Isabelle Baudraz: Sit Down, Pablo!
Ein System für das Erbe großer Meister: Diese eleganten Sitzbänke der ECAL-Studentin stehen jetzt im Pariser Picasso Museum.

Eine junge Designstudentin überzeugt mit präzisen Details das Picasso Museum in Paris: Nun kann man dort auf ihren Bänken und Sitzinseln innehalten und die Werke sowie Teile der Kunstsammlung des großen Malers betrachten. Dieser neue Coup der Schweizer Talentschmiede École cantonale d'art de Lausanne in Kooperation mit dem französischen Hersteller Tectona hatte zum Salone del Mobile in Mailand seine zweite Premiere.
Ein konkreter Zweck kann beim Entwurf eines Möbels helfen, er kann ebenso eine gewaltige Herausforderung sein. Als das Picasso Museum in Paris bei der ECAL in Lausanne nach Vorschlägen für neue Sitzgelegenheiten anfragte, war man dort gleichermaßen erfreut wie besorgt. Schließlich sind die Ausstellungsräume im Pariser Stadtpalais Hôtel Salé nicht von irgendjemand eingerichtet worden, sondern von dem Schweizer Bildhauer und Designer Diego Giacometti (1902–1985): dem Bruder des berühmten Bildhauers Alberto Giacometti und des Architekten Bruno Giacometti. Was soll man da noch hinzufügen – vor allem als junger Designstudent?
Am besten lässt man sich von so viel Genie und Größe gar nicht erst beeindrucken, sondern fokussiert sich stattdessen voll und ganz auf die Funktion. Auf einem Sitzmöbel soll man in erster Linie: gut sitzen. In einem Museum natürlich nicht zu lange, weshalb die Bänke meist ohne Rücken- und Armlehmen auskommen müssen. Neun Studenten der Ecal untersuchten zunächst gemeinsam die Sitzlösungen von 50 internationalen Museen und Ausstellungshäusern, bevor sie sich selbst an eigenen Ideen versuchten. Die Leitung des Workshops Sit Down, Pablo! hatte der niederländische Designer Chris Kabel, der seinen Bachelorstudenten beim Material freie Wahl ließ.
Isabelle Baudraz wollte ein leicht zu bewegendes Möbel schaffen, das sich in die unterschiedlichen Raumsituationen und Atmosphären im Picasso-Museum einfügen konnte: So wurde aus dem Sitzmöbel ein System. Die ECAL-Studentin entwickelte eine Bank aus Eiche in zwei verschiedenen Längen, die sich vom Museumspersonal einfach miteinander kombinieren lassen und als Trio oder Quartett eine Linie oder Sitzinsel im Raum ergeben – von den Besuchern aber nicht verschoben und verstellt werden können. Über eine einfache, aber kluge Verzahnung der Holzstreben, die auf den Bankstützen durch eine halbrunde Wölbung arretiert werden, lassen sich die Elemente in allen erdenklichen Situationen fest verkoppeln, oder auch einzeln in Nischen platzieren.
Baudraz’ Holzbank Tie erweist sich weder als Ablenkung von Picassos Kunst oder Giacomettis Interieur, überzeugt aber dennoch mit genügend Finesse und Eleganz, um als eigenständiges und zeitgenössisches Gestaltungselement wahrgenommen zu werden: Die 29-Jährige hat ein unauffälliges Sitzmöbel entworfen, das trotzdem einladend wirkt. Produziert als Sonderanfertigung von Tectona, Spezialist für Outdoor-Möbel, wurden zunächst diverse Prototypen entwickelt, das endgültige Möbel konnte man während der Design Week auch im Mailänder Showroom mitten im Brera Design District begutachten. Wer sich dafür begeisterte, wurde enttäuscht: Tie ist und bleibt eine speziell für das Pariser Picasso Museum hergestelltes Unikat. Dort eröffnet am 17. Mai 2018 eine Sonderausstellung über die Innenraumgestaltung von Diego Giacometti. Auf den neuen Bänken von Isabelle Baudraz hätten er und Pablo Picasso sich auch gerne Platz genommen.
FOTOGRAFIE Matthieu Gafsou
Matthieu Gafsou
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