit Tablett, Whisky-Tumbler, Wasserkaraffe und Schälchen für eine Whisky-Degustation entwickelt wurde und durch die Farbkombination Weiß-Gold besticht. Und Melanie Wöhes spannend-poetische Kreation „dolci“ zum Zubereiten, Anrichten und Genießen von Desserts beweist, dass man sich um den Porzellangestalter-Nachwuchs nun wirklich keine Sorgen machen muss.
Weitere Informationen
Die Ausstellung in der KPM-Welt in Berlin ist noch bis zum 16. Mai 2010 zu sehen.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin (Hrsg.): Einfachheit im Vielfachen. Berliner Porzellan unter Einfluss von Bauhaus und Burg Giebichenstein. München (Edition Minerva) 2009, 44 Seiten, 12 Euro, ISBN 978-3938832561.
FOTOGRAFIE KPM
KPM
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